GVA, Kur & Präventivmedizin | Ganzkörper-Kälte-Therapie
Seit Jahrhunderten wird die Kälte gezielt medizinisch ein- gesetzt. Neben der lokalen oder regionalen Anwendung findet vor allem die Ganzkörper-Kälte-Therapie (GKKT) in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit.
Nach den initialen Bemühungen von Dr. Toshima Yamaguchi in den späten Siebzigerjah- ren haben sich vor allem Kollegen aus Frankreich, Polen, Italien und Deutschland der Evaluierung des Einsatzes der GKKT angenommen. Zur aktuellen Verbreitung der Thera- pie tragen neben der zwar langsam, aber stetig steigenden Evidenz der Wirksamkeit bei verschiedenen Indikationen und Krankheitsbildern vor allem technische Verbesserungen und der damit verbundene einfachere Betrieb bei. Dieser kurze Beitrag beschränkt sich auf Beschreibungen von Anwendungen der Ganzkörper-Kälte-Therapie und geht auf-
grund anderer Wirkmechanismen und unterschiedlicher involvierter Reflexe nicht auf lokale, regionale und Teilkörper-Anwendungen wie die Kryo- Sauna ein.
Breites Wirkspektrum
Wie zuletzt von zahlreichen Experten gefordert, sollte in der Kommunikation über die Ganzkörper-Kälte-Therapie klargestellt werden, mit welchen thermischen und zeitlichen Parametern therapiert wird. In der täglichen Routine unserer Kuranstalt wird eine Therapie mit -110 °C mit einer Dauer von 2,5 bis 3 Minuten zum Einsatz gebracht. Als Doppelkammer-Einrichtung erfolgt in einer Vorkammer bei -60 °C die Gewöhnung und Trocknung für 30 Sekunden. Danach erfolgt der Übertritt in die Hauptkammer, die eine Temperatur von -110 °C hält. Der Aufenthalt in der Hauptkammer wird zeitlich dem Geschlecht, Alter und Körpergewicht der Patienten angepasst. Die Vorbereitung und Instruktion der Patienten sowie die Abklärung von relativen und absoluten Kontraindikationen orientiert sich an dem zuletzt im November 2021 publizierten Konsensus- und Positionspapier von Bouzigon et al. Aktuell empfehlen wir den täglichen Einsatz der GKKT an fünf bis sechs Tagen pro Woche für zwei Wochen und damit in Summe eine Therapieserie von zehn bis zwölf Anwendungen.
Der überwiegende Anteil wissenschaftlicher Arbeiten zur GKKT beschreibt Wirkungen solcher Therapieserien. Serielle Anwendungen scheinen ei- ner Einzelanwendung deutlich überlegen zu sein. Während einer stationären Kur lassen sich GKKT-Serien problemlos umsetzen, ohne die jeweils zur Anwendung kommenden Leistungsprofile öffentlicher Versicherungsträger zu gefährden.
Die GKKT und ihre Wirkweise kann man, bei unterschiedlichem Grad der Evidenz, hinsichtlich der Bewegung, des Fettstoffwechsels, der Schmerz- regulation, der Regeneration und der Regulation des autonomen Nervensystems betrachten. Die Faktoren Bewegung, Ernährung, Regeneration und Stress spielen in der funktionellen Medizin und natürlich auch in der Kurmedizin eine wesentliche Rolle. Da die GKKT sämtliche dieser Fakto- ren zu beeinflussen vermag, soll in den weiteren Ausführungen stets die Einbindung der Therapie in die Routine des Kurbetriebs Erwähnung finden.
Faktoren Bewegung und Schmerz
Die GKKT kann den Faktor Bewegung durch die Reduktion von Schwellungen und Schmerzen sowie durch eine verbesserte Durchblutung der Muskulatur positiv beeinflussen. Die Anwendung extremer Kälte führt zu einem initialen „Kälteschock“ mit einer starken Aktivierung des sympathi- schen autonomen Nervensystems. Dieser Aktivierung folgt ein sogenannter parasympathischer Rebound. Das vaskuläre System reagiert initial mit einer peripheren Vasokonstriktion, gefolgt von einer ausgeprägten Vasodilatation mit erhöhter Durchblutung der Peripherie und hier vor allem der Muskulatur.
