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Theranostik bei Prostatakarzinom
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkran- kung bei Männern und wird oft spät entdeckt. Laut Statistik Austria gibt es über 6.000 Neu- erkrankungen pro Jahr.
Geschätzt leben 68.000 Männer mit einem Pro- statakarzinom in Österreich. Die Hälfte der Be- troffenen entwickelt eine Metastasierung im Laufe ihrer Grunderkrankung.
Zu Beginn verursacht der bösartige Tumor meist keine Symptome und wird nicht selten erst beim Auftreten von Metastasen entdeckt. Wie bei allen bösarti- gen Tumoren besteht auch beim Prostatakrebs das Risiko, dass trotz erfolgrei- cher Erstbehandlung der Tumor später Metastasen bildet.
Exakte anatomische Darstellung der Metastasen
Die Nuklearmedizin bietet seit Jahren ein bildgebend-diagnostisches Verfahren an, bei der das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) mit einem Posi- tronenstrahler stabil markiert und mit einer Positronen-Emissionstomografie-Ka- mera (PET) aufgenommen werden kann. Durch die Möglichkeit, auch eine ra- diologische Computertomografie (CT) in einem Untersuchungsgang anzu- schließen, ergibt sich neben der PSMA-Expression auch eine exakte anatomi- sche Darstellung der Metastasen. Für das Primär-Staging wurden zahlreiche PET/CT Studien mit dem entsprechenden Radiopharmakon durchgeführt, die eine hohe diagnostische Treffsicherheit ergeben hat. Für das Primär-Staging
ergibt sich eine Sensitivität für den Nachweis von Einzelläsionen von bis zu 92 % und eine Spezifität von 82 bis 100 %.
Der hohe klinische Mehrwert der PSMA-PET/CT wurde in der CONDOR Studie, einer multizentrischen Phase-3-Studie, gezeigt. Bei Patienten mit biochemischem PSA-Rezidiv ≥ 2 ng/ml und normalem oder nur vermutetem morphologischem Rezidiv in der konventionellen Bildgebung zeigte die PSMA-PET/CT eine Sensitivität von 91 % beim Nachweis histologisch gesicherter Metastasen. Das klinische Management wurde bei 64 % der Patienten geändert, nachdem das PSMA-PET/CT Ergebnis bekannt wurde. Eine weitere internationale multizentrische Studie umfasste mehr als 1.000 Prostatakrebspatienten mit biochemischem Rezidiv (PSA > 0,2 ng/ml und normale Ergebnisse in der konventionellen radiologischen Bildge- bung und der Skelettszintigrafie) und zeigte PSMA-exprimierende Läsionen in der PSMA-PET/CT bei 65 % der untersuchten Patienten. Ein positi- ves PSMA-PET/CT-Ergebnis wurde eher bei Patienten mit einem Gleason-Score von 7 oder höher (p < 0,001) berichtet, bei Patienten, die anfäng- lich mit einer lokalen ablativen Strahlentherapie behandelt wurden (p < 0,001) und bei Patienten mit einer mittleren PSA-Verdopplungszeit unter zehn Monaten (p < 0,001). Eine Behandlungsänderung wurde bei 57 % der Patienten berichtet, nachdem die PSMA-PET/CT-Informationen einge- holt wurden.
Biopsie bei unklaren Befunden
Im Allgemeinen weist die PSMA-PET/CT für das Staging von „High-Risk“-Prostatakarzinompatienten eine höhere diagnostische Genauigkeit als CT und Skelettszintigramm auf. Inwieweit sich diese verbesserte diagnostische Methodik im Ausgangsstaging in einem längeren Gesamtüberleben widerspiegelt, soll in zukünftigen Studien weiter geklärt werden. Einschränkend soll angemerkt werden, dass die PSMA-Expression nicht nur bei Prostatakarzinomen auftritt, sondern zahlreiche andere maligne Tumorerkrankungen wie hepatozelluläres Karzinom, Mammakarzinom, nicht klein- zelliges Lungenkarzinom, aber auch nicht maligne Erkrankungen wie Hämangiome, Knochenerkrankungen wie Mb. Paget, ossäre Fibrose oder Entzündungen eine PSMA-Expression aufweisen können, die zu PSMA-PET/CT-positiven Resultaten führen. Daher ist bei unklaren Befunden eine Biopsie zum Ausschluss von Zweitmalignomen zwingend erforderlich.
