Covid-update Kommentar 

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Ärzte stehen bereit

Welche Rolle spielen die Wissenschaft und Bü- rokratie bei den Entscheidungen im Kampf ge- gen Covid-19?

Der Staat ist verpflichtet, die Unversehrtheit der Menschen soweit möglich zu garantieren. An erster Stelle steht dabei die körperliche Unversehrt- heit. Insgesamt gibt es aber weitere Schäden, die eine Pandemie verursachen kann, wie psychische und soziale Schäden, wirtschaftliche Schä- den Einzelner, der Privatwirtschaft und des Staates, sowie eine übermäßige Belastung von Frauen und Kindern. Die Liste ist nicht erschöpfend. Alle Punkte haben aber eines gemeinsam: Um sie zu vermeiden, soll die Pandemie so schnell wie möglich bekämpft werden.


Erkrankung nicht unterschätzen

Bereits Anfang 2020 haben sich Wissenschaftler wie Univ.-Prof. Dr. Christoph Steininger, Virologe, Infektiologe und Internist an der Medizinischen Universität Wien, oder Univ.-Prof. Dr. Adriano Aguzzi, Leiter des Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich, an die Arbeit gemacht, Hintergründe und Lösungen der Covid-19-Pandemie zu erforschen. So haben sie Zehntausende von Fällen im Hinblick auf Infektionsgeschehen, Virusausbreitung und Antikörperbildung gegen das N- oder das S-Protein untersucht.

Aguzzi hat früh die schwerwiegenden und folgenschweren Symptome in seinen epidemiologischen Studien erkannt. So warnt er bis heute, die Er- krankung nicht zu unterschätzen. Ebenfalls warnt er vor Schnelltests: „Den Schnelltests kann man nicht trauen. Wenn Sie wissen wollen, ob Sie infi- ziert sind, müssen Sie einen PCR-Test machen. Die gute Nachricht: Der PCR-Test ist relativ schnell, er liefert in weniger als vier Stunden ein Ergeb- nis und funktioniert auch mit Speichel, sodass kein Nasenrachenabstrich erforderlich ist“, sagt Aguzzi. In der Tat werden mit Schnelltests rund 40 % der infizierten Personen nicht als positiv erkannt. Das hat aber auch andere Ursachen als die Qualität der Tests an sich. So hängt ein richtiges

Ergebnis unter anderem auch davon ab, ob der Zeitpunkt der Entnahme der richtige war oder ob beispielsweise die Entnahme korrekt durchgeführt wurde. In diesen Punkten unterscheiden sich Schnelltests nicht unbedingt vom PCR-Test.


Keine harmlose Grippe

Steininger hatte bereits im Vorjahr einen anderen Ansatz, der aktuell durchaus en vogue ist. Er versuchte früh, durch breiteres Testen die Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen. Dafür gründete er das Unternehmen Lead Horizon, das durch Einsendetests, bei denen Proben durch den Laien mit Gurgeln entnommen werden können, helfen sollte. Die Auswertung erfolgt dann im Labor durch PCR. Steininger kommentierte vor wenigen Tagen: „Covid-19 trifft auch junge Menschen ohne klassische Risikofaktoren, die ohne die großartige Betreuung durch mei- ne Kollegen nicht mehr leben würden. Das ist schlimmer als jede Grippe-Saison.“

Tatsache ist, dass auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie diese längst nicht erfolgreich be- kämpft ist. Das Schweizer Start-up-Unternehmen Bloom Diagnostics, mit rund 50 Mitarbeitern in Wien, arbeitete mit beiden Professoren als wissenschaftliche Berater zusammen, denn obwohl ihre Einsichten nicht immer vollständig übereinstimmten, war beiden gleichermaßen klar: Es handelt um eine sehr ernstzunehmende Erkrankung.

