Quarantäne, Kontaktreduktion, Homeoffice und auf engs- tem Raum mit der Familie oder komplett isoliert – das sind nur einige Themen, die während der Coronakrise viele von uns an ihre Grenzen gebracht haben. Und nicht jeder konnte und kann damit gleich gut umgehen.
In einer für uns alle komplett neuen Art von Ausnahmesituation ist es ganz normal, dass man angespannter ist, sich eventuell vor einer Ansteckung fürchtet und die Stimmung möglicherweise etwas gedrückter empfindet. Menschen, die im Grunde genommen, ihre Emotionen gut selbst regulieren können und über ein gesundes Repertoire an Resilienz stärkenden Coping-Strategien verfügen, können relativ schnell wieder in ein angemessenes Gleichgewicht finden, auch wenn die Pande- mie in irgendeiner Form ständig präsent ist.
Wenn Menschen oder deren Angehörige bemerken, dass sich ihre dysphorische Stimmung seit mindestens zwei Wochen überhaupt nicht verändert hat, es kaum
Ausnahmesituationen von dieser gedrückten Stimmung gibt, sie durch nichts „aufzumuntern“ sind und über verminderten Antrieb, Freudlosigkeit, fehlendes Interesse an der Welt, den Nachrichten, ihren Mitmenschen sowie über Konzentrationsbeeinträchtigung und verminderte Aktivität klagen, sollte man an eine Depression denken. Auch körperliche Symptome, wie ausgeprägte Müdigkeit, Schlafstörungen, Appetitstörungen – entweder Appetitlosigkeit oder Heißhungerattacken –, Ruhelosigkeit, plötzlicher Libidoverlust sowie vermindertes Selbstwertgefühl oder Selbstvertrauen, können auf eine Depression hinweisen.
Kurzfristig Symptome lindern
Fakt ist, dass die meisten depressiven Menschen, vor allem, wenn die körperlichen Symptome der Depression im Vordergrund stehen, als erstes beim Hausarzt vorstellig werden. Viele denken bei Ruhelosigkeit, Schlafstörungen und Müdigkeit zuerst daran, dass sie ein Beruhigungsmittel benötigen. Die psychischen Symptome werden oftmals nicht wahrgenommen, was auch teilweise dem Wesen der Depression entsprechen kann. Dabei kann man sowohl die Verbindung zu sich selbst als auch zu seinen Mitmen- schen verlieren. Entsprechend dem Patientenwunsch werden oft schon leichte Depressionen medikamentös behandelt. Eine Symptomlinderung kann einsetzen, aber langfristig kann kein Heilungseffekt erzielt werden, denn das zugrundeliegende Problem ist dadurch nicht gelöst. Fazit: Die Beschwerden können so langfristig bestehen bleiben und sich unter Umständen sogar noch verschlimmern.
Je nach Schweregrad einer Depression – leicht, mittelgradig oder schwer – gestaltet sich das Angebot professioneller Hilfe. Bei leichten bis mittelschweren depressiven Symptomen kann es ausreichend sein, sich psychische Unterstützung (bei den geset- zlich dafür berechtigten Behandlern) zu holen: Klinisch psychologische Behandlung bei einem Klinischen Psychologen oder psy- chotherapeutische Unterstützung von einem Psychotherapeuten oder Arzt mit Psy-Diplom oder einem Psychiater. Sollte sich während der Behandlung herausstellen, dass die psychologische oder psychotherapeutische Unterstützung alleine nicht mehr ausreichend ist, wird der Patient an einen Psychiater oder den eigenen Hausarzt überwiesen, um die Behandlung medikamentös zu ergänzen.
Refundierungsmodell erforderlich
State of the Art im Sinne eines Best-Practice-Modells in der Behandlung von schweren bis mittelschweren Depressionen ist immer eine Kombination aus psychologischer und medikamentöser Behandlung. Die ärztliche Unterstützung ist mittels e-card erhältlich, die psychologische noch nicht. Es widerspricht meinem Selbstverständnis als Klinische Psychologin, dass unsere evi- denzbasierten, zielgerichteten sowie nachhaltig wirksamen Leistungen, basierend auf fundierter Diagnostik sowie einer Ausbil- dungszeit von rund 10.000 Stunden (Studium + theoretische/praktische Fachausbildung), noch immer nicht die Aufnahme ins ASVG gefunden haben. Im Zeitalter biopsychosozialer Medizin und psychoneuroimmunologischer Forschungsergebnisse sollte unser Denken weg vom biomedizinischen Reparaturverständnis hin zu einem vermehrten Einbezug psychologischer Aspekte in der Behandlung von Patienten führen.
