KARDIOLOGIE |  Herzgesundheit

Wie natürliches Spermidin das Herz schützt

FotoS: Werner Stieber, Lunghammer, istockphoto/ mofles

Neueste epidemiologische Studien der Medizinischen Universität Innsbruck in Kooperation mit der Universität Graz und der Medizinischen Universität Graz

weisen auf eine vielversprechende kardioprotektive Funktion des natürlichen Polyamins Spermidin hin.

Unsere Lebenserwartung in den westlichen Zivilisationsgesellschaften hat sich seit der indus- triellen Revolution vor fast 170 Jahren mehr als verdoppelt. Im Gegensatz dazu hat sich die Lebenszeit, die wir bei guter körperlicher und geistiger Verfassung sind, weniger deutlich ver- längert. Viele ältere Menschen leiden an chronischen Krankheiten, darunter Herz-Kreislauf-Er- krankungen, die auch in der übrigen Welt immer mehr zunehmen, die Lebensqualität mindern und für die es oft keine oder wenig wirksame Behandlungen gibt. So bilden Herz-Kreislauf-Er- krankungen eine enorme Belastung für unsere alternde Gesellschaft – im individuellen, familiä- ren, aber auch sozioökonomischen Ausmaß. Für manche dieser Krankheiten, wie zum Beispiel die diastolische Herzinsuffizienz, fehlt jegliche effektive Therapie. Auch weil das Verständnis der Pathomechanismen, die dieser zunehmenden Form der Herzinsuffizienz zugrunde liegen, nicht genug erforscht ist. Die Medizin muss weiterhin auf der Suche nach neuen Therapiestra- tegien sein, da in der Vergangenheit alle klinischen Studien über diastolische Herzinsuffizienz scheiterten.


Neuer Ansatz zur Prävention

Neueste epidemiologische Studien der Medizinischen Universität Innsbruck in Kooperation mit der Universität Graz und der Medizinischen Univer- sität Graz weisen auf eine vielversprechende kardioprotektive Funktion des natürlichen Polyamins Spermidin hin. Spermidin ist ein in allen Körper- zellen des Menschen vorkommendes Molekül, das in unserer Nahrung häufig, jedoch in sehr unterschiedlichen Mengen, vorkommt. Spermidin ist zum Beispiel hoch konzentriert in Weizenkeimen, Soja, Erbsen, bestimmten Pilzen, aber auch in nicht unwesentlichen Mengen in Salat, Äpfeln, Bir- nen, Nüssen und anderen Samen enthalten. In einer Studie mit 829 Probanden aus der Region um Bruneck (Südtirol, Italien) konnten die Forscher nun zeigen, dass eine spermidinreiche Ernährung nicht nur mit einem deutlich reduzierten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist, sondern auch mit weniger Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer um durchschnittlich fünf Jahre höheren Lebenserwartung as- soziiert ist.


Zellulärer Recyclingprozess

Deutliche Hinweise auf eine Kausalität einer kardioprotektiven und lebensverlängernden Wirkung durch Spermidin kommen aus der Grundlagen- forschung. Eine steigende Anzahl teils hochkarätiger Studien liefert fundierte wissenschaftliche Einblicke in die altersprotektiven Effekte von Sper- midin und gibt Hinweise auf die zugrunde liegenden Pathomechanismen. Neben der anti-inflammatorischen Wirkung von Spermidin zeichnet sich insbesondere ein zelluläres Recycling-Programm verantwortlich für die positiven Effekte von Spermidin – die sogenannte Autophagie. Die Autopha- gie beschreibt eine Art Selbstverdauung von Zellenbestandteilen im kontrollierten Ausmaß: Zellen degradieren und recyceln geschädigtes und da- mit potenziell gefährliches Material wie defekte Proteine, Lipide oder ganze Organellen, wie zum Beispiel geschädigte Mitochondrien. So trägt die Autophagie zur Erneuerung und Detoxifizierung alternder oder anders gestresster Zellen bei – ein Prozess, der auch durch Fasten ausgelöst wird und sich ebenso für dessen gesundheitsfördernde Effekte mit verantwortlich zeigt. Schon länger ist bekannt, dass ein Verlust von Autophagie im Herzen dessen Funktion beeinträchtigt und damit die Herzalterung fördert. In einer 2016 publizierten Studie in Nature Medicine konnte im Tiermo- dell gezeigt werden, dass die Gabe von Spermidin als Zusatz im Trinkwasser die Herzalterung verzögert. Spermidingabe vermindert eine häufige altersbedingte Verdickung des Herzmuskels und fördert dessen Elastizität und verbessert die diastolische Funktion, die zur bisher nicht behandel- baren diastolischen Herzinsuffizienz führen kann. Tatsächlich konnten die Forscher im Zuge ihrer Arbeit die Autophagie, die sich unter anderem auf eine verbesserte Mitochondrienfunktion auswirkte, für viele der positiven Effekte von Spermidin verantwortlich machen. In Mäusen, die aufgrund einer genetischen Mutation einen Autophagiedefekt in Herzmuskelzellen aufweisen, verliert Spermidin seine kardioprotektive Funktion. Darüber hinaus verbessert Spermidin die strukturelle Integrität von Herzmuskelzellen und erhöht deren relativen Anteil an Mitochondrien, der im Alter abnimmt.