Die schmerzhemmende Wirkung der Kältetherapie bei -110 °C wird aktuell der Reduktion der Nervenleitgeschwindigkeit sowie einer positiven Be- einflussung der Schmerzschwelle zugeschrieben. Wenngleich hohe Evidenz fehlt, so machen diese Wirkungen die GKKT zu einer sinnvollen An- wendung bei Patienten mit Arthrosen und chronischen Gelenksbeschwerden. Vor allem im Bereich der Mobilisation ergeben sich im direkten An- schluss an die Kältetherapie verbesserte Möglichkeiten in der Gymnastik, zum Bespiel in Form des aktiv dynamischen Dehnens, und gute Voraus- setzungen für physiotherapeutische Interventionen.
Faktor Entzündungsstoffwechsel
Auch der Entzündungsstoffwechsel scheint durch die GKKT positiv beeinflusst zu werden, zumal TNFα, IL-1β, IL-6 und CRP gesenkt, während IL- 10-Spiegel erhöht werden. Diese Wirkungen können zur schmerzhemmenden Wirkung beitragen und machen die Therapie für Patienten mit rheu- matologischen Krankheitsbildern interessant. Die analgetische Wirkung zusammen mit der verbesserten Muskeldurchblutung gibt hier Möglichkei- ten in der Mobilisation und dem Arbeiten an der dynamischen Stabilisierung betroffener Gelenke im schmerzreduzierten oder schmerzfreien Bereich.
Einsatz bei Hauterkrankungen
Patienten mit Hauterkrankungen, vor allem mit Psoriasis und Neurodermitis schätzen den analgetischen und juckreizhemmenden Effekt der GKKT. Bei Patienten mit Psoriasisarthritis können mit einer Form der Anwendung sowohl Gelenkspathologien als auch gegebenenfalls bestehende Hautlä- sionen behandelt werden. Im Rahmen der Kur bei dermatologischen Indikationen integriert die Kryotherapie sehr gut in eine kombinierte Sole-, UV- B- und Salbenbehandlung.
Faktor Fettstoffwechsel
Im Fettstoffwechsel kommt es zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen LDL und HDL sowie, zumindest in einigen Studien, zu einer Re- duktion des Gesamtcholesterins und zur Reduktion des weißen Fettgewebes. Diese Wirkungen werden vor allem bei übergewichtigen und adipö- sen Personen beschrieben. Zusammen mit dem beachtlichen Energieverbrauch während und nach der Anwendung ist dieser Aspekt für viele Kur- patienten von Interesse und hinsichtlich der Diätologie sei auch die Kombination mit dem Intervallfasten genannt. Hier kann die GKKT das tägliche Fastenintervall mit einer deutlichen Aktivierung des parasympathischen autonomen Nervensystems starten. Zur Dokumentation der Veränderungen der Körperkomposition können Bioimpedanz-Body-Composition-Analyzer eingesetzt werden, um Effekte der Interventionen während des Kurauf- enthalts zu quantifizieren.
Faktor Stress
Das Fasten dient unter anderem der Regulation des autonomen Nervensystems. Durch die GKKT lassen sich interessante Veränderungen im Be- reich der Herzratenvariabilität (HRV) dokumentieren, die eine Stimulierung des parasympathischen autonomen Nervensystems nahelegen. Eine weitere wichtige stressregulierende Wirkung der GKKT liegt im hormonellen Bereich. Hier kommt es zu einer Reduktion von Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Cortisol sowie einer Erhöhung von Testosteron als weitere positive Effekte für die Regeneration. Die Messung der HRV nach einem standardisierten Protokoll mit einer minimalen Dauer von zehn Minuten kann zur Dokumentation zu Beginn und zum Ende einer Therapieserie zur Anwendung gebracht werden.
Einsatz im Rahmen der Kur
Die GKKT lässt sich unter Beachtung der relativen und absoluten Kontraindikationen bei allen Formen der Kur sehr effektiv einsetzen. Zur beglei- tenden Dokumentation der GKKT empfehlen wir im Bereich der Kur die Messung der Körperkomposition, der Herzratenvariabilität und die Auf- zeichnung funktioneller Scores der Bewegung. Das Beobachtungsintervall wird durch die Dauer des Kuraufenthalts mitbestimmt und liegt meist bei 14 Tagen. Die Dokumentation dient der Evaluierung von Interventionen, hat aber auch einen erheblichen didaktischen Wert in der individuellen Betreuung von Kurpatienten.