MEDIZIN | Diabetes
fotoS: beim verfasser / über TherapieAktiv
Diabetisches Fußsyndrom
Der Begriff Diabetisches Fußsyndrom fasst unterschiedliche Krank- heitsbilder zusammen – von einem nicht infizierten Ulkus, seiner häu- figsten Manifestation, bis hin zur schwerwiegendsten Fußkomplikati- on, der diabetischen Charcot-Osteoarthropathie.
Die häufigste Manifestation des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) ist das diabetische Fußulkus. Die Prävalenz liegt je nach Länderstatistik zwischen 2 und 10 %. Zwei Drittel aller nichttraumatischen Amputationen werden in Österreich an Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt. In 85 % der Fälle geht diesen Amputationen ein Fußulkus voraus.
Eine wesentliche Rolle in der Ätiopathogenese von Ulzerationen spielt die sensorische Neuropathie, Neuropathie mit einem Verlust der Wahrnehmung von Verletzungen oder anderen schädigenden Einflüssen, da sie offenbar „das üblicherweise zwischen Arzt und Patient funktionierende Alarmsystem (Schmerz) außer Kraft setzt und beide Beteilig- ten nicht schnell und entschlossen genug reagieren“, wie es Risse bereits 1999 formu- lierte.
Die Haut des neuropathischen Fußes ist durch die autonome Neuropathie trocken und somit gegenüber Traumata weniger wi- derstandsfähig. Durch die motorische Neuropathie kommt es zu einer Atrophie der Fußmuskeln mit daraus resultierenden Fuß- formveränderungen. Dies führt zu einer Beeinträchtigung des Gangbildes und einer plantaren Druckumverteilung. Es entste- hen Areale mit erhöhtem plantarem Druck vor allem im Bereich der Metatarsale-Köpfchen sowie apikal und dorsal an den Ze- hen. In der Folge entwickelt sich oft überschießende Hornhaut, welche wiederum selbst druckauslösend und für Ulzerationen verantwortlich sein kann. Die zweithäufigste Ursache für Ulzerationen sind Mikrotraumata, vor allem durch falsches Schuhwerk.
Tritt ein Fußulkus beim Diabetiker auf, ist die Differentialdiagnose wichtig, ob es sich um eine primär neuropathische durch die Makroangiopathie oder gemischt-bedingte Läsion handelt. Primär neuropathische Läsionen zeigen eine typische Lokalisation plantar und ein typisches morphologisches Bild. Das neuropathische Ulkus präsentiert sich rund – wie ausgestanzt – mit einer Hyperkeratose. Der Patient hat meist keine Schmerzen.
Ulzerationen-Therapie bei Diabetikern
Therapieziel ist nicht in jedem Fall das vollständige Abheilen der Ulzeration. Manchmal stehen auch die Erhaltung der Mobilität bzw. eine Amputations- und Infektionsvermeidung im Vordergrund. Wenn eine Abheilung des Ulkus erreicht werden soll, ist die absolute Druckentlastung die wichtigste Therapiemaßnahme. Goldstandard in der Ruhigstellung neuropathischer Ulzerationen ist der Vollkontaktgips. Der Gefäßstatus ist bei jedem Diabetiker mit einer Fußläsion zu evaluieren. Gegebenenfalls sollte eine Revaskularisation durchgeführt werden.
Ein weiteres Standbein der Ulkusbehandlung ist die Lokaltherapie. Bei neuropathischen Ulzerationen ist eine stadiengerechte feuchte Wundbehandlung angezeigt. Die Verbandsauswahl erfolgt je nach Wundstadium und Exsudation der Wunde. Trocke- ne Nekrosen sollten eher trocken gehalten werden.
Höchste Aufmerksamkeit ist auf die Wundinfektion zu richten. Bei jedem Verbandswechsel sollte daher auf lokale Infektionszei- chen wie eine Rötung, Überwärmung und Schwellung geachtet werden. Treten solche Zeichen auf, muss die Infektion klassifi- ziert werden. Unterschieden wird hier zwischen milder, modera- ter und schwerer Infektion. Die Dauer der Antibiotikatherapie richtet sich danach aus: Milde und moderate Infektionen werden im Regelfall zwei Wochen, eine schwere Infektion drei Wochen therapiert. Wurde eine Infektion als schwer klassifiziert, ist eine stationäre Behandlung indiziert und gegebenenfalls muss auch eine akut chirurgische Intervention evaluiert werden.
Da am Fuß immer die Gefahr einer Osteomyelitis besteht, sollte bei jedem Ulkus eine „probe to bone“ durchgeführt werden. Kann der Knochen nicht getastet werden, ist eine Knocheninfek- tion unwahrscheinlich. Bei Knochenkontakt muss eine weitere Abklärung mittels Röntgten bzw. bei unklarem Befund mittels Magnetresonanz erfolgen. Konnte eine Osteomyelitis diagnosti- ziert werden, kann eine konservative Therapie mittels Antibiose für sechs Wochen versucht werden. Wenn nach sechs Wochen
Antibiotikatherapie weiterhin Knochenkontakt besteht, sollte die chirurgische Sanierung in Betracht gezogen werden.
Diabetische Charcot-Osteoarthropathie
Die diabetische Charcot-Osteoarthropathie (DNOAP: diabetische Neuro-Osteoarthropathie) ist die komplexeste und schwerwie- gendste Fußkomplikation. Sie ist häufig mit Amputationen assoziiert. Es handelt sich dabei um eine progressive und destruktive Arthropathie einzelner Gelenke und/oder Knochen.
Die Ätiopathogenese ist noch nicht geklärt, die Inzidenz liegt bei 0,3 % pro Jahr. Patienten mit einem Charcot-Fuß präsentieren sich mit einem roten, geschwollenen, überwärmten Fuß. Frakturen führen zu einer Fußdeformität. Bis zu 15 % der Patienten emp- finden Schmerzen.
Die Diagnose kann nur klinisch erfolgen. Die wichtigste Differentialdiagnose ist das Erysipel, wobei Patienten mit einem Charcot- Fuß keine bakteriellen Infektionszeichen aufweisen. In der Bildgebung wie Röntgen oder Magnetresonanztomografie ist die Er- krankung nur schwer von einer Osteomyelitis zu unterscheiden.
Therapeutisch ist die sofortige absolute Druckentlastung mittels Vollkontaktgips für drei bis zwölf Monate die aktuell einzige zur Verfügung stehende Behandlungsoption. Beim akuten Charcot-Fuß besteht immer die Gefahr von neuerlichen Frakturen und dem Auftreten von Fußdeformitäten, die in weiterer Folge zu Ulzerationen und Amputationen führen können. Ziel ist es, den akuten Charcot in eine chronische inaktive DNOAP zu überführen. Dies kann angenommen werden, wenn der Hauttemperaturunter- schied zum „gesunden“ Fuß unter zwei Grad Celsius liegt. Dann ist eine Vollbelastung des Fußes möglich. Als Sekundärprophyla- xe für Ulzerationen bzw. einem Charcot-Rezidiv ist das dauerhafte Tragen von hohen orthopädischen Maßschuhen angezeigt.