MEDIZIN | Hämophilie

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Gentherapie bei Hämophilie A und B

In den letzten Jahren konnten große Fort- schritte in der Behandlung von Hämophilie A und B erzielt werden. Mit Gentherapie besteht nun auch Hoffnung auf Heilung.

AUTOR:

Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Cihan Ay

Leiter der Hämophilie-Ambulanz an der

Klinischen Abteilung für Hämatologie und

Hämostaseologie, Innere Medizin I,

Universitätsklinikum AKH Wien der MedUni Wien, cihan.ay@meduniwien.ac.at


Hämophilie ist eine hereditäre Krankheit, bei der die Gerinnungsfähigkeit des Blutes beeinträchtigt ist. In Folge kann es zu spontanen Blutungen, ins- besondere in die Gelenke, und Blutungen nach Verletzungen kommen. Grund dafür ist das Fehlen eines einzigen Proteins: Bei der Hämophilie A wird Gerinnungsfaktor VIII nicht oder nicht ausreichend produziert, im Falle der Hämophilie B Gerinnungsfaktor IX.


Eine Erkrankung mit Geschichte

Die ersten Aufzeichnungen zur Hämophilie finden sich bereits im Zeitalter vor Jesus Christus. So gilt die Hämophilie als Erkrankung, die es in der Geschichte immer gegeben hat und die es vermutlich immer geben wird. Trotz ihrer Seltenheit – in Österreich sind aktuell knapp 850 Menschen von einer schweren Hämophilie betroffen – existiert ein breites Instrumentarium an Behandlungsmöglichkeiten: mitunter deshalb, da der Grund für die Blutgerinnungsstörung bereits früh bekannt und die ihr zugrundeliegenden Gene bereits früh beschrieben wurden. Seit August 2022 steht Be- troffenen in der EU nun auch die erste zugelassene Gentherapie für Hämophilie A und seit Februar 2023 für die Hämophilie B – und somit die erste Möglichkeit auf Heilung – zur Verfügung.


Die Vektormethode

Grundsätzlich verfolgt die Gentherapie das Ziel, die Produktion des fehlenden oder des nicht ausreichend produzierten Faktors wiederherzustel- len. Vereinfacht ausgedrückt, werden die Zellen eines Patienten mit Hämophilie A oder B befähigt, einen funktionsfähigen Gerinnungsfaktor zu bil- den, was Betroffene vorher – aufgrund eines fehlerhaften bzw. defekten Gens – nicht konnten. Das funktionsfähige Faktor-Gen wird dabei im Rah- men einer einmaligen Infusion mittels eines Vektors als spezielles Transportvehikel verabreicht.

Dabei muss die funktionsfähige Information über die Infusion an eine Zielzelle gebracht werden, um dort die Produktion des jeweiligen Proteins (hier: Gerinnungsfaktoren VIII oder IX) übernehmen zu können. Bei Menschen mit Hämophilie ist jene Zielzelle die Leberzelle, da in dieser die meisten Gerinnungsfaktoren gebildet werden.

Die Leberzelle stellt die natürliche Produktionsstätte des Gerinnungsfaktors IX dar. So wird bei Hämophilie-A-Patienten die funktionsfähige Informa- tion ebenfalls in die Leberzelle injiziert, auch wenn diese nicht ihre natürliche Produktionsstätte ist.

Das funktionsfähige Gen, das der Patient erhält, wird zunächst in einer nicht pathogenen Virushülle verpackt, bevor es in den Körper injiziert wird. Im Körper kann das therapeutische Gen anschließend in die Leberzelle eindringen. Ermöglicht wird dies mithilfe des Vektors, ferner des Kapsids. Letztlich setzt das Kapsid das intakte Gen frei, welches dann den Gerinnungsfaktor bilden kann.