Bloom Diagnostics, gegründet um das Gesundheitswesen durch „smarte“, also digitale Heim- tests zu entlasten, erkannte früh, dass das Wissen um die Ausbreitung der Erkrankung ein wichtiger Faktor in der Bekämpfung sei, aber auch, dass am Ende nur Impfstoffe die Pandemie erfolgreich besiegen würden. Bloom Diagnostics entwickelte auf Basis ihrer Technologie digita- le, semi-quantitative Schnelltests mit hoher Genauigkeit, um Antikörper einer auch unbemerkt durchgemachten Covid-19-Erkrankung zu finden. „Ein positives Ergebnis entspricht für den Be- troffenen in etwa dem Impfschutz. Damit könnten bis zu 20 % Impfstoff zunächst gespart wer-

den. Zudem können Behörden in Echtzeit ein anonymes Bild der Durchseuchung und damit einer potenziellen Herdenimmunität erhalten“, sind sich Wissenschaftler einig. Doch die Bürokratie bezüglich namentlicher Meldung bei einer Erkrankung, die völlig außer Kontrolle geraten ist, hält an.


Geschwindigkeit entscheidet

Dr. Angelica Kohlmann, Medizinerin und Gründerin sowie Aufsichtsratsvorsitzende von Bloom Diagnostics, ist in Brasilien geboren und aufge- wachsen und hat dort als Kind erlebt, wie Mitte der 70er-Jahre eine hoch ansteckende bakterielle, durch Meningokokken verursachte Meningitis- Epidemie durch Massenimpfungen innerhalb kürzester Zeit erfolgreich bekämpft wurde. „Die Logistik hat unbürokratisch funktioniert. Es wurde einfach jeder Passant auf der Straße geimpft“, sagt die Deutsch-Brasilianerin. „Nur durch ein breitangelegtes Impfen ist letzten Endes die erfolgrei- che Bekämpfung der Pandemie möglich. Nur so geben wir dem Virus keine Chance so zu mutieren, dass der Impfstoff nicht mehr wirkt. Hier geht es vor allem um Geschwindigkeit. Jeder verlorene Tag bedeutet neue Mutationen.“ Kohlmann sorgt sich über den hohen Grad an Bürokratie in Eu- ropa: „Israel und auch die USA sind viel schneller. Dort ist die Pandemie Chefsache. Regierungschefs haben alles darangesetzt, für große Men- gen an Impfstofflieferungen zu sorgen.“ Anstelle von teuren Impfzentren punktet Europa mit einer ausgezeichneten, flächendeckenden Versorgung mit Ärzten, die diese Aufgabe übernehmen und innerhalb von wenigen Wochen erledigen könnten.

Die mangelnde Bestellung von Impfstoffen kann hingegen so schnell nicht wiedergutgemacht werden. Davon betroffen sind die EU sowie auch die Schweiz. „Man konnte sich in einer Ausnahmesituation nicht für das Richtige entscheiden.“ Das hat Europa am Ende Milliarden gekostet und psy- chische sowie soziale Schäden verursacht, die vermieden werden hätten können.

Dennoch hält Kohlmann wenig von Beschuldigungen, sondern wünscht sich, dass es eine Wende im Denken, vor allem aber im schnellen Han- deln gäbe. „Biden hat zugesagt, bis Ende Mai genügend Impfstoff für alle rund 260 Millionen Erwachsenen in den USA zu haben. Die Regierung hat sich bis Ende Juli die Lieferung von je 300 Million Dosen der Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer gesichert. Ist so etwas in Europa denkbar?“, stellt Kohlmann in den Raum. Auch wenn Wissenschaftler in aller Welt berechtigterweise Politikern die Entscheidungsgrundlage bezüg- lich Lockdown und anderen Maßnahmen liefern, sind es am Ende die Politiker, die beweisen müssen, Ausnahmesituationen mit guten und schnel- len Entscheidungen richtig handhaben zu können. Die Ärzte in Europa stehen bereit.