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Auf der einen Seite steht nach wie vor das unmittelbare ärztliche Tun – zuhören, angreifen, abhören, interpretieren von Befunden, der Kontakt mit Patienten und Angehörigen. Auf der anderen Seite eröffnen sich mit der Digitalisierung Möglichkeiten, die künftig die Arbeit der Kardiologen völlig verändern werden.
Fitness- und Gesundheits-Apps können durchaus dabei unterstützen, Menschen zu einem herzgesunden Lebensstil zu motivieren, zum Beispiel Schrittzähler, Blutdruck- oder Trainingsapps. Davon gibt es bereits rund 14.000 und ihre Wertigkeit ist unbestritten. Die Nachteile: Laien haben es manchmal schwer, die Daten der verschiedenen Tools richtig zu interpretieren. Da sind auch Diagnose-Apps oft keine Hilfe. Und: Wer einen Hang zur Hypochondrie hat, belastet sich unter Umständen unnötig mit den Befunden von Dr. Smartwatch. Eine gute Arzt-Patienten-Beziehung ist daher auch in Zeiten der Digitalisierung nach wie vor wichtig.
Weiter Anwendungen der Technologien sind das Telemonitoring von EKG in der Sekundärprävention nach Myokardinfarkten oder bei der Teleme- dizin in der Notfallmedizin. Den ganz großen Sprung nach vorne wird die Medizin aber durch Big Data machen. Und dann könnte es schon bald heißen „Algorithmus schlägt Stethoskop“. Maschinenlernalgorithmen, basierend auf gewaltigen Datenmengen, haben auch in der Kardiologie enormes Potenzial.
Herzultraschall-Untersuchungen sind beispielsweise durch Maschinenlernalgorithmen in der Diagnostik besser als selbst erfahrene Echokardio- grafen. Für manche alten, arrivierten Kardiologen unter uns mag das schon ein bisschen bitter sein, aber ich sehe auch eine enorme Chance dar- in, die Medizin qualitativ hochwertiger zu machen.
Bessere Vorhersagen möglich
Was die Arbeit mit Daten bewirken kann, zeigen die Ergebnisse des EU-Projekts PROFID („Personalized Risk Prediction for Sudden Cardiac De- ath“): Unter Einsatz von Maschinenlernalgorithmen wurde eine Neuanalyse der existierenden Evidenz zum plötzlichen Herztod vorgenommen. Nun gibt es eine bessere Prädiktion von bedrohlichen Herzrhythmusstörungen. Für die Praxis heißt das, dass wir künftig kardiale Implantate noch ge- zielter einsetzen können. Für die Patienten wird es sicherer, ihre Überlebenschancen steigen.
Digitalisierung kann in Zukunft auch bei der Medikamentengabe im Krankenhaus unterstützen. Dann werden Arzneien nicht mehr durch die Zen- tralapotheke ausgeteilt, sondern computergestützt über Maschinen. Dadurch ist auch menschliches Versagen ausgeschlossen und der Computer analysiert auch mögliche Interaktionen der Medikamente und schlägt Alarm, wenn die Dosis nicht stimmen kann. Auch damit lässt sich die Patien- tensicherheit deutlich erhöhen.
Für die Herzchirurgie ist die Leistung von 3-D-Druckern ein Fortschritt. Mit ihrer Hilfe können vor komplizierten Eingriffen Herzmodelle angefertigt und die bevorstehende Operation noch präziser vorbereitet werden. Vielleicht schaffen wir mit der fortschreitenden Digitalisierung endlich auch eine elektronische Krankenakte im Spital und die Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen – zum individuellen Vorteil der Patienten, aber auch, um größere Datenmengen zu Forschungs- und Planungszwecken zu gewinnen.
Datenschutz und Datensicherheit
Individuellere, zielgerichtete und sicherere Medizin sind also wesentliche Ziele der Digitalisierung in der Kardiologie. Doch es gibt zu Recht auch Bedenken, was die Risiken einer datengetriebenen Medizin betrifft, in der zunehmend Computer das Sagen haben. Da sind einmal die großen Themen Datenschutz und Datensicherheit: Mit der EU-Datenschutzgrundverordnung vom 25. Mai 2018 ist der Datenschutz optimiert und das Recht auf Dateneigentum und Selbstbestimmung festgelegt worden – übrigens auch das Recht auf Vergessen von medizinischen Daten von Pati- enten, die bei einem Arztbesuch oder Spitalsaufenthalt erhoben wurden. Dennoch sind alle Player im Gesundheitswesen besonders gefordert, sich vor Internetkriminalität zu schützen. Die Digitalisierung kann sonst zur neuen Achillessehne des Gesundheitswesens werden.
Einer Studie der Roland-Berger-Stiftung zufolge wurden bereits 64 Prozent aller deutschen Kliniken Opfer von Cyberattacken und Hackerangriffen. Erpresserische Cyberattacken können – wie bereits in Nordrhein-Westfahlen passiert – ein ganzes Krankenhaus lahmlegen. Begehrt sind auch die Daten von Versicherten und Patienten, denn sie können Unangenehmes beinhalten, wie Alkoholsucht, Prädisposition zu bestimmten Erkrankungen oder den Aufenthalt in Psychiatrien. Für maximale Sicherheit müssen wir daher alle erdenklichen Vorkehrungen treffen, dezentrale Netzwerke nut- zen und das Personal entsprechend schulen.
Risiko der Entmenschlichung
Eine Gefahr ist eine mögliche Entmenschlichung der Medizin durch Digitalisierung. Eine Software mag vielleicht umfassender Daten analysieren als ein Mensch, automatisierte Patientenbriefe mögen einen Teil des Informationstransfers gut abdecken, aber: Eine vertrauensvolle Arzt-Patien- ten-Beziehung ist äußerst wichtig, gerade für herzkranke Patienten. Sie brauchen Zuwendung und ein kompetentes Gegenüber, das ausreichend Zeit hat, um Bedenken und Ängste in Ruhe zu besprechen. Vernünftig und verantwortungsbewusst eingesetzte Artificial Intelligence und Online- medizin sollte Kardiologen unterstützen, aber nicht ersetzen wollen!