MEDIZIN | Ernährung

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Mangelernährung:

unbeachtet, unbehan- delt und teuer

Mangelernährung wirkt sich negativ auf die Progno- se einer Erkrankung aus, erhöht Komplikationsra- ten, Liegezeiten und in der Konsequenz auch die Kosten für das Gesundheitssystem.

Mangelernährung ist längst kein Problem unterentwickelter Länder. Jeder vierte bis fünfte Patient, der in Deutschland in eine Klinik aufgenommen wird, ist mangelernährt. Meist sind alte Menschen, Krebserkrankte oder Patienten mit bestimmten gastroenterologischen Erkrankungen betroffen. Dennoch werden in Deutschland Patienten bei einer Krankenhausaufnahme weder systematisch auf das Vorliegen einer Mangelernährung unter- sucht, noch sind in Kliniken standardmäßig Ernährungsteams verfügbar. Das Essen in Kliniken verschärft das Problem noch zusätzlich. Experten der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) fordern wirksame Maßnahmen und haben die Mangelernährung auch in den Mittelpunkt des Kongresses für Viszeralmedizin 2022 gestellt.


Klinikessen verschärft Problematik

Die Ursachen für Mangelernährung sind vielfältig: Sehr alte oder schwer kranke Menschen leiden häufig unter Appetitlosigkeit. Auch degenerative Erkrankungen wie Demenz sind ein Grund für unzureichende oder einseitige Nahrungsaufnahme. In Senioreneinrichtungen fehlt meist das Perso- nal, um kognitiv oder körperlich eingeschränkte Menschen beim Essen zu unterstützen. Für sogenannte „Tellerprotokolle“, also die genauen Auf- zeichnungen, was tatsächlich gegessen wird, sind auch in Pflege- und Altenheimen die Ressourcen zu knapp. „Werden diese Betroffenen mit einer Erkrankung in eine Klinik eingeliefert, so wird die Mangelernährung hierzulande nicht etwa regelhaft als wichtiger Faktor für die Prognose mitbe- handelt, sondern sie bleibt oft unbeachtet und wird durch das Essensangebot und die Abläufe in den Kliniken noch verschärft“, sagt PD Dr. Birgit Terjung, Beirätin der DGVS und Chefärztin der Inneren Medizin und Gastroenterologie der GFO Kliniken Bonn. Klinikessen ist meist kostengünstig, keimarm und wenig schmackhaft – und wird von vielen Patienten verschmäht. Dem nutritionDay 2018 zufolge, einer weltweiten, jährlich stattfinden- den systematischen Erhebung mit Daten aus Krankenhausstationen und Pflegeeinrichtungen, nahm nur rund ein Drittel der Patienten die vollstän- dige Mittagsmahlzeit zu sich. Und auch in Kliniken fehlt Personal, um hilfsbedürftige Patienten bei der Nahrungsaufnahme zu unterstützen.

„Maßnahmen, um Mangelernährung zu vermeiden und zu behandeln, etwa durch hochwertigeres und auf die Bedürfnisse der Patienten angepass- tes Klinikessen sowie geschultes Personal, werden nicht angemessen vergütet und daher in Kliniken meist eingespart“, sagt Univ.-Prof. Thomas Frieling, DGVS Kongresspräsident der Viszeralmedizin 2022 und Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Helios Klinikum Krefeld. „Das Personal und die Kosten, die man an dieser Stelle spart, ziehen letztlich höhere Kosten durch Komplikationen und längere Behandlung nach sich – eine ab- surde und untragbare Situation“, so der Experte weiter. Es braucht außerdem Strukturen und Standards zur Erfassung des Ernährungsstatus von Patienten, ausreichend geschultes Personal sowie die Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitenden.


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literatur:

• Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.). 14. DGE-Ernährungsbericht –Kapitel 2. Bonn (2019);  https://www.dge.de/14- dge-eb/vvoe/kap2

• Khalatbari-Soltani S, Marques-Vidal P. The economic cost of hospital malnutrition in Europe; a narrative review. Clin Nutr ESPEN 2015; 10(3): e89-e94

• Frieling T et al. Optimierung des Screenings auf Mangelernährung im Krankenhaus durch „Bottum-up“- und „Top-down“- Strategien – das Krefelder Projekt. Akt. Ernährungsmed. 2013;38:296-301