Psychischer Stress ist einer der Auslöser für Kopfschmerzen, aber nicht die Ursa- che. Aus Studien geht hervor, dass insbesondere Migräne, aber auch Spannungs- kopfschmerz nicht primär psychosomatisch bedingt ist und es keine „Migräneper- sönlichkeit“ gibt. Diese Kopfschmerzen sind neurologisch bedingt und auf eine Stö- rung der Hirnfunktion zurückzuführen, die für Schmerzzustände verantwortlich ist. Jedoch haben diese Schmerzzustände verschiedene Auslöser und einer davon kann Stress sein. Gerade bei Migränepatienten ist die Aufmerksamkeit periodisch erhöht, oftmals liegt auch eine höhere Leistungsbereitschaft vor. Das kann zu Stressbelastung und Migräneanfällen führen. Oftmals ist es so, dass die Zeit einer
hohen Anspannung gut gemeistert wird und der Kopfschmerz erst in der ersten Entspannungsphase auftritt.
Individuelles Schmerzempfinden
Es sind aber auch andere Faktoren für Schmerz und Schmerzempfinden mitverantwortlich und mitbestimmend. Denn Schmerz- empfinden ist sehr individuell: Jeder Mensch hat eine gewisse Schmerzkonstitution. Das wird sowohl durch die sensorische Fein- fühligkeit als auch durch die Motivation, wie dem Schmerz begegnet wird, beeinflusst und basiert auf einer unterschiedlichen Schmerzwahrnehmung bzw. Schmerzbewältigung. Diese kann durch verhaltenspsychologische Interventionen willentlich beein- flusst werden. Umgang mit Schmerz hat auch eine kulturelle und gesellschaftliche Tradierung, die Betroffene beeinflusst.
Das Schmerzgedächtnis wurde in den letzten Jahren gut beforscht. Durch eine gesteigerte, auf den Schmerz gerichtete Aufmerk- samkeit und Wachsamkeit, die zusätzlich durch Angst, Depression oder Stress getriggert sein kann, kann akuter Schmerz in ei- nen chronischen Schmerz übergehen. Das geschieht durch eine verstärkte Sensibilisierung des Schmerzempfindens an Schmerzneuronen, gleichzeitig werden im Gehirn entsprechende Regionen umstrukturiert und vergrößert. Starker Schmerz und chronischer Schmerz werden dann stärker wahrgenommen, führen darüber hinaus zum Aufbau einer Erinnerungsspur und das ist vergleichbar mit einem Lernprozess: Ein sehr starker Schmerz löst Schmerzverhalten aus und im Gehirn eine Schmerzerinnerung, die in Folge schon durch einen nicht schmerzhaften Reiz eine Schmerzwahrnehmung bewirken kann. Darüber hinaus kann durch eine vermehrte Medikamenteneinnahme ein Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz (medication overuse headache, MOH) entstehen, der die Kopfschmerzsymptomatik weiter verschlimmern kann.
Kognitive Strategien zur Schmerzdistanzierung
Die Behandlung unterscheidet sich je nach Art des Kopfschmerzes. Für primäre Kopfschmerzen gibt es ein großes Repertoire an klinisch psychologischen Interventionen, die einem Schmerzanfall vorbeugen können. Aber auch für die Akutbehandlung gibt es Behandlungsmöglichkeiten, wobei es hier wichtig ist, die Schmerztoleranz der Patienten zu stärken. Durch kognitive Strategien kann eine Schmerzdistanzierung erreicht werden, ebenso durch die Aufmerksamkeitslenkung in Form von Imaginationsübungen. Dabei werden die einzelnen Therapieschritte im schmerzfreien Intervall eingeübt, um sie dann im akuten Migräneanfall anwenden zu können. Schmerzpatienten reagieren auf Schmerzen, die sie wahrnehmen, meist mit Beunruhigung, Sorgen und Ängsten. Das erhöht die innere Spannung und lenkt die Aufmerksamkeit darauf. Darüber entsteht meist eine Verspannung und Verspannung er- höht den Schmerz. So kommt ein Kreislauf in Gang. Der Griff zu Tabletten zeigt einen schnellen Erfolg, der Schmerz wird genom- men, aber es werden auch körpereigene Schutzmechanismen lahmgelegt. Studien haben gezeigt, dass sich bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp neben medikamentösen Therapien auch klinisch-psychologische Verfahren erfolgreich einset- zen lassen.
Migräne bei Reizänderungen
Das Diathese-Stress-Modell zeigt, dass äußere Reizänderungen, wie Stress, Lärm, Licht, aber auch Ernährung, Kaffee oder Alko- hol einen Einfluss auf Migräne haben, ebenso wie innere Reizänderungen, dazu gehören Hormone, der Stoffwechsel, Hunger, aber auch unser Schlaf-Wach-Rhythmus. So kündigt sich zum Beispiel Migräne oft durch häufiges Gähnen oder Heißhungeratta- cken an. Reizänderungen treffen auf unsere angeborene persönliche Reaktionsbereitschaft. Wenn Reizänderungen stark genug sind und eine gewisse Schwelle überschritten wird, dann lösen sie Migräne aus. Das heißt, das körperliche Schmerzabwehrsys- tem wird plötzlich aktiviert und es kommt zu einem Migräneanfall. Botenstoffe werden dabei sehr schnell verbraucht, was zu einer zeitweisen Erschöpfung dieser führen kann. Dadurch versagen körpereigene Reaktionsvorgänge und die Folgen sind Verände- rungen der Gefäßweite, Gefäßwandentzündungen oder eine Fehlregulation von Sinnesfiltern. Es führt aber auch zu einer Störung der Hirnaktivität, oft ist das Brechzentrum betroffen sowie andere Körperfunktionen.
