GVA, Kur & Präventivmedizin Erschöpfungssyndrom

Balneomedizinische Kur bei akuter

und chronischer Erschöpfung

FOTO: ADOBE STOCK/ ROBERT KNESCHKE

Die komplexe balneomedizinische Kur und die iterative Anwendung der ortsgebundenen natürlichen Heilvorkom- men tragen nachweislich zu einer positiven und nachhal- tigen Beeinflussung der Symptome einer chronischen Er- schöpfung bei.

Erschöpfung kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Eine häufig ver- wendete Einteilung unterscheidet akute von chronischer Erschöpfung. Akute Erschöpfung tritt nach einer Arbeit oberhalb der Dauerleistungsgrenze ein, wenn nicht ausreichend Er- holung gewährt wird. Diese Form der Erschöpfung geht unter anderem mit einer massi- ven metabolischen Azidose einher und beansprucht vor allem in der Arbeits- und Sport- medizin Interesse.

Chronische Erschöpfung ist ein gesundheitliches Problem mit multikausalen Ursachen psycho-physischer Natur. Diese Art der Erschöpfung geht mit unterschiedlichen Symptomen wie zum Beispiel verschiedenen neurokognitiven Beeinträchtigungen einher. Es bestehen fließende Übergänge zum „Chronic Fatigue“-Syndrom. Im Bereich der Steuerung endogener physiologischer Funktionen imponiert ein Versagen vegetativer Regulations- mechanismen. Die Multikausalität einerseits und die individuell unterschiedliche Symptomatik andererseits weisen darauf hin, dass sich die chroni- sche Erschöpfung einem naturwissenschaftlich-reduktionistischen Zugang entzieht und daher im Rahmen der konventionellen Medizin kaum ad- äquat diagnostiziert oder therapiert werden kann. Die unbezweifelbaren Erfolge der naturwissenschaftlich fundierten Medizin beruhen nicht zuletzt auf dem Prinzip der Messung und auf der auf den Messergebnissen basierenden Therapie, wobei es sich vorwiegend um eine medikamentöse Therapie handelt. Gesundheit und deren Beeinträchtigung im Zusammenhang mit der chronischen Erschöpfung entziehen sich jedoch zu einem wesentlichen Anteil der Labordiagnostik. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Menschen mit einem chronischen Erschöpfungssyndrom in der konventionellen Medizin nicht zufriedenstellend verstanden und versorgt fühlen. In Übereinstimmung mit der größeren Zahl an Ursachen und Symptomen beim chronischen Erschöpfungssyndrom erscheint eine multimodale Intervention angebracht.


Medizinische Intervention

Von nicht unwesentlicher Bedeutung in der Entwicklung der chronischen Erschöpfung ist der Faktor Zeit. Eine chronische Erschöpfung entwickelt sich im Laufe einer bestimmten Zeitspanne, was die Schlussfolgerung erlaubt, dass auch die therapeutischen multimodalen Bemühungen für die Besserung der gesundheitlichen Beeinträchtigung der chronischen Erschöpfung einen bestimmten Zeitraum für ihre Wirksamkeit benötigen. Dies wird bei der klinischen Rehabilitation selbstverständlich berücksichtigt. Der beträchtliche Kostenaufwand für die stationäre klinische Rehabilitation lässt es jedoch als sinnvoll erscheinen, dass eine solche Intervention den Fällen vorbehalten bleibt, für die der hohe Aufwand sozial und finanziell gerechtfertigt erscheint. Bezogen auf die Problematik der chronischen Erschöpfung würde diese Aussage vor allem für ausgeprägte Fälle des Bur- nout-Syndroms zutreffen. Bei chronischen Gesundheitsstörungen kann aber nicht von einer scharfen Grenze zwischen einem klinisch manifesten Krankheitsbild und einem optimalen Gesundheitszustand gesprochen werden. Es besteht vielmehr ein Graubereich mit unterschiedlich ausge- prägten Beschwerden und Symptomen. Dies trifft auch für die chronische Erschöpfung zu. Als Intervention bietet sich in diesem Bereich der ge- sundheitlichen Beeinträchtigung die komplexe medizinische Kur mit iterativen Anwendungen des natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommens in Verbindung mit zielgerichteten zusätzlichen gesundheitsförderlichen Maßnahmen und einer definierten Zeitdauer an.


