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Cannabidiol (CBD) wurde kürzlich als Begleittherapie zur Behandlung therapierefraktärer, angeborener Formen der Epilepsie zugelassen. Hier wird über drei komplexe Fälle aus der Praxis berichtet, die unter CBD eindrucksvolle Verbesserungen des klinischen Bilds zeigten.
Cannabidiol (CBD) ist das Hauptcannabinoid der Hanfpflanze. Zwar wurde es bereits in den 70er-Jahren am Menschen erstmals eingesetzt, doch führte es bis zum Jahr 2013 ein wissenschaftliches Schattendasein. Erst die spektakuläre Ver- besserung der Anfälle eines kleinen Mädchens mit Dravet-Syndrom, Charlotte Figi, 2013, erregte das Interesse der Medien und der Ärzteschaft. Mittlerweile wurden nicht nur zahlreiche klinische Prüfungen durchgeführt (Silvestro et al., 2019), sondern CBD wurde kürzlich in den USA (2018) und Europa (2019) zur Behandlung angeborener Formen der Epilepsie zugelassen. Erfahrungen der meisten Ärzte mit CBD sind daher noch jung, zum Unterschied zu Erfahrungen mit psychotomimetischen Cannabinoiden wie Dronabinol (delta-9-Tetrahydrocan- nabinol, THC), dem ebenfalls psychotomimetischen, nicht in der Natur vorkom- menden Nabilon (Canemes®) und der Mischung zweier aufgereinigter Extrakte, Nabiximols (Sativex®) mit einem THC:CBD Verhältnis von ca. 1:1. Da letztge- nannte Cannabinoide schon länger bei der Behandlung chronischer Schmerzen
eingesetzt werden, haben Schmerztherapeuten über viele Jahre Gelegenheit gehabt, sich mit den besonderen Eigenschaften der Cannabinoide vertraut zu machen. Auch vor der erwähnten europäischen Zulassung war hochreines, kristallines CBD in Ös- terreich bereits eine magistral verschreibbare Substanz und wurde von Fachärzten der Anästhesie und Intensivmedizin einge- setzt (Likar 2016). Der Wirkstoff entspricht den Qualitätskriterien des Deutschen Arzneimittel-Codex und ist nicht mit sogenann- ten „CBD-Ölen“, die Extrakte sind, zu verwechseln. Basierend auf eigenen Erfahrungen mit CBD, wurde auf Ersuchen der Eltern und unter neurologischer sowie pädiatrischer Begleitung die Einstellung von Patienten mit CBD vorgenommen, mit durchwegs markanten Verbesserungen des klinischen Zustands. Diese Fälle sind im Folgenden kurz beschrieben.
Fall 1
Weiblich; kurz nach der Geburt 2011 traten Klonien auf. Alle Untersuchungen (MRT, Genetik) waren negativ. In der weiteren Fol- ge wurde die Diagnose „BNS-Epilepsie (Blitz-Nick-Salaam Epilepsie, West Syndrom) mit rezidivierenden asymmetrischen to- nisch-myoklonischen Anfällen“ gestellt. Zum Zeitpunkt des Beginns der Medikation mit CBD war das Mädchen sechs Jahre alt, hatte täglich bis zu zehn Anfälle mit einer Dauer von zwei bis zehn Minuten und einen ausgeprägten Entwicklungsrückstand. In der EEG-Untersuchung vor CBD, 2017, zeigte sich eine deutliche Befundverschlechterung mit einem aktiven epileptogenen Herd rechts fronto-temporal mit gelegentlicher Ausbreitung nach links frontal. Aufgrund von Ernährungsproblemen musste eine PEG-Sonde gelegt werden. Die antiepileptische Therapie vor CBD wurde wegen unbefriedigender Kontrolle der Anfälle laufend geändert (Sabril: Oktober bis Dezember 2011; Topamax: Dezember 2011 bis Jänner 2012; ACTH 40 Eh/m2 Körperoberfläche: Dezember 2011; Cortisonstoßtherapie über mehrere Monate im Jahr 2013; Depakine 300 mg/ml 30-30-30 Tropfen: ab Dezember 2011). Nach Ansicht der Neurologen bestand mit herkömmlichen Antiepileptika keine Aussicht auf Besserung. Die Eltern infor- mierten sich über Alternativen und kamen so auf CBD. Beginn 2017 wurde eine Begleittherapie mit CBD gestartet, anfänglich mit CBD 30 % 1/4-0-1/4 ml (75 mg-0-75 mg), dann auf 1/2 -0-1/2 ml (150 mg-0-150 mg) gesteigert, bei guter Verträglichkeit. Die Steigerung der Dosierung erfolgte unter strenger Kontrolle von Wirkung und etwaigen Nebenwirkungen. Die Anfallsdauer, -inten- sität und auch -frequenz wurde erkennbar reduziert. Das Kind wurde wacher, begann zu fixieren und schaute Menschen nach. Es wurde insgesamt aufmerksamer in der Wahrnehmung und reagierte auch diesbezüglich anders als in den Monaten davor. Kleine Mahlzeiten konnten nun auch oral eingenommen werden. Schon in den ersten zwei Monaten der Behandlung traten nur mehr drei Anfälle mit einer Dauer von circa zwei Minuten in geringer Intensität und mit kurz andauerndem postepileptischem Dämmerzustand auf.
