FOTO: IMBA/KULSCAR, FWF/NOWOTNY
Geforscht wird in vielen Fachgebieten rund um das Sars-CoV-2-Virus – im Fokus stehen meist medizinische Studien, die eine unmittelbare Auswir- kung auf die Entwicklung der Pandemie haben könnten. So finanziert etwa das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) Prävalenzstudien zur Verbreitung aktiver Sars-Cov-2-Infektionen in Österreich. Informationen über die tatsächliche Häufigkeit von Perso- nen, die vom Coronavirus betroffen sind, einschließlich einer hochgerechneten Dunkelziffer, tragen zu Entscheidungen über bundesweite Maßnah- men bei.
Medizinische Universität Wien
Von Simulationen, Datenanalysen, epidemiologischen Studien, biomedizinischer Grundlagenforschung, Genetik und Medizintechnik bis hin zu kli- nischen Studien und Outcome-Forschung sind verschiedenste Forschungsschwerpunkte an der MedUni Wien vertreten. Arzneimittelstudien und Therapieentwicklungen werden von Forschungsprojekten und Befragungen begleitet. Studien zu Diagnose, Krankheitsverlauf und Immunität er- gänzen den Reigen der mehr als 150 Covid-19-relevanten Forschungsprojekte. Ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Dr. Klaus Schmetterer, Dr. Robert Strassl, beide Klinisches Institut für Labormedizin, und Dr. Johannes Kovarik, Universitätsklinik für Innere Medizin III, der MedUni Wien und des AKH Wien untersucht die spezifische Immunantwort in der Frühphase einer Sars-CoV-2-Infektion. Die Wissenschaftler konn- ten zeigen, dass sich im Blut von Patienten ein spezifisches Muster an immunologischen Markern findet, das sich von anderen viralen Erkrankun- gen der Atemwege unterscheidet. Die Arbeit wurde im Top-Journal Frontiers in Cellular and Infection Microbiology publiziert.
Medizinische Universität Graz
An der Med Uni Graz sind es derzeit knapp 100 Projekte verschiedensten Ausmaßes, die sich mit dem Thema Covid-19 beschäftigen. Die For- schungsgruppe rund um Priv.-Doz. Dr. Stefan Hatzl, Priv.-Doz. Dr. Gernot Schilcher und Univ.-Prof. Dr. Robert Krause formuliert laufend aktuelle Empfehlungen für das LKH-Universitätsklinikum Graz und widmet sich darüber hinaus der Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen. So konnte beispielsweise bereits der Nutzen einer Plasma-Gabe bei intensivpflichten Covid-19-Patienten erfolgreich nachgewiesen und prominent publiziert werden. Kürzlich konnten die Forscher in der international renommierten Zeitschrift Critical Care veröffentlichen, wie man der Problematik einer Schimmelpilzinfektion bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten begegnen kann.
Im Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung an der Med Uni Graz wurden in den vergangenen Wochen und Mona- ten außerdem zahlreiche Umfragen durchgeführt, um die Impfbereitschaft abzufragen, die Akzeptanz der 3G-Regel, die Akzeptanz der Öffnungs- schritte nach dem Lockdown und viele andere Themen. Im BSL-3-Labor finden in Kooperation mit anderen Institutionen Tests von Substanzen statt.
Medizinische Universität Innsbruck
Medial viel Aufmerksamkeit erhielten die Studien in Ischgl, wobei die zweite Studie als eine der größten und längsten Verlaufsstudien zur Immunität nach Covid-19 gilt. Bei knapp 90 % jener Studienteilnehmer, die schon im April einen positiven Antikörpernachweis hatten, konnten auch acht Mo- nate nach den ersten Infektionen Antikörper gegen Sars-CoV-2 nachgewiesen werden. Aufmerksamkeit erhielt auch die Tiroler Covid-19-Kinder- studie, in der das psychische Wohlergehen von Kindern im Alter von drei bis zwölf Jahren in Tirol und Südtirol im Mittelpunkt steht.
