Je früher im Leben eine schwere Autoimmunität auftritt – also insbesondere im frühen Kindesalter – desto eher besteht die Möglichkeit, dass eine angeborene Regulationsstörung des Immunsystems zugrunde liegt. Das Team von Dr. Kaan Boztug am Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI RUD), der St. Anna Kinderkrebsforschung (CCRI), dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Öster- reichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Medizinischen Universität Wien, beforscht die molekularen Ursachen schwerster Störun- gen im Immungleichgewicht. Die Forscher untersuchten in Zusammenarbeit mit Kollegen aus den USA, Schweden und Großbritannien eine junge Patientin, die seit Geburt an einer besonders schweren und verschiedene Organe betreffenden Autoimmunität litt. „Uns ist eine Veränderung in der Gensequenz für das Protein DEF6 aufgefallen, die zum Einbau einer falschen Aminosäure in das Protein führt. Hierbei handelt es sich um eine so- genannte Missense-Mutation, die zu einer Veränderung der Struktur und dem Abbau des Proteins führt“, erklärt Co-Erstautorin Birgit , PhD. Die Wissenschaftler konnten somit eine neue seltene Erkrankung identifizieren und in der Folge zeigen, wie DEF6 einen anderen Schlüsselfaktor im Im- mungleichgewicht, CTLA-4, steuert – dieser Mechanismus war bis dato vollkommen unbekannt.
Schlüssel zur Immuntherapie
Basierend auf diesen Erkenntnissen konnte bei der Patientin ein bereits zugelassener Wirkstoff erfolgreich zur Behandlung eingesetzt werden. „Wir sind überzeugt, dass diese Behandlung auch bei vielen anderen Betroffenen zu einem Therapieerfolg führen kann“, so Co-Erstautorin Nina Ser- was, PhD. CTLA-4 rückte erst vor Kurzem in den Fokus der breiten Öffentlichkeit, als im Jahr 2018 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für Arbeiten zu Krebstherapien durch Hemmung von negativen Immunreaktionen vergeben wurde. Neben der Möglichkeit, CTLA-4 zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen einzusetzen, stellt es zudem einen wichtigen Schlüssel für Immuntherapien im Kampf gegen Krebserkrankungen dar. „Die Erforschung seltener Erkrankungen ermöglicht Erkenntnisse über fundamentale Prozesse der menschlichen Physiologie und hilft uns dabei, Therapien in Fällen zu finden, in denen die konventionellen Ansätze versagen. Diese Erkenntnisse sind extrem wichtig für das Verständnis von Au- toimmunität und ermöglichen zugleich einen neuen Angriffspunkt für Krebs-Immuntherapien“, erklärt Boztug.
Vom Gendefekt zum Wirkstoff
Da die untersuchten Patienten ähnliche Symptome wie bei bereits bekannten Gendefekten aufwiesen, die zu vermindertem CTLA-4 führen, unter- suchten die Wissenschaftler gezielt auf die Funktionsweise dieses Proteins. CTLA-4 ist eines der zentralen Moleküle in der Immuntoleranz und der Regulierung von Immunantworten. Ist zu wenig CTLA-4 vorhanden, so bleiben die Immunsignale in den T-Zellen durchgehend angeschaltet, was zu Autoimmunreaktionen führt. Bei den untersuchten Patienten konnten Boztug und sein Team zeigen, dass CTLA-4 nicht richtig an die Zelloberflä- che transportiert werden kann und daher die aktivierenden Signale anderer Körperzellen nicht abgeschaltet werden können. Die therapeutischen Möglichkeiten ergeben sich durch die Verabreichung von CTLA-4, das das fehlende Protein an der Oberfläche der T-Zellen ausgleicht.
Den Forschern gelang es zudem nachzuweisen, dass DEF6 eine wichtige Rolle beim Transport von CTLA-4 spielt. Hierbei fungiert das Protein RA- B11 als Bindeglied zwischen DEF6 und dem CTLA-4-Transport. Den Forschern gelang es nicht nur die Rolle von DEF6 in der Entstehung von Auto- immunität aufzuklären, sie lieferten zudem neue Erkenntnisse zur Regulierung von CTLA-4.
rh