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Kur & Gesundheitsvorsorge | Regionalwirtschaftliche

Kurtourismus: Nun auch in

Deutschland ein großes Thema

Der Tourismus in Kurorten und Heilbädern wird nun auch in Deutschland immer mehr zum Thema. Jüngste Studienergebnisse zeigen Potenziale auf – und lassen sich in gewisser Hinsicht auch auf Österreich übertragen.

Vor rund zwei Jahren konnte im Rahmen einer Studie für Österreich gezeigt werden, dass das Kurwesen in Österreich beachtliche regionalwirtschaftliche Effekte auslöst: Mit etwa 3,5 Millio- nen Nächtigungen, von denen 97,4 Prozent auf inländische Gäste entfielen, wurden direkte Wertschöpfungseffekte von gut 200 Millionen Euro erzielt. Durch Vorleistungen wurden weitere knapp 70 Millionen Euro ausgelöst und durch Kaufkrafteffekte der Löhne und Gehälter zusätz- lich noch knapp 150 Millionen Euro. Somit summiert sich der gesamte Beitrag zum österreichi- schen Bruttoinlandsprodukt auf Basis der Berechnungen in dieser Studie auf annähernd 420 Millionen Euro. Direkt und indirekt werden dadurch knapp 7.800 Personen beschäftigt.


Wirtschaftsfaktor „Kur“

Diese ökonomischen Potenziale werden nun auch in Deutschland verstärkt unter die Lupe ge- nommen – und vorangetrieben. Ende letzten Jahres wurde eine deutsche Studie veröffentlicht, die sich unter dem Titel „Wirtschaftsfaktor Tourismus in den Heilbädern und Kurorten Deutsch- lands“ dieses Themas annimmt. Methodisch wurden dabei die Heilbäder und Kurorte erfasst, also Mineralbäder, Moorbäder, Thermalheilbäder, Kneippkurheilbäder, Heilklimatische Kurorte, Seebäder sowie Orte mit Heilquellenkurbetrieb, Heilstollenkurbetrieb und Peloidkurbetrieb. In diese Kategorie fallen mehr als 350 Gemeinden in Deutschland. Etwa 112 Millionen Nächti- gungen im gewerblichen Bereich werden jährlich in Deutschland in diesem Segment ermittelt, die noch um Camping, Privatvermieter und private Besuche (allein immerhin knapp 30 Millio- nen!) erhöht werden. Zusätzlich werden dann noch etwa 260 Millionen Tagesreisen angesetzt, sodass insgesamt mit 454 Millionen Aufenthaltstagen gerechnet wird. Daraus resultieren schließlich etwa 25 Milliarden EUR an jährlichem Umsatz. In einem weiteren Schritt werden daraus 509.000 Beschäftigte und 12,8 Milliarden EUR Wertschöpfung berechnet.


Unterschiedliche Betrachtungen

Betrachtet man die unterschiedlichen methodischen Ansätze und wendet man die Faustregel an, dass Österreich zu Deutschland etwa im Verhältnis 1:10 verglichen werden kann, so erge- ben sich interessante mögliche Schlussfolgerungen. Erstens ist die deutsche Studie viel weni- ger selektiv in ihrer Abgrenzung. Alle touristischen Aktivitäten werden in die Analyse mit einbe- zogen, die in den entsprechend definierten Gemeinden stattfinden. Dabei erfolgt keine engere Eingrenzung auf den Kurtourismus im engeren Sinn. Zweitens werden noch großzügige Schät- zungen für Tagesaufenthalte und unentgeltliche Nächtigungen bei Verwandten oder Bekann- ten hinzugerechnet. Im Gegensatz dazu bezieht sich die österreichische Analyse ausschließ- lich auf die Kurbetriebe selbst in Österreich und fokussiert somit auf das engste Segment des eigentlichen Kurtourismus.

In der deutschen Studie wird der Anteil der Rehakliniken an den Aufenthaltstagen auf knapp 17 Prozent, also etwa ein Sechstel der gesamten Zahlen, geschätzt, der Anteil an den Umsät- zen auf knapp 35 Prozent. Selbstverständlich sind die strukturellen Effekte in Deutschland und Österreich nicht ohne entsprechende Einschränkungen vergleichbar. Eine grobe Hochrech- nung und Umlegung dieser deutschen Zahlen auf Österreich kann jedoch trotzdem zur Ver- deutlichung der gesamten Potenziale angestellt werden – selbstverständlich ohne Anspruch auf eine abgesicherte empirische Gültigkeit. Diese Überschlagsrechnungen sind aber den- noch nicht uninteressant: Bei ähnlicher Abgrenzung wie in der deutschen Studie würden dar- aus für Österreich Beschäftigungseffekte von fast 50.000 Arbeitsplätzen sowie Wertschöp- fungseffekte von fast 1,2 Mrd. Euro resultieren.


Große Ähnlichkeit in ökonomischer Hinsicht

Die ermittelten Größenordnungen sind in der Tat verblüffend: Die hochgerechneten Zahlen für Österreich anhand der deutschen Analyse entsprechen ziemlich genau einem Zehntel der deutschen Zahlen. Profunden Kennern des Kurtourismus in Österreich sowie in Deutschland werden zahlreiche strukturelle Unterschiede zwischen beiden Ländern einfallen. Dennoch zei- gen derartige Zahlenspiele, dass bei aller Unterschiedlichkeit und trotz unterschiedlichster Methodik sowie Abgrenzung offensichtlich doch mehr Ähnlichkeit in ökonomischer Hinsicht zwischen beiden Regionen besteht, als gemeinhin angenommen wird. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass – auch wenn Österreich im Bereich des Kurtourismus sicher eine unbestritte- ne Vorreiterrolle einnimmt – der Blick über die Grenze nach Deutschland doch in vielerlei Hin- sicht auch interessante Anregungen und Rückschlüsse für Österreich bieten kann.

Aber auch eine weitere Schlussfolgerung sollte nicht aus den Augen verloren werden: Die in- ternationale Konkurrenz schläft nicht, die Potenziale des Kurtourismus werden auch anderswo erkannt und verstärkt genutzt. Die Weiterentwicklung von Kur und Rehabilitation in Österreich ist daher nicht nur aus gesundheitspolitischen Erwägungen ein Gebot der Zeit, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. 

AUTOR:  Univ.-Prof. MMag. Dr. Gottfried Haber

Vizedekan der Fakultät für Gesundheit & Medizin

Donau-Universität-Krems

gottfried.haber@

donau-uni.ac.at, www.haber.at