Zielgerichtete Behandlung: Radioligandentherapie
Beta-emittierende Radioisotope wie Lutetium-177 (177Lu) sind eines der bevorzugten Radioisotope mit einer physikalischen Halbwertszeit von 6,6 Tagen, was die Abgabe einer hohen Strahlendosis an Prostatakrebszel- len ermöglicht. Nach Bindung von 177Lu-PSMA an die Zelloberfläche von PSMA-exprimierenden Tumorzellen führt ein Internalisierungsprozess der Radioverbindung in das Zytoplasma von Tumorzellen zur Apoptose von Tumorzellen durch DNA-Doppelstrangbruch im Zellkern. Die kurze maximale Gewebedurchdringung von 2 mm minimiert die Strahlenbelas- tung für normales Gewebe und verbessert die allgemeine Arzneimittelverträglichkeit.
In den letzten zwei Jahren wurden zwei multizentrische randomisierte klinische Studien bei Patienten mit mCRPC, die 177Lu-PSMA-617 erhielten, publiziert. Die TheraP-Studie war eine Phase-2-Studie, die Patienten mit mCRPC nach Behandlung mit Docetaxel und einem ansteigenden PSA- Wert oder einem PSA-Wert > 20 ng/ml einschloss.
Alle Patienten zeigten einen PSMA-positiven PET/CT-Scan und hatten mindestens eine Läsion mit einer sehr hohen PSMA-Tracer-Aufnahme und kein positives Ergebnis in einem begleitenden 18F-FDG-PET/CT, was auf eine schlechte Differenzierung einzelner Tumorläsionen hindeuten kann. Alle 200 Patienten wurden 1:1 randomisiert und erhielten entweder 8,5 GBq mit einer Dosisreduktion um 0,5 GBq alle sechs Wochen bis zu insge- samt 6 Zyklen oder Cabazitaxel 20 mg/m2 alle drei Wochen mit bis zu zehn Zyklen. Der primäre Endpunkt der Studie war die PSA-Ansprechrate, definiert als der Anteil der Patienten in jeder Gruppe mit einer PSA-Reduktion von ≥ 50 % gegenüber dem Ausgangswert. Sekundäre Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS), progressionsfreies Überleben (PFS), PSA-progressionsfreies Überleben, objektives Tumoransprechen und Schmer- zansprechen. Eine PSA-Reduktion von > 50 % wurde bei 66 % der mit 177Lu-PSMA-617 behandelten Patienten berichtet, verglichen mit 37 % (p < 0,001) bei Patienten, die mit Cabazitaxel behandelt wurden. Der sekundäre Endpunkt, das Risiko einer Tumorprogression, konnte um 37 % gesenkt werden (p = 0,002). Nach zwölf Monaten wurde bei 19 % der mit 177Lu-PSMA-617 behandelten Patienten ein radiologisches PFS oder ein PSA PFS berichtet, im Vergleich zu nur 3 % der Patienten, die mit Cabazitaxel behandelt wurden. Das mediane PFS zeigte jedoch mit 5,1 Monaten bei Patienten, die mit 177Lu-PSMA-617 behandelt wurden, und 5,1 Monaten bei Patienten, die mit Cabazitaxel behandelt wurden, keinen Unterschied. Behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse Grad 3 oder 4 (TEAE) wurden bei 54 % der mit Cabazitaxel behandelten Patienten und bei 33 % der mit 177Lu-PSMA-617 behandelten Patienten berichtet. Die OS-Ergebnisse zeigten keinen statistischen Unterschied in beiden Gruppen.
Behandlung mit 177Lu-PSMA-617
Die Vision-Studie war die erste internationale Phase-3-Studie, die im Verhältnis 2:1 zugunsten der Behandlung von Patienten mit 177Lu-PSMA-617 und Standardbehandlung (SOC) randomisiert wurde, im Vergleich zu Patienten, die nur mit SOC behandelt wurden. SOC wurde von jedem Studi- enzentrum definiert und konnte eine Hormonbehandlung einschließlich Abirateron und Enzalutamid, Bisphosphonate, Denosumab, Strahlenthera- pie oder Glukokortikoid in jeder Dosis umfassen.
Insgesamt wurden 831 Patienten mit mCRPC in die Studie eingeschlossen, die vor Studieneinschluss bereits mindestens ein Taxan und mindes- tens einen Hemmer der Androgenrezeptor-Signaltransduktion (ARSI) erhalten hatten. Alle Patienten hatten einen positiven PSMA-PET/CT-Scan, zeigten eine angemessene Leber-, Nieren-, und Knochenmarkfunktion. Primäre Endpunkte der Studie waren radiologisches PFS und OS, sekundä- re Endpunkte umfassten die objektive Ansprechrate (OR), Biomarker, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Schmerzwerte sowie Sicherheits- und Verträglichkeitsaspekte. Das mediane rPFS betrug 8,7 Monate bei den mit 177Lu-PSMA-617 und SOC behandelten Patienten im Vergleich zu 3,4 Monaten bei Patienten, die nur mit SOC behandelt wurden. Das Risiko eines rPFS wurde um 60 % reduziert (p < 0,001). Das mediane OS be- trug 15,3 Monate bei Patienten, die mit 177Lu-PSMA-617 und SOC behandelt wurden, im Vergleich zu 11,3 Monaten bei Patienten, die nur mit SOC behandelt wurden. Das Sterberisiko war um 38 % reduziert (p < 0,001).