Im Rahmen eines Wachstumsschubes wurden die Anfälle etwas häufiger und deren Intensität etwas stärker, sodass CBD 30 % auf 3/4-0-3/4 ml (225 mg-0-225 mg) in der Dosierung erhöht wurde, wiederum mit einem sehr positiven Resultat. Die Anfälle tra- ten nur sehr selten in Erscheinung – etwa 1 bis zwei Anfälle in drei Monaten. Depakine (300 mg/ml) konnte ohne Verschlechte- rung der Symptomatik auf 15-15-15 Tropfen reduziert werden. Aufgrund der adäquaten Dokumentation der Ausgangssituation und des Behandlungserfolges wurde die Weiterverordnung von CBD 30 % durch die Krankenkasse unterstützt.
Fall 2
Männlich; im Alter von vier Monaten fiel erstmals eine Entwicklungsverzögerung auf. Es zeigte sich eine mangelnde Kopfkontrol- le und Probleme in der visuellen Wahrnehmung. Schließlich wurde die Diagnose einer globalen Entwicklungsverzögerung und mikrozephalen Entwicklung mit schwerer Koordinationsstörung im Zusammenhang mit einer Polymikrogyrie gestellt. Wiederholt traten Blickdeviationen als Zeichen cerebraler Anfälle auf, deren Dauer, Häufigkeit und Intensität stetig zunahm. Im Alter von ei- nem Jahr wurde eine Behandlung mit Keppra (100 mg/ml 2 x ½ ml) begonnen und letztendlich wegen unbefriedigender Be- handlungsergebnisse auf 2 x 4,5 ml gesteigert. Dabei kam es zu deutlichen Nebenwirkungen wie Ataxie und Tremor. Zur Kupie- rung der Anfälle wurde Stesolid rektal verabreicht. Der Patient zeigte tagsüber mehrmals Phasen von Absencen mit einer Dauer bis zu 30 Minuten, zwei bis sechs Anfälle pro Monat mit einer Dauer von zehn bis 25 Minuten und einem postepileptischen Däm- merzustand von circa einer Stunde. Er war häufig unruhig und weinerlich. Die Eltern sahen aber, dass er dazwischen eine Form von Interesse und Aufmerksamkeit zeigte. Er begann Laute zu formen. Die Feinmotorik war stets deutlich reduziert. Nachdem die bisherige Behandlung nur unbefriedigende Ergebnisse zeigte, interessierten sich die Eltern für einen Therapieversuch mit CBD als Co-Medikation, die im Alter von sieben Jahren, vor nunmehr zwei Jahren, gestartet wurde [CBD 30 % 1/4-0-1/4 ml (75 mg-0-75 mg) – ca. 6 mg/kg Körpergewicht/die]. Bei guter Verträglichkeit wurde auf 1/2 -0-1/2 ml (150 mg-0-150 mg) gesteigert. Unter dieser Therapie haben sich die Anfallsdauer, -intensität und auch -frequenz erkennbar reduziert. Der Bub wurde wacher, begann zu fixieren und sich mit Gegenständen zu beschäftigen. Er wurde insgesamt aufmerksamer in der Wahrnehmung. Die Absencen nahmen ab, das Weinerlichsein sistierte vollständig. CBD 30 % wurde auf insgesamt 1-0-1 ml (300 mg-0-300 mg) pro Tag erhöht, mit einem sehr positiven Resultat. Anfälle traten nur mehr sehr selten in Erscheinung (ein Anfall von kurzer Dauer im Abstand von circa drei bis vier Wochen).
Keppra wurde in der Dosierung von neurologischer Seite unverändert beibehalten, um den Erfolg der Behandlung nicht zu ge- fährden und eine Stabilisierung herbeizuführen. Eine Dosisreduktion ist jedoch vorgesehen. Insgesamt zeigte sich eine deutliche Verbesserung der visuellen und auditiven Wahrnehmung, bessere motorische Fähigkeiten und eine deutlich verbesserte Ent- wicklung des Kindes. Der Bub ist nunmehr wacher, aufmerksamer und reagiert in annähernd adäquater Form. Aufgrund der gu- ten Dokumentation der Ausgangssituation und des Behandlungserfolgs wurde die Verordnung von CBD 30 % durch die Kasse unterstützt.
