Seit einigen Wochen herrscht Unruhe unter den seit vielen Jahren im Haus lebenden Mietern. Die alte Eigentümerfamilie – der längst verstorbene Ur-Großvater hatte einst das Zinshaus ganz nach seinen persönlichen Vorstellungen errichten lassen – habe das Haus an einen neuen Privatinvestor verkauft. Sein Plan sei, die jahrelangen Mieter zu kündigen, um mit seiner Familie in das neu erworbene Schmuckstück einziehen zu können. Eigenbedarfskündigung, kaum jemand wagt es allerdings, dieses Wort aus- zusprechen. Auch der im ersten Stock ordinierende Kinderarzt ist besorgt. Die Ordination floriert, der Patientenstock ist groß – die vielen Neubauten in der Umgebung haben viele Jungfamilien angezogen. Einen neuen, vergleichbaren Standort zu finden würde mehr als schwer werden. Muss sich der Kinderarzt Sorgen machen? Auf den Punkt gebracht: Nein.
Rechtsprechung bei Eigenbedarfskündigung
Seit der Jahrtausendwende ist die Rechtsprechung in Sachen Eigenbedarfskündigung zwar deutlich vermieterfreundlicher ge- worden. Daher ist die Eigenbedarfskündigung heute eine der häufigsten Kündigungsgründe – allerdings nur, wenn die Wohnung dem Voll- oder Teilanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes (MRG) unterliegt. Fällt die Immobilie nicht unter das Mietrechts- gesetz, können Mietverträge vom Vermieter generell – ohne Angabe von Gründen aufgekündigt werden.
Doch hier liegt ein spezieller Fall vor: Selbst bei berechtigtem Eigenbedarf könnte der Käufer dem Arzt nicht aus seiner Woh- nung kündigen. Denn jeder neue Eigentümer muss eine Frist von zehn Jahren ab Kauf abwarten, bevor er Eigenbedarf geltend machen kann.
Wie aber sieht es aus, wenn der Eigentümer an keine Fristen gebunden ist? Laut Rechtsprechung liegt ein Kündigungsgrund wegen Eigenbedarfs vor, wenn …
...sich der Gesundheitszustand des Vermieters so verschlechtert, dass er seine bisherige Wohnung nur noch mit Schmerzen be- nutzen kann und die vermietete Eigentumswohnung besser geeignet wäre.
...der Vermieter beziehungsweise dessen Kind oder Enkelkind die Wohnung braucht, um eine Familie zu gründen. Dabei ist es unerheblich, ob zum Kündigungszeitpunkt die einziehende Person bereits einen Partner oder Nachkommen hat.
...sich die Tochter oder der Sohn des Vermieters vom Partner trennt, die gemeinsame Wohnung auflöst und nun eine eigene Wohnung braucht.
Gericht wiegt Interessen ab
Obwohl der Gesetzgeber von einem wichtigen, dringenden Grund spricht, liegt es im Ermessen der Gerichte, den Eigenbedarf anzuerkennen. Das heißt bei der gerichtlichen Entscheidung werden die aktuelle Wohnsituation des Vermieters oder des Ange- hörigen sowie die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt. Ausreichend waren bislang Fälle, in denen die Kinder des Vermieters im Studentenwohnheim oder bei ihrem bisherigen Lebenspartner wohnten und dort ausziehen möchten. Häufig ist es außerdem der Pflegebedarf Angehöriger, der als Begründung für die Eigenbedarfskündigung herangezogen wird. Wenn ein Angehöriger pflegebedürftig wird und in die Wohnung einziehen soll, sodass sich der Vermieter um ihn kümmern kann, stellt dies einen berechtigten Grund für Eigenbedarf dar.
Der Vermieter muss also gegenüber dem Gericht glaubhaft machen, dass ein dringender Eigenbedarf besteht. Bei einer Eigen- bedarfskündigung prüft das Gericht, ob die Interessenabwägung zugunsten des Vermieters ausfällt. Im Kern geht es um die Frage, ob dem Vermieter durch die Aufrechterhaltung des Mietvertrags ein unverhältnismäßig größerer Nachteil entstehen wür- de. Benötigt der Vermieter die Wohnung für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie, muss er seinem Mieter zudem eine Ersatzwohnung beschaffen. Dieses Recht kann sich der Mieter in barer Münze ablösen lassen.
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