Die Wirkung von Kuraufenthalten

Die positive Wirkung von Kuraufenthalten bei Erschöpfungszuständen wurde wiederholt belegt. Beispiele dafür sind die Ergebnisse von For- schungsprojekten des seinerzeitigen Ludwig Boltzmann Instituts in Bad Tatzmannsdorf. In diesen Untersuchungen zeigte sich unter anderem, dass eine Kur generell als erholsam gewertet wird. Die passive Therapie unter Einschluss der Anwendung der natürlichen Heilvorkommen, der Aufent- halt in der Natur und die Möglichkeit Zeit für sich zu haben nehmen den größten Stellenwert ein. In weiteren Studien wurden positive Auswirkungen auf Stress und Stress-assoziierte Faktoren, auf die Stimmung und die Schlafqualität sowie auf Befinden und Lebensqualität wissenschaftlich nach- gewiesen. Einige dieser Effekte zeigen auch einen nachhaltigen Effekt, der bis zu einem Jahr nach der Kur nachgewiesen werden konnte.

In diesem Zusammenhang können vor allem zwei Fragen erörtert werden: Die erste betrifft die Zeitdauer des erholungsfördernden Aufenthalts und die zweite Frage bezieht sich darauf, ob und welche Wirkfaktoren der Kurmaßnahmen für die Effekte verantwortlich sind.

Zur ersten Frage ist zu bemerken, dass grundsätzlich zwischen dem üblichen Kuraufenthalt von drei Wochen und kürzeren Aufenthalten zu unter- scheiden ist. Beim dreiwöchigen Kuraufenthalt spielt die Kinetik der physiologischen Adaptation mit deren phasischer Gliederung und dem Haftef- fekt eine Rolle, bei kürzeren Aufenthalten steht die Kinetik des Erholungsvorganges mit einem exponentiellen Verlauf im Vordergrund.


Wirkung balneomedizinischer Intervention

Grundprinzipien vieler naturheilkundlicher Verfahren sind un- ter anderem die Schonung und die Kräftigung. Im Zusam- menhang mit der Erschöpfung bedeutet dies einerseits eine Entlastung des erschöpften Organismus und schafft anderer- seits die Voraussetzung für die Möglichkeit des Organismus auf jene Maßnahmen zu reagieren, die durch die verschiede- nen gesundheitsförderlichen Maßnahmen der Kur als Reize eingesetzt werden. Die wissenschaftliche Grundlage der Ef- fekte, die durch Reizserien nachweislich erzielt werden kön- nen, liefert die physiologische Adaptation. Im Laufe einer dreiwöchigen Kur tritt eine funktionelle Adaptation ein, die durch Effizienzsteigerung und Verbesserung der Regulations- qualität mit Normalisierung und Ökonomisierung gekenn- zeichnet ist. Dabei sind die beiden komplexen Informations- systeme – das endokrine und das nervale System – des Or- ganismus angesprochen. Speziell die Beteiligung des nerva- len Systems wird als Hinweis darauf gewertet, dass die phy- siologische Adaptation nicht nur somatische, sondern auch

psycho-emotionale Funktionen betrifft.

Von nicht unwesentlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Bedeutung der funktionellen Adaptation ist auch, dass Adaptationsvorgänge nicht nur die Reaktionen auf die äu- ßeren Reizeinwirkungen betreffen, sondern auch zu einer Verbesserung der gegenseitigen Ab- stimmung endogener Funktionen führen.

Abschließend ist festzuhalten, dass die komplexe balneomedizinische Kur nachweislich zu einer positiven und nachhaltigen Beeinflussung der chronischen Erschöpfung und deren Symptomen führt. Die iterative Anwendung der ortsgebundenen natürlichen Heilvorkommen stellt das Wesens- merkmal der balneomedizinischen Kur dar und trägt zum gesundheitsförderlichen Effekt bei chro- nischer Erschöpfung bei. Eine isolierte Betrachtung der natürlichen Heilvorkommen erscheint je- doch nicht angebracht, weil ihre Anwendung mehr oder weniger ausschließlich im Zusammen- hang mit der multimodalen Behandlung während der Kur erfolgt.