Bei Menschen, die bereits an Angst- oder Zwangsstörungen, Sozialphobien oder Depressionen gelitten haben, ist tendenziell eine Verschlechterung ihres Zustandes während der Coronakrise zu beobachten gewesen. Der zusätzliche Stress durch die virale Bedrohung, der Lockdown, das Physical Distancing, Strukturlosigkeit, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit und Zukunftsängste haben eher zu einer Verstärkung der Symptome sowie zu „Rückfällen“ in ursprüngliche Zustände geführt. Dadurch wurden zum Teil sehr hart erarbeitete Fortschritte wieder zunichte gemacht.
Im Vergleich zu psychisch gesunden Menschen sind psychisch vulnerable Menschen bereits „angeschlagen“. Sie werden durch so ein gewaltiges Ereignis wie eine Pandemie noch viel härter getroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht. In dieser Zeit war das psychologische „Auffangnetz“ wichtiger denn je.
Zu Beginn der Pandemie, als es noch wenige Informationen und viele drastische Bilder aus China und Italien gab, stand am Be- ginn jedes einzelnen Gespräches die Angst vor dem Unbekannten. Die sachliche Aufklärung, das gemeinsame Reflektieren, wo dieser Mensch vor dem Tag X in seinem Leben stand, wo er glaubt jetzt zu stehen, umrahmt vom Nichtwissen, was der nächste Tag, die nächsten Wochen und Monate, für ihn für uns alle, bringen werden.
Berufstätige in Homeoffice, vor allem Alleinerziehende, haben sich teilweise komplett überfordert gefühlt. Aus Angst, den Job zu verlieren, haben viele noch mehr gearbeitet als vorher – nur diesmal hauptsächlich nachts, wenn die Kinder geschlafen haben. Die Behandlung von Menschen, die sich gerade in suizidalen Krisen befanden, stellte hier die größte Herausforderung dar.
Herausforderung: Onlineberatung
In der Onlinebetreuung ist nur der Kopf oder der obere Brustbereich sichtbar. Sämtliche körpersprachlichen Informationen wie Sitzposition, Stellung der Beine, Handgesten, Atmungsbewegung des Bauches oder Brustbereiches, etwaiges Transpirieren, die feine Mimik, sind nicht erkennbar. Gerade darin stecken für uns Psychologen jedoch äußerst wichtige Informationen. Die „Telepsy- chologie“ stellt, aus meiner persönlichen Sicht, für solche Notzeiten ein akzeptables Mittel dar, um Menschen in schwierigen Zeit- en psychologische Unterstützung anbieten zu können, kann aber eine Face-to-face-Behandlung niemals ersetzen.
Depressive Menschen können oftmals nicht benennen, was ihnen in der Krisenzeit guttun würde. Daher kann es helfen, ein paar Vorschläge zu machen, jedoch braucht es Fingerspitzengefühl, um sie nicht zu überfordern. Die freundliche Frage: „Was kann ich heute für dich tun?“ kann hier eventuell hilfreich sein. Zumindest einmal im Tag sollten vor allem Alleinstehende angerufen werden. Bewährt hat sich eine bestimmte Uhrzeit, denn dann kann sich derjenige schon darauf einstellen und freuen. Der Gesprächsinhalt mit Depressiven sollte vordergründig nicht die Frage beinhalten, wie es ihm geht. Besser ist es zu fragen, was dieser gerade macht oder gestern gemacht hat. Damit muss er überlegen, was er denn tun könnte, damit er beim nächsten Gespräch etwas zu erzählen hat – ein Weg, der aus der Passivität in die Aktivität führen kann.
Gerade depressive Menschen brauchen ein hohes Maß an Strukturangeboten, eine Art Stundenplan. Jedoch einen, der es ihnen erlaubt, flexibel, angepasst an die jeweilige Tagesverfassung, darauf zu reagieren – eine Richtschnur, an der sie sich orientieren können, damit sie sich weder unterfordert noch überfordert fühlen. Unterforderung kann negative Empfindungen und somit die Depression noch verstärken, weil Erfolgserlebnisse und damit die Ausschüttung des Belohnungshormons Dopamin fehlen. Über- forderung kann in die Abwärtsspirale des Selbstwertgefühls führen. Für eine gute Anleitung, Vorschläge für diesen „Stundenplan“, braucht es sehr viel Augenmaß, gute Kenntnis des Patienten sowie eine vertrauensvolle, tragfähige Beziehung. Jeder kleinste Fortschritt ist wichtig, bemerkt und vor allem beachtet und belobigt zu werden.