Klinisch psychologisch kann man bei diesem Vorgang zu zwei Zeitpunkten eingreifen. Zum einen können wir mit psychologischen Interventionen unsere Reaktionsbereitschaft beeinflussen und zum anderen können wir die Migräneschwelle erhöhen, sodass die Reaktionskaskade nicht so schnell ausgelöst wird. Ist der Prozess aber einmal so weit angestoßen, dass die körpereigenen Regu- lationsvorgänge versagen, so kann der Schmerz nur mehr mit Medikamenten schnell reduziert werden.
Klinisch psychologische Behandlung
Verhaltenspsychologische Aspekte in der Schmerzbehandlung dienen vorwiegend dazu, die Kontrolle über den Schmerz zu er- halten. Am Beginn der Behandlung steht eine gute klinisch psychologische Diagnostik, die neben Verhaltensaspekten auch sub- jektives Schmerzempfinden, psychische (Vor-)Erkrankung und Persönlichkeitsfaktoren beinhaltet. Entscheidend ist eine gute Be- ratung, die Entstehungsfaktoren und aufrechterhaltende Faktoren vermittelt und den Umgang damit. Depression oder Angststö- rung müssen abgeklärt werden, Stressfaktoren im Lebensstil wie Alkohol, Nikotin, Koffein, Schlaf, aber auch Persönlichkeitsstruk- turen erhoben werden. Ebenfalls einen wichtigen Aspekt stellt Leistungsdruck dar, Stress, Belastungsmerkmale und die Umwelt. Aber auch Medikamentenmissbrauch ist wichtig zu erheben. Die Behandlung setzt primär an der Prophylaxe von Kopfschmerz an. Dazu ist es wichtig, auf Auslöser für Kopfschmerz zu achten, sie zu kennen und zu erkennen. Wichtig ist auch, jene Mechanis- men zu erkennen, die den Schmerz aufrechterhalten. Dazu tragen kognitive Aspekte bei, also Einstellung zum Schmerz, Überzeu- gungen, subjektive Vorstellungen und Zuschreibungen sowie „erlerntes“ Verhalten.
Um Schmerzen vorzubeugen, sind Entspannungsphasen und -verfahren hilfreich. Diese zu erlernen gelingt besser in Zeiten, die schmerzfrei und unbelastet sind, um dann angewendet zu werden, wenn Bedarf ist. Als wirkungsvolle Entspannungstechnik hat sich die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen bewährt. Zur Aufmerksamkeitslenkung und Schmerzwahrnehmung wer- den auch imaginative Verfahren, Trance- und Hypnoseverfahren sowie kognitive Therapien. eingesetzt. Letztere dienen dazu, Ge- danken, Einstellungen und Überzeugungen zu hinterfragen und zu verändern.
In der Akutbehandlung helfen Biofeedbackverfahren, die eine gute Rückmeldung über körperliche Funktionen geben. Dabei kann beobachtet werden, wie wir über Gedanken auf unsere Atmung Einfluss nehmen können oder Entspannung auf unser System wirkt.
Einen wichtigen Einfluss hat auch das Berufsleben, ebenso Angehörige, die durch Familienmitglieder, die an einer Schmerzsym- ptomatik leiden, mitbetroffen sind. Deren Verhalten kann auf die Schmerzsymptomatik Einfluss nehmen, im positiven wie im nega- tiven Sinn. Sie sollten in die Behandlung miteinbezogen werden.
Entspannen – aber rasch!
Unsere schnelllebige Zeit stellt immer höhere Anforderungen an den Einzelnen und es wird schwieriger, Zeiten der Ruhe zu fin- den. Entspannungsverfahren zu erlernen bedarf daher einiger Übung, bis diese wirksam eingesetzt werden können. Auch sind nicht alle Entspannungsverfahren für jedermann geeignet. Für manche ist es wichtig, über Sport und Bewegung Spannung abzu- bauen, um überhaupt in einen Entspannungsmodus kommen zu können. Vielen gelingt es nur schwer, den Kopf frei zu bekom- men und aus Gedankenkreisen auszusteigen, für diese sind Entspannungsmethoden, die wenig direktiv sind, überfordernd. Hier ist progressive Muskelentspannung nach Jacobsen besser geeignet. Aber auch Hypnoseverfahren sind sehr wirkungsvoll. Wich- tig ist, hier darauf zu achten, dass diese von professionellen und gut ausgebildeten Psychologen instruiert werden, da es bei Pati- enten schnell zu einer Frustration kommen kann, wenn sich Erfolg nicht entsprechend einstellt. Darauf entsprechend der Persön- lichkeit des Patienten zu reagieren bedarf einer klinischen Kenntnis. Biofeedback ist geeignet, um Prozesse zu unterstützen, denn oft ist es hilfreich, sehen zu können, wie sich Atmung, Entspannung und Gedanken auf körperliche Funktionen wie Herzschlag und Gefäße auswirken.
Klinisch psychologische Interventionen stellen das Mittel der Wahl bei nicht medizinisch begründbaren Kopfschmerzbefunden dar und können aber auch bei medizinischen Diagnosen unterstützend beitragen. Daher ist eine Abklärung durch einen Arzt Vor- aussetzung. Interdisziplinäres Zusammenarbeiten und multiprofessionelle Teams stellen bei der Schmerzbehandlung das Mittel der Wahl dar, um Patienten bestmöglich zu unterstützen, damit sie mit ihrer Schmerzsymptomatik einen guten Umgang finden, Schmerzmittelabhängigkeiten vermieden werden und die in vielen Fällen gleichwirksamen, nicht medikamentösen Behandlungs- methoden zu implementieren.