PRAXIS Wundversorgung 

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Praxiswissen für die Wundversorgung

In Österreich werden rund 61 % aller chronischen Wunden nicht fachgerecht behandelt. In vielen Fällen sind die Wunden auch nach einem Jahr noch nicht abgeheilt.

Rund 255.000 Österreicher leiden derzeit unter einer chronischen Wunde. Jährlich kommen 68.000 hinzu. Neben dem Leid für Betroffene hat die Erkrankung auch eine volkswirtschaftliche Dimension: Allein die Materialkosten für chronische Ulzera werden auf über 225 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.


Ratgeber und Webseite

„Jodsalbe und einfache Gaze sind keine moderne Wundbehandlung“, meint dazu die Wundpflegeexpertin und Herausgeberin des Ratgebers, Mi- chaela Krammel, DGKP, WDM. Das Leid der Patienten ist enorm, die Folgen sind dramatisch. „85 % aller Amputationen werden auf chronische Wunden zurückgeführt. Die häufigste Ursache sind dabei Gefäßerkrankungen. Covid-19 hat den Zugang zur Behandlung von chronischen Wun- den für viele erschwert“, betont Prim. PD Dr. Afshin Assadian, Co-Autor, Vorstand der Gefäßchirurgie Klinik Ottakring und wissenschaftlicher Spre- cher des Gefäßforums Österreich.

Der neue, im Verlagshaus der Ärzte und in Kooperation mit dem Gefäßforum Österreich erschienene Patientenratgeber „Hilfe zur Selbsthilfe – Wun- den besser verstehen und versorgen“ soll nun Abhilfe schaffen und die Wundversorgung durch Vermittlung von umfassendem Praxiswissen in der Laienpflege verbessern. Ergänzt wird das Buch durch die Website

www.selbsthilfe-wunde.at, die zusätzlich zu wertvollen und laufend aktualisierten Infos sowie Kontaktdaten auch (Lern-) Videos, Checklisten und Community-Bereiche für Betroffene, Angehörige und Experten zur Verfügung stellen wird.


Motivation entscheidet

Patienten mit Unterschenkelgeschwüren und Fußwunden leiden sehr häufig an Schmerzen und Wundinfektionen, die sich auch auf das Allgemeinbefinden negativ auswirken. Die Le- bensqualität ist durch nässende und oft übel riechende Wunden stark reduziert, nicht sel- ten kommt es zu Isolation und sozialem Rückzug.

„Unser erstes Ziel muss es werden, Patienten und deren Angehörige zu motivieren, auch bei kleineren Wunden – also früh im Krankheitsverlauf – Hilfe zu suchen und anzunehmen“, so Assadian. Die Ursache für Unterschenkelgeschwüre sind fast immer Störungen der Durchblutung, oft in Verbindung mit Diabetes und Immobilität. Viel seltener – aber umso wichtiger in der Früherkennung – sind Krebserkrankungen die Ursache für die fehlende Wundheilung. Venenschwäche und Verengungen der Beinarterien können mit den Möglich- keiten der modernen Medizin erkannt und mit unterschiedlichen Methoden – von konserva- tiver Behandlung über Operation bis zu Gefäßdehnung und Venenverödung – wirksam be- handelt werden.

Ist die nachteilige Durchblutung korrigiert, helfen moderne Wundverbände zu einer rasche- ren und weniger schmerzhaften Abheilung. Wichtig für die Aufrechterhaltung der Gefäßge- sundheit ist eine gesunde Lebensführung mit Kontrolle von Blutzucker, Blutfetten, Blutdruck und Nikotinkarenz. Der Weg führt von einer gezielten Diagnostik der Gefäß- und Stoffwech- selsituation zu einem individuellen Therapieplan mit dem Ziel, die Wunde zu heilen oder zu stabilisieren und die Lebensqualität zu verbessern.


Hohe Kosten

Zusätzlich zur hohen psychischen Belastung der Betroffenen ist die Versorgung von chronischen Wunden besonders kostenintensiv. Die Belastung pro Woche kann zwischen 100 und 2.000 Euro pro Patient betragen. Die Kosten werden in der Regel nicht oder nur gering anteilig von der Kran- kenkasse übernommen. Die Regelung ist dabei von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Wien bekommen Patienten nach einem Kranken- hausaufenthalt für 28 Tage eine medizinische Hauskrankenpflege für die Versorgung zu Hause zur Verfügung gestellt. Die Kostenübernahme für den Hausbesuch eines Pflegeexperten beträgt 8,90 Euro pro Besuch.

Insgesamt werden in Österreich 1,2 bis 2,2 Milliarden Euro für die Behandlung aufgebracht. „Verschärft wird die Situation dadurch, dass betroffene Patienten mit einer chronischen Wunde wie Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum, diabetischem Fußsyndrom, Dekubitus, postoperativer Wundheilungsstörung oder palliativen Wunden durch unterschiedliche Beratungen zum Beispiel mittels wechselnder Pflegebetreuer und verschie- dener Lokaltherapien mitunter nicht nur mangelhaft versorgt, sondern zudem auch verunsichert werden und sich vom Gesundheitssystem allein gelassen fühlen“, so Krammel.

Eine fachgerechte Laienversorgung durch die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen, die hier eine deutliche Verbesserung der Situation herbei- führen könnte, fehlt bis dato aufgrund mangelnden Wissens. Dies führt zur Verschlechterung der Wundsituation. Symptome oder Gefahrenzeichen werden nicht rechtzeitig erkannt. „Auch die Ökonomie in der Wundversorgung wird nicht gefördert. Viele Meinungen und andere Sichtweisen füh- ren zu übermäßigen Verordnungen von Wundprodukten, die selten aufgebraucht werden oder nicht ordnungsgemäß und phasengerecht angewen- det werden“, so die Pflegeexpertin. Die Herausforderungen sind insgesamt groß: Es fehlt an ausreichenden Wundambulanzen, an kassenunter- stützten Ordinationen mit Schwerpunkt Wundmanagement sowie an der Kostenübernahme durch die Sozialversicherungsträger.


Verbesserte Laienpflege

Mit dem neuen Ratgeber soll die Laienpflege gefördert werden. Fachgerechte Laienpflege kann die Wundsituation stabilisieren, verbessern und somit zur Erhaltung der Autonomie der Betroffenen beitragen. Dazu ist ausreichendes Wissen über die Grunderkrankung, de- ren Symptome und Gefahrenzeichen erforderlich. Diese Versorgung soll unter Einhaltung von hygienischen, atraumatischen und schmerzfreien Maßnahmen soweit gesetzlich mög- lich den Laien nähergebracht werden.

Die Vorteile einer State-of-the-Art-Wundversorgung für Patienten sind mehr Lebensqualität, weniger Angst vor dem Verbandwechsel, Linderung der Schmerzen, gesteigerte Motivation und raschere Reintegration sowie das Entgegenwirken der sozialen Isolation. Ökonomen schätzen, dass mit innovativer Wundversorgung bis zu 180,5 Millionen Euro über einen Zeitrahmen von 16,4 Wochen eingespart werden könnten.


rh