Covid-update | Pflege
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Häusliche Pflege
unter Corona
Eine neue Leitlinie zur häuslichen Ver- sorgung von Menschen mit
Pflegebedürftigkeit in der Pandemie gibt eine Reihe von Empfehlungen auch für die hausärztliche
Versorgung.
Unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie besteht für die Gruppe der Menschen mit Pflegebedürftigkeit ein besonderer Bedarf im Hinblick auf den Infektionsschutz. Sie führen zwangsläufig zu Einschränkungen der sozialen Teilhabe, der Lebensqualität und der pflegerischen Versor- gung, die alle an der multiprofessionellen Versorgung beteiligten Berufsgruppen vor große und völlig neue Herausforderungen stellen. Die Leitlinie „Häusliche Versorgung, soziale Teilhabe und Lebensqualität bei Menschen mit Pflegebedürftigkeit im Kontext ambulanter Pflege unter den Bedin- gungen der Covid-19-Pandemie“, an der Prof. Dr. Ulrike Junius-Walker vom Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover und Prof. Dr. Annett Horn vom Fachbereich Gesundheit der FH Münster mitgearbeitet haben, will Handlungssicherheit und Versorgungsqualität für die Einrichtungen der ambulanten Pflege schaffen.
Maßnahmen einhalten
So wie im stationären Setting wird auch bei der Pflege zu Hause die Einschränkung sozialer Kontakte zum Schutz vor Infektionen empfohlen – ein Umstand, der aufgrund der Versorgungsleistungen durch Hausbesuche von Ärzten, pflegenden Angehörigen oder mobilen Pflegekräften Heimhilfen oder ehrenamtlichen Helfern nur unter Abwä- gung der individuellen Versorgungssituation umsetzbar ist. Das heißt, es gilt, den Spa- gat zwischen der Beschränkung sozialer Kontakte, der Beurteilung von Folgen sozia- ler Isolation sowie einer ausreichenden medizinischen und pflegerischen Versorgung zu schaffen. „Pflegefachkräfte sollten darauf hinwirken, dass auch Familienangehörige Maßnahmen wie Masken tragen und die strengen Hygieneregeln auf jeden Fall einhal- ten. Das gilt auch für alle, die die zu Pflegenden besuchen. Das heißt für die Pflege- fachkräfte in diesen Zeiten: noch mehr Gewicht auf Information, Beratung und Schu- lung zu legen“, betont Prof. Horn.
Dabei hängt die konsequente Umsetzung von Hygienemaßnahmen zum großen Teil von den pflegebedürftigen Personen selbst, den Angehörigen und anderen Betreu- ungskräften ab. „Sie können sich oftmals nicht so schnell informieren und umstellen
wie ambulante Pflegedienste, bei denen es zum Berufsbild gehört, sich immer wieder an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Die Sicherheit der Beschäftigten in der ambulanten Pflege geht vor, sie müssen jederzeit Vorkehrungen zum Eigenschutz treffen, was nicht immer auf Verständnis seitens der Betroffenen stößt. Und wenn es dann zu Konflikten kommt, ist es Aufgabe von Leitungskräften, eine einvernehmliche Lösung zu fin- den“, weiß Horn aus Erfahrung.
Wenn Bezugspersonen wegfallen
Auch die Belastung der pflegenden Angehörigen hat sich unter der Pandemie deutlich verschärft. „Deshalb sollten sich ambulante Pflegedienste darauf vorbereiten, bei Bedarf psychosoziale Unterstützung zu leisten oder über entsprechende Angebote wie beispielsweise regionale Bera- tungsstellen oder Selbsthilfegruppen zu informieren“, sagt Horn. Doch der Bedarf an Anleitung, Beratung, Begleitung und Koordination ist sehr viel höher als die vorhandenen Ressourcen der ambulanten Pflegedienste. „Das ganze System der ambulanten Versorgung müssen wir weiterentwi- ckeln, um besser auf Krisen wie diese reagieren zu können“, betont die Pflegeexpertin.