Sekundäre Endpunkte wie OR zeigten bei 17 Patienten (9,2 %), die mit 177Lu-PSMA-617 und SOC behandelt wurden, ein vollständiges radiologi- sches Ansprechen und bei keinem Patienten, der nur mit SOC behandelt wurde. Die Zeit bis zum ersten symptomatischen Skelettereignis wurde bei Patienten mit 177Lu-PSMA-617 und SOC nach einem Median von 11,5 Monaten angegeben, verglichen mit 6,8 Monaten bei Patienten, die nur mit SOC behandelt wurden (p < 0,001). Ein Abfall der PSA-Werte von mehr als 50 % gegenüber dem Ausgangswert nach der Behandlung mit 177Lu PSMA-617 und SOC wurde bei mehr als 79 % der Patienten berichtet, verglichen mit 9 % in der Kontrollgruppe. Darüber hinaus begünstigte die Bewertung der Lebensqualität und der Intensität der Knochenschmerzen die Behandlung mit 177Lu-PSMA-617 und SOC im Vergleich zu SOC allein. Subgruppenanalysen zeigten, dass Patienten, die einen zusätzlichen ARSI erhielten, Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion, Vorhan- densein von Lebermetastasen, einem ECOG-Score von 2 oder älteren Patienten (> 65 a) keinen negativen Einfluss auf das Ansprechen auf die Be- handlung hatten. Nebenwirkungen Grad 3-5 wurden häufiger bei Patienten mit 177Lu-PSMA-617+SOC mit 28 % berichtet, verglichen mit 4 % bei Patienten, die SOC allein erhielten. Müdigkeit, Knochenmarksuppression und Nierenfunktionsstörungen waren die am häufigsten berichteten Ne- benwirkungen der Grade 3 bis 5. Es gab fünf TEAEs, die bei mit 177Lu-PSMA-617+SOC behandelten Patienten zum Tod führten, was die Bedeu- tung einer Tumor–boardentscheidung unterstreicht. Die FDA in den USA und die EMA in Europa genehmigten 177Lu-PSMA-617 (PluvictoTM) im Jahr 2022 für die Behandlung von mCRPC, gefolgt von mindestens einer Behandlung mit einem Taxan und einem Androgen-rezeptor-Signalisie- rungsinhibitor und einem Nachweis einer Krankheitsprogression in der konventionellen Bildgebung und einer hohen PSMA-Expression in der PSMA-PET/CT.
Aktuelle klinische Studienlage
Derzeit laufen mehrere klinische Studien, die nach dem tatsächlichen Stellenwert von 177Lu-PSMA in der Abfolge mehrerer Behandlungsstrategien bei Patienten mit mCRPC suchen, einschließlich Chemotherapie, Inhibitoren der Androgenrezeptor-Signalübertragung, PARP-Inhibitoren und Anti- körpertherapie. Die PSMAdditon-Studie (NCT04720157) ist eine internationale multizentrische Phase-3-Studie bei Patienten mit hormonsensitivem metastasierendem Prostatakrebs, die Wirksamkeit von 177Lu-PSMA-617 plus SOC im Vergleich zu SOC im hormonsensitiven Krankheitsverlauf un- tersucht wird. Insgesamt werden 1.126 Patienten eingeschlossen und im Falle einer radiologischen Krankheitsprogression ist ein Wechsel zur Be- handlung mit 177Lu-PSMA-617 zulässig.
Eine weitere klinische Phase-3-Studie, die PSMAfore-Studie (NCT04689828), wird die Wirksamkeit von 177Lu-PSMA-617 mit der auf Androgenre- zeptoren gerichteten Therapie bei progressivem mCRPC vergleichen. Das Potenzial von 177Lu-PSMA-617 vor radikaler Prostatektomie wird in Lu- Tectomy (NCT04430192), einer Phase-1/2-Studie, untersucht. Alle diese Studien rekrutieren bereits und erste Ergebnisse sollten in den nächsten Jahren vorliegen.
Indikationen für die PSMA-PET/CT-Bildgebung
bei Prostatakrebspatienten
• Biochemisches PSA-Rezidiv nach radikaler Prostatektomie oder nach lokalablativer Strahlentherapie (PSA > 0,2 ng/ml)
• Zur Auswahl von Patienten für die PSMA-Radioliganden-Therapie
• Primäres Staging nach negativer konventioneller Bildgebung (CT, MRT,
Knochenscan) und hohem klinischen Verdacht auf Metastasen
www.cciv.at