Foto: Sissi Furgler

GASTKOMMENTAR

Aktiv nach psychiatrischen

Symptomen fragen

Für Dr. Christa Radoš, Primaria an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am LKH Villach, haben Hausärzte in der aktuellen Covid-19-Kri- sensituation auch eine wichtige Gatekeeper-Funktion für psychisch belastete Patienten.

?Wie wirkt sich die Covid-19-bedingte Krisensituation auf die psychische Verfassung der Menschen aus?

Dazu gibt es noch keine validen Daten. Wir sind derzeit auf unsere begrenzten – klinischen – Erfahrungen angewiesen. Die Krise und die damit verbundenen veränderten Lebensbedingungen verursachen jedenfalls hohen Stress und Überforderung und kön- nen besonders bei sensiblen Menschen verstärkt zu psychiatrischen Symptomen führen. Die generelle Zunahme von Angst wirkt sich etwa auf Patienten mit Angststörungen besonders stark aus.

Was wir klinisch beobachten konnten und was uns einigermaßen erstaunt hat: Nicht nur Schizophrenie-Patienten, bei denen wir psychotische Schübe bei erhöhtem Stressniveau ja öfter beobachten, sondern auch manche Depressionspatienten haben ihre Ängste psychotisch verarbeitet und Wahnsymptome entwickelt, die sich auf das Coronavirus beziehen. Ihr psychischer Zustand hat sich dadurch in vielen Fällen massiv verschlechtert.

Je länger die Krise andauert, desto mehr scheint auch erhöhter Alkoholkonsum eine Rolle zu spielen. Durch die lange Dauer der physischen Distanzierung, die leider manchmal wirklich auch eine soziale Distanzierung ist, scheint auch der Substanzmiss- brauch zu eskalieren. Aber auch die ständige Nähe kann in Beziehungen zu Überforderung und zu psychischer Überlastung führen.


?Was raten Sie Hausärzten, die mit Angstsymptomen, Schlafstörungen, Depressionen oder Suchtproblemen ihrer

Patienten konfrontiert werden?

Wenn die Beschwerden unklar sind oder die Patienten bedrückt, verändert oder sehr besorgt wirken, sollte daher aktiv und ge- zielt nach psychischen Symptomen gefragt werden. Viele Patienten kommen zumindest vordergründig nicht deswegen in die Hausarztpraxis, sondern machen oft somatische Symptome wie Schmerzen zum Thema. Hausärzte sind durchaus erfahren, um unkomplizierte depressive Störungen oder Angststörungen selbst zu behandeln.

In diagnostisch kniffligeren Fällen, bei Therapieresistenz oder bei schwerwiegenden psychiatrischen Komorbiditäten sollte aber ein Facharzt für Psychiatrie ins Behandlungsteam mit hineingenommen werden.


?Wie beurteilen Sie die Arbeit per Telefon oder via Video?

Die Möglichkeiten haben sich auch im psychiatrischen und im psychotherapeutischen Bereich sehr schnell verbreitet und es konnten auch mit den Sozialversicherungen rasch entsprechende Vereinbarungen erzielt werden. Diese Erweiterung der Behand- lungsmöglichkeiten hat sich bewährt und könnte auch in Zukunft als zusätzliche Interventionsmöglichkeit hilfreich sein. Daten- schutztechnisch muss man sich die verschiedenen Onlineangebote allerdings noch sehr genau ansehen. Ich empfehle daher Kollegen, die Onlinekontakte anbieten, die Patienten über mögliche Schwächen des Datenschutzes aufzuklären und deren Ein- verständnis einzuholen. Für Patienten und deren Angehörige ist es oft schwierig herauszufinden, wo für sie die richtige Anlaufstel- le ist. Hier kann der Hausarzt beraten und gezielt zuweisen. Nicht jeder, der mit der derzeit schwierigen Situation nicht gut zu- rechtkommt, ist psychisch krank. Auch telefonische Beratungseinrichtungen unterstützen im Krisenfall, helfen Zuständigkeiten zu klären oder Informationen weiterzugeben.


vw