Verbesserung von Risikofaktoren

Für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist eine Reihe von Risikofaktoren verantwortlich, darunter stellt Hypertonie derzeit einen der größten Risikofaktoren dar. Die Therapie der arteriellen Hypertonie erfordert neben Allgemeinmaßnahmen zur Lebensstiländerung in sehr vielen Fällen auch eine medikamentöse Therapie. Hierzu sind häufig auch mehrere Substanzen gleichzeitig notwendig, um den Blutdruck zu senken und die angestrebten Zielwerte zu erreichen. Oft ist im Verlauf der Behandlung der arteriellen Hypertonie eine weitere Optimierung notwendig, insbe- sondere dann, wenn die Patienten auf die bestehende medikamentöse Therapie wie etwa mit ACE-Blockern, Kalzium-Antagonisten oder Schleifen- diuretika nicht oder nicht mehr ausreichend ansprechen. Daher sind neue Interventionsmöglichkeiten, die den Bluthochdruck bei solchen Patien- ten senken und ein gesundes Altern begünstigen können, von großer klinischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang zeigte die im Fachblatt Na- ture Medicine publizierte Studie zur oralen Supplementation von Spermidin besonders vielversprechende blutdrucksenkende Wirkung in salzemp- findlichen Ratten. In diesem klinisch relevanten Tiermodell entwickelt sich nämlich durch eine salzreiche Diät erhöhter arterieller Blutdruck, der in späterer Folge eine akute Herzinsuffizienz hervorruft. Die Gabe von Spermidin senkte deutlich den erhöhten Blutdruck und verzögerte die Entste- hung einer Herzinsuffizienz. Darüber hinaus zeigte diese Studie auch, dass protektive Effekte von Spermidin nicht nur alleine durch die Aktivierung der Autophagie vermittelt sind, sondern vermutlich auch durch eine erhöhte Verfügbarkeit von L-Arginin ausgelöst werden. L-Arginin ist das Haupt- substrat für die Stickstoffmonoxid (NO)-Produktion im Herz-Kreislauf-System und damit direkter Vermittler einer Reduktion des arteriellen Blut- drucks. Daher besteht in Zukunft die Möglichkeit, bestehende medikamentöse Therapien mit Spermidin zu kombinieren oder zu ergänzen. Eine weitere Studie hat daraufhingewiesen, dass die Stimulation von Autophagie durch eine erhöhte Spermidinzufuhr auch schützende Effekte auf das alternde Gefäßendothel und eine Atherosklerose ausübt: So konnte ein belgisches Forschungsteam sowohl eine reduzierte Ansammlung von Lipi- den als auch eine geringere Ausbildung des nekrotischen Kerns atherosklerotischer Plaques zeigen. Die Forscher spekulieren, dass damit das Wachstum der Plaques entschleunigt und deren Ruptur, die in einer Herzarterie in der Regel zu einem plötzlichen Gefäßverschluss mit daraus re- sultierendem Herzinfarkt führt, potenziell sogar verhindert wird.


Akute Effekte von Spermidin auf das Herz

Neueste Studien, unter anderem eine 2019 im British Journal of Pharma- cology publizierte Arbeit, geben nun erste Hinweise darauf, dass Sper- midin auch bei akuten Indikationen des Herzens helfen könnte: In Ratten, die durch eine dauerhafte Ligation einer Koronararterie einen myokardi- alen Infarkt erlitten, reduzierte eine Spermidingabe die Infarktgröße, führ- te zu weniger Hypertrophie und verbesserte die Herzfunktion. Auch in dieser Studie konnte die kausale Rolle der Autophagie im Herzschutz durch Spermidin beschrieben werden.

Eine Vielzahl präklinischer Studien unterstützt also die aus der Epidemio- logie bekannte Assoziation einer spermidinreichen Ernährung mit redu- ziertem Krankheitsrisiko im Menschen. Prospektive klinische Studien wer- den nun gebraucht, um diesen vielversprechenden Ansatz auch auf Herz und Niere zur therapeutischen Wirksamkeit zu testen. Tatsächlich läuft die erste klinische Studie namens „Smart Age“ an der Charité Ber- lin, die bereits die Verträglichkeit eines spermidinreichen Weizenkeimex- trakts nachweisen konnte und erste Hinweise auf eine Demenz-Vorbeu- gung in älteren Probanden mit subjektiv eingeschätztem kognitiven Leis- tungsabfall gibt. Schon nach dreimonatiger Einnahme zeigte sich eine tendenzielle Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Einnahme des Nahrungssupplements. Weiterführende Studien sollen diese Ergebnisse nun erhärten.

Hält die Epidemiologie, was sie verspricht, könnte schon jetzt eine sper- midinreiche Ernährung, aber auch spermidinreiche Nahrungsergän- zungsmittel, zum Beispiel natürliche Weizenkeim- oder Sojaextrakte, ei- nen Beitrag zur Prävention insbesondere altersbedingter Herz-Kreislauf- Erkrankungen in der breiten Bevölkerung liefern.