„Wenn wichtige Bezugspersonen wegfallen, entsteht eine große Versorgungslücke. Um diese zu vermeiden, empfehlen wir Pflegefachkräften, ge- meinsam mit den pflegebedürftigen Personen und den pflegenden Angehörigen einen Notfallplan zu erstellen, der den individuellen Bedürfnissen gerecht wird. In ihm sollten alternative Betreuungsoptionen im persönlichen Umfeld genannt sein, der Notfallplan müsste dann auch in den Ge- schäftsräumen des Pflegedienstes hinterlegt werden. Die Praxis wird zeigen, wie gut dies gelingt“, so Horn.
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Nachgefragt bei ...
… Prof. Dr. Ulrike Junius-Walker vom Institut für Allgemeinmedizin
der Medizinischen Hochschule Hannover
Was können sich niedergelassene Hausärzte aus dieser Leitlinie mitnehmen?
Hausärzte haben oft eine lang gewachsene Beziehung zu ihren pflegebedürftigen Patienten. Es schafft Sicherheit zu wissen, dass ambulante Pfle- gedienste auf eine eigens für ihre Tätigkeit ausgerichtete Leitlinie zurückgreifen können. Diese Leitlinie berücksichtigt neben dem Infektionsge- schehen und -schutz insbesondere Fragen, Ängste und Bedürfnisse, die Pflegebedürftige und Angehörige während der Sars-CoV-2-Pandemie be- wegen. Das sind Fragen wie „Was kann ich tun, wenn meine Pflegeperson selbst krank wird?“ oder „Wie kann ich Vorsorge treffen für den Fall, dass ich an Sars-CoV-2 erkranke?“ Die Empfehlungen und Lösungsvorschläge dieser Leitlinie orientieren sich an der speziellen Situation der zu Hause wohnenden Pflegebedürftigen und erweitern sowie vertiefen in diesen Aspekten die AWMF-Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesell- schaft für Allgemeinmedizin (DEGAM).
Wie können pflegende Angehörige mit den medizinischen und pflegerischen Berufsgruppen bestmöglich zusammenarbeiten, aber auch unterstützt werden?
Eine Umfrage zur Situation pflegender Angehöriger aus dem Zentrum für Qualität und Pflege im April und Mai letzten Jahres hat ergeben, dass die Mehrheit der pflegenden Angehörigen sich Sorgen um eine Ansteckung ihrer Pflegebedürftigen machen. Ungefähr ein Drittel der Befragten berich- tet, dass die Pflegesituation sich verschlechtert hat. Ein Fünftel bis ein Drittel äußern Gefühle der Hilflosigkeit und Verzweiflung, sprechen über Konflikte und über „Wut und Ärger“, die in der Pflegesituation zugenommen haben1. Hier sind die ambulanten Pflegedienste vor Ort genauso ge- fordert wie die hausärztlichen Ansprechpartner. Ein fortdauernder Austausch zwischen den beiden Berufsgruppen und ein gemeinsam abge- stimmtes Vorgehen bündeln Ressourcen. Pflegefachkräfte können z. B. über die vielen Entlastungsmöglichkeiten sprechen, die zum Teil als Reakti- on auf diese Pandemiesituation geschaffen wurden, jedoch noch nicht allseits bekannt sind. Hausärzte haben viele Möglichkeiten zu unterstützen, zum Beispiel indem sie Gesprächsangebote machen und in Hausbesuchen das Monitoring intensivieren. Eine kontinuierliche Abstimmung ist hier vorteilhaft, damit alle an „einem Strang ziehen“.
Wie ist damit umzugehen, wenn bei Menschen mit Pflegebedürftigkeit der Verdacht auf oder das Vorliegen einer Infektion mit Sars-CoV-2 vorliegt?
Bei Verdacht auf eine Coviderkrankung ist zunächst eine diagnostische Abklärung erforderlich. Hier können sich ambulante Pflegedienste oder die betroffenen Pflegebedürftigen sowie Angehörigen an die Hausarztpraxis, Testzentren oder das Gesundheitsamt wenden. Pflegebedürftige samt ih- ren pflegenden Angehörigen gehören zu der besonders vