MEDIZIN | Darm & Psyche im Einklang
Darm & Psyche im Einklang
Was der Volksmund schon lange weiß, findet zunehmend wissenschaftliche Evidenz: Darm und Psyche stehen in enger Verbindung zueinander und beeinflussen sich wechselseitig. Die Zusammenschau der Forschungsarbeiten von Mikrobiologen, Neurogastroenterologen und Psychologen zeigt sogar, dass unsere Gemütslage noch viel stärker vom Darm beeinflusst wird als bisher angenommen. Das Vorhandensein einer „Darm-Hirn- Achse“ ist die biologische Erklärung für das „Bauchgefühl“ und wirft ein neues Licht auf den Einfluss des Darmes bei neurologischen Erkrankun- gen wie Demenz, Alzheimer und Parkinson sowie psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen und Schizophrenie. So zeigen Stu- diendaten, dass eine Einnahme eines Multispezies-Probiotikums die Mikrobiomzusammensetzung bei Patienten mit Depressionen positiv modu- liert. Studien aus Deutschland belegen, dass Probiotika die Stressverarbeitung verbessern können und bei gesunden Menschen den Umgang mit Stressbelastung erleichtern. Bei all diesen Erkrankungen liegen chronische, subklinische Entzündungen schon oft Jahrzehnte vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome vor – ein therapeutisches Fenster, das genutzt werden könnte.
Der Darm mit seinem enterischen Nervensystem sowie zahlreiche Zellen, die Signalmoleküle produzieren und aussenden, ist von einem Mikrobiom besiedelt. Diese Gesamtheit aller körpereigenen Mikroorganismen spielen eine wesentliche Rolle in der Entwicklung der angeborenen und adapti- ven Immunantwort. Die Zusammensetzung ist so individuell wie ein Fingerabdruck und bildet so auch die Lebensumstände des jeweiligen Men- schen ab. Es lässt sich zum Beispiel eine erhöhte Stressbelastung ebenso wie Entzündungs- oder Zellalterungsprozesse an der Zusammenset- zung des Mikrobioms ablesen.
Besonders interessant im Hinblick auf den Zusammenhang mit neurologischen und psychischen Erkrankungen ist, dass der Darm auch an der Produktion von Neurotransmittern beteiligt ist, wie etwa Serotonin. Es beeinflusst unter anderem den Rhythmus der Peristaltik und spielt auch bei der Schmerzweiterleitung vom Magen-Darm-Trakt zum Gehirn eine wichtige Rolle. Manche Wissenschaftler sehen daher in einer gestörten Darm- flora einen wesentlichen Risikofaktor für das Entstehen einer Depression. Ein Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und Psyche lässt sich auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) beobachten: Morbus Crohn- oder Colitis ulcerosa-Patienten leiden häufig unter psy- chischen Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, die durch den Leidensdruck der Grunderkrankung nur ungenügend zu er- klären sind. Im Mausmodell wurde das Darmmikrobiom von Patienten mit CED auf Mäuse übertragen. Daraufhin entwickelten sie ebenfalls eine Reihe der CED-Symptome und auch ein ängstliches Verhalten.
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