Univ.-Prof. Dr. Herbert Tilg, Universitätsklinik für Innere Medizin I, erforschte die Spuren, die Covid-19 in den Verdauungsorganen hinterlässt. Dr. Anna Heidbreder vom Schlaflabor der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie identifizierte Schlafstörungen während und infolge einer Covid- 19-Erkrankung als Trauma-Folge. Univ.-Prof. Dr. Matthias Schmuth untersuchte Hautveränderungen von Covid-19-Patienten. Die Innsbrucker Im- munologen Univ.-Prof. Mag. Dr. Doris Wilflingseder und Univ.-Ass. Priv.-Doz. Mag. Dr. Wilfried Posch konnten die entzündungsfordernden Komple- ment-Rezeptoren C3aR und C5aR als Treiber der folgenschweren Immunreaktion, die zu schweren Lungenschäden führt, festmachen. Mikrobiolo- ge Ao. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Würzner, PhD, erforschte die Immunantwort älterer Covid-19-Genesener und Immunologe Posch gelang es, die zel- lulären und humoralen Immunantworten zu charakterisieren, die bei Patienten mit mildem, schwerem und kritischem Covid-19-Verlauf ausgelöst werden. Zwischenergebnisse der heterologen Impfstudie lassen den Schluss zu, dass Kombinationsimpfungen auch gegen die Delta-Variante besser schützen.
Forschungszentren mit Covid-19-Fokus
Am CeMM – Research Center for Molecular Medicine der Österreichischen Akademie der Wissenschaften laufen mehrere Covid-19-Studien. Das Projekt „Mutationsdynamik von Sars-CoV-2 in Österreich“ startete bereits im März 2020 und wird auf Initiative des CeMM in enger Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien und weiteren Partnern durchgeführt. Ein interdisziplinäres Team am CeMM unter der Projektleitung von Dr. Andreas Bergthaler, Virologe, und Univ.-Prof. Dr. Christoph Bock, Bioinformatiker, untersucht die Sars-CoV-2-Genomentwicklung bei Patienten mit- tels ausgereifter Sequenzier- und Analysemethoden. Mit Stand Juni 2021 ist das Projekt verantwortlich für mehr als 90 % aller österreichischen Se- quenzen des Sars-CoV-2 Virus, die der internationalen Datenbank GISAID zur Verfügung gestellt wurden und trägt so zur internationalen For- schung und weltweiten Varianten- und Mutationsüberwachung bei. Im März 2021 wurde eine Studie aus der Forschungsgruppe von Bergthaler in Science Immunology veröffentlicht, in der die Wissenschaftler die Auswirkung von Virusmutationen in sogenannten T-Zell Epitopen untersuchten, das heißt in Regionen, die von T-Killerzellen erkannt werden. Hierfür wurden 750 Sars-CoV-2 Virusgenome von Infizierten sequenziert und Mutatio- nen auf ihr Potenzial analysiert, T-Zell-Epitope zu verändern. Die Ergebnisse zeigen, dass mutierte Viren von T-Killerzellen an dieser Stelle nicht mehr erkannt werden können. Ein Team unter der Leitung von Forschern des Wiener IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichi- schen Akademie der Wissenschaften hat möglicherweise die Achillesferse des Coronavirus gefunden: Zwei zuckerbindende Proteine behindern Sars-CoV-2-Varianten am Eindringen. Die Ergebnisse, die das Potenzial für variantenübergreifende Therapien haben, wurden im renommierten EMBO Journal veröffentlicht.