Fall 3
Männlich; der Patient leidet seit Geburt an einer cerebralen Bewegungsstörung im Sinne einer beinbetonten Tetraspastik. Er hat keine sprachliche Kommunikationsfähigkeit, keine Stuhl- oder Harnkontrolle, selbständiges Essen ist nicht möglich, ebenso we- nig wie eine selbstständige Lageänderung. Er ist maximal in der Entwicklung retardiert und benötigt eine permanente, intensive Betreuung durch die Mutter. Laufende EEG-Kontrollen zeigten keine Verbesserung. Im Alter von 15 Jahren kam eine Epilepsie hinzu, die primär mit Convulex in steigender Dosierung behandelt wurde. Anfälle bis zu einer Dauer von 20 Minuten traten bis zu viermal pro Tag, in unterschiedlicher Intensität auf. Der postepileptische Dämmerzustand hielt bis zu einer Stunde an. Die Sorge und die Belastung der Eltern wurden dadurch massiv verstärkt.
Eine Rotation von Convulex auf Depakine chron. Ret. Granulat 250 mg-0-500 mg wurde 2012 durchgeführt, mit nur minimaler Besserung der Symptomatik, trotz Dosisadaptierung. Bei Behandlungsbeginn mit CBD, 2019, hatte der Patient eine Körpergröße
von 155cm und ein Gewicht von 35 kg. CBD (30 %-ige Lösung) wurde zunächst in einer Dosis von 1/2-0-1/2 ml (150 mg-0-150 mg) verabreicht und bei guter Verträglichkeit auf 3/4-0-3/4 ml (225 mg-0-225 mg) gesteigert. Die Steigerung der Dosierung er- folgte unter strenger Kontrolle von Wirkung und möglichen Nebenwirkungen. Die Anfallshäufigkeit nahm deutlich ab. Schon in den ersten drei Monaten der Behandlung traten nur mehr 4 Anfälle mit einer Dauer von maximal circa vier Minuten, in geringer Intensität und mit kurz andauerndem postepileptischem Dämmerzustand auf. Nach Angaben der Eltern haben sich insgesamt Anfallsdauer, -intensität und auch -frequenz erkennbar reduziert. Dies bedeutete eine enorme psychische Entlastung der Eltern. Da sich circa ein Dreivierteljahr nach Behandlungsbeginn die Anfälle vor allem nachts zeigten, wurde CBD 30 % abends auf
1 ml (300 mg) in der Dosierung erhöht, mit wiederum einem sehr positiven Resultat. Die Anfälle wurden weniger – nur mehr ein bis drei Anfälle in drei Monaten. Depakine wurde in der Dosierung von neurologischer Seite unverändert beibehalten, um den Erfolg der Behandlung nicht zu gefährden und eine Stabilisierung herbeizuführen. Eine Dosisreduktion ist jedoch vorgesehen. Aufgrund der adäquaten Dokumentation der Ausgangssituation und des Behandlungserfolges wurde die Verordnung von CBD 30 % durch die Kasse unterstützt.
Der Wirkmechanismus von CBD ist sehr komplex und im Detail nach wie vor nur ungenügend bekannt (Nahler et al., 2019). Im Zusammenhang mit antiepileptischen Effekten dürfte die Interaktion von CBD mit GABA-Rezeptoren, dem G-protein-coupled re- ceptor-55 (GPR55), dem TRPV1 Ionenkanal, dem equilibrative nucleoside transporter 1 (ENT-1) und die Inhibierung der Adeno- sin-Wiederaufnahme eine Rolle spielen (Gray, Whalley 2020; Ben Zeev 2020).
Bei der Co-Medikation mit CBD ist dessen Inhibierung von Enzymen des Cytochrom P450 Komplexes der Leber zu berücksichti- gen. CBD kann somit die Blutspiegel von Medikamenten, die ebenfalls von CYP3A4 und CYP2C19 metabolisiert werden, erhö- hen. Daher empfiehlt sich eine schrittweise Dosisanpassung mit einer Steigerung nicht früher als nach drei bis vier Tagen unter Kontrolle von Wirkung und Nebenwirkungen. Nebenwirkungen, die auf CBD zurückzuführen gewesen wären, wurden nicht be- obachtet. Insgesamt ist CBD gut verträglich, auch in höherer Dosierung.
Literatur:
Ben Zeev B., Medical Cannabis for Intractable Epilepsy: a review. Rambam Maimonides Med J 2020; 11 (1): e0004. Review. doi:10.5041/RMMJ.10387
Gray RA, Whalley BJ. The proposed mechanisms of action of CBD in epilepsy. Epileptic Disorders 2020; 22 (Suppl. 1): S10-S15. PMID: 31919042
Likar R. Cannabidiol: Schmerzreduktion bei therapieresistenten Fällen. Universum Innere Medizin 2016; 08/16:96-97.
Nahler G, Jones T, Russo EB. Cannabidiol and contributions of major hemp phytocompounds to the “Entourage Effect”; possible mechanisms. J Altern Complement Integr Med 2019; 5: 070. DOI: 10.24966/ACIM-7562/100070
S
ilvestro S, Mammana S, Cavalli E, et al. Use of Cannabidiol in the Treatment of Epilepsy: efficacy and security in clinical trials. Molecules 2019 Apr 12; 24(8). pii: E1459.