Spezielle nicht pathogene Viren, sogenannte Adeno-assoziierte Viren, finden auf Basis zweier Gründe als Vektoren Verwendung: Einerseits ermög- lichen sie, dass das therapeutische Gen vor allem in die Leberzellen eingeschleust wird, da ihre Virushülle die Eigenschaft besitzt, hepatotrop zu sein. Andererseits bringen sie die fehlende Information für den Gerinnungsfaktor VIII oder IX als eine Zusatzinformation in den Zellkern ein – an der grundlegenden Erbinformation der Patienten, dem Genom, ändert sich dabei nichts.


Konstant hohe therapeutische Faktorwerte

Um spontane Blutungsneigungen bei Hämophilie-Betroffenen zu verhindern, zielen moderne Behandlungsmöglichkeiten auf eine Substitution mit Faktor VIII oder Faktor IX. Beide Gerinnungsfaktoren zirkulieren jedoch nur relativ kurz im Körper, weswegen eine wiederkehrende Zufuhr und somit eine dauerhafte Prophylaxe notwendig ist. Patienten verabreichen sich die Medikamente – intravenös und bis zu dreimal die Woche – meist selbst: für viele Betroffene eine aufwendige Angelegenheit. Hingegen liefert die Gentherapie das Potenzial einer einmalig ausreichenden Faktorprodukti- on, sodass eine Prophylaxe nicht mehr benötigt wird. Der Vorteil der Gentherapie für Patienten mit Hämophilie A oder B besteht somit darin, dass über mehrere Jahre und ohne regelmäßige Faktorinfusion konstant hohe therapeutische Faktorwerte erreicht werden können.


Wirkungsverluste möglich

Im Anschluss an die Gentherapie produziert der Körper den Gerinnungsfaktor VIII oder IX sehr rasch. Studienergebnisse zeigen, dass die Faktor- aktivität bei Hämophilie A nach einiger Zeit nachlässt, wohingegen ein Abfall der Faktoraktivität bei Hämophilie B bisher in Studien nicht beobach- tet wurde. Da jedoch noch keine Langzeiterfahrungen zur Gentherapie bei Hämophilie – insbesondere zur Hämophilie A – existieren, bleibt aktuell offen, wie langfristig der Effekt der Gentherapie in der Praxis ist. Eine weitere Nebenwirkung der Gentherapie stellen die Reaktion des Immunsys- tems bzw. der Anstieg der Leberwerte dar. Bisherige Studien zeigen, dass ein solcher Anstieg bei Hämophilie-A-Patienten häufiger auftritt als bei Hämophilie-B-Betroffenen, was eine immunsuppressive Therapie (z. B. Cortison) bedingen und einen Wirkverlust der Gentherapie bewirken kann.


Eignung für die Gentherapie

Für die Eignung der Gentherapie existiert eine Vielzahl an Voraussetzungen, die auf Betroffene zutreffen muss. Der eingeschränkte Therapiezu- gang wurde von bisherigen Studien bei Patienten mit Hämophilie A oder B geebnet, die mindestens 18 Jahre alt sind, über eine gesunde Leber verfügen, keine Inhibitoren gegen Faktor VIII oder Faktor IX aufweisen und keine neutralisierenden Antikörper gegen die Vektoren besitzen (insbe- sondere bei Hämophilie A).

Auf Basis des aktuellen Forschungsstandes wird die Gentherapie weiters bei Patienten empfohlen, die keine bestimmten Komorbiditäten, wie etwa ein Metabolisches Syndrom, aufweisen. Auch ist eine Veränderung des Lebensstils nach der Gentherapie unabdingbar, um den Erhalt einer ge- sunden Leber garantieren zu können. So sollte unter anderem der Konsum von Alkohol vermieden werden. Engmaschige medizinische Kontrollen sowie regelmäßige Überwachungen gelten überdies als wichtig, sollte eine Gentherapie zur Behandlung bei Hämophilie A oder B infrage kommen. Für Patienten, die die genannten Voraussetzungen erfüllen, kann mittels Gentherapie die Chance auf Heilung nun tatsächlich Wirklichkeit werden.