Ein Konsortium aus Medizinischer Universität Innsbruck, Technischer Universität Wien, Universität Innsbruck, der Agentur für Gesundheit und Er- nährungssicherheit (AGES) und dem Umweltbundesamt entwickelt derzeit ein Monitoringsystem von Kläranlagenzuläufen zur Erfassung von um- fassenden Informationen zur räumlichen Verteilung und des zeitlichen Verlaufes der Covid-19-Pandemie. Grundlage ist die Bestimmung von Virus- RNA-Mengen im Zulauf von Kläranlagen. Damit sollen die grundsätzliche Eignung des abwasserepidemiologischen Ansatzes als Screeningtool für räumliche und zeitliche Entwicklungen des Infektionsgrades der österreichischen Bevölkerung untersucht werden.
In der jüngsten Kuratoriumssitzung des FWF konnten so viele Corona-Forschungsprojekte wie nie zuvor bewilligt werden. Insgesamt starten 14 neue Projekte im Umfang von fünf Millionen Euro an Forschungsstätten in ganz Österreich. Auch an heimischen Fachhochschulen wird rund um Covid-19 geforscht. An der FH Salzburg beschäftigt sich zum Beispiel ein Projekt mit Orthoptik während Covid, an der FH Joanneum geht es bei Tele-Covid um teletherapeutische Versorgung in der Logopädie.
Aktive Pharmaforschung
Auch Pharmaunternehmen arbeiten unter Hochdruck an neuen Entwicklungen rund um Sars-CoV-2. Das Wiener Biotechunternehmen Apeiron Bio- logics entwickelt den Medikamentenkandidaten APN01, ein rekombinantes lösliches ACE2. Das biotechnologisch hergestellte Angiotensin Con- verting Enzym 2 (rhACE2) soll das Einschleusen von Sars-CoV-2 verhindern, die Schädigung verschiedener Organe reduzieren und einen entzün- dungshemmenden und Lungenödem-dämpfenden Effekt aufweisen. Die Grundlage hinter dem Wirkungsmechanismus wurde bereits 2005 am IMBA erschlossen. ACE2 wurde damals von Prof. Dr. Josef Penninger und Kollegen als die essenzielle in vivo Eintrittspforte eines Coronavirus be- schrieben, das bereits 2003 für einen globalen Ausbruch der Lungenkrankheit Sars sorgte.
SIRS und F4-Pharma – die gemeinsamen Eigentümer aller Rechte an dem Arzneimittelkandidaten FX06 – starteten kürzlich die letzten Schritte zur GMP-Produktion (Good Manufacturing Practice) und bereiten eine multizentrische klinische Studie in Wien, Frankfurt und Würzburg vor. FX06 ist ein Arzneimittelkandidat, der die Integrität des Endothels erhalten und damit den Austritt von Flüssigkeit vom Blut ins umliegende Gewebe verhin- dern soll. Zusätzlich weist FX06 anti-inflammatorische Eigenschaften auf. Aus diesem Grund hat die Substanz das Potenzial, ein neues Arzneimit- tel für die Behandlung schwerer Covid-19-Fälle zu werden.
Panoptes entwickelt einen antiviralen, entzündungshemmenden Wirkstoff, der die überschießende Immunantwort dämpft und gegen schwere, ent- zündliche Augenerkrankungen entwickelt wird. Takeda initiierte die Entwicklung einer plasmabasierten Therapie für Covid-19. Ausgangsmaterial sind Hyperimmunglobulin-Präparate mit konzentriertem Inhalt von Antikörpern gegen Sars-CoV-2 aus Plasma von Patienten, welche die Covid-19- Erkrankung überstanden haben. Viravaxx kooperiert mit der MedUni Wien in einem Projekt zu einer integrierten Plattform für Immundiagnostik und Vakzinierung bei Covid-19. Dabei werden die Seren von Patienten, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, untersucht. Covid-19 steht im Fokus der heimischen medizinischen Forschung und bringt international vielbeachtete Ergebnisse hervor. Das dient nicht nur der aktuellen Be- kämpfung der Pandemie, sondern verbessert die Position der heimischen Forschungslandschaft im internationalen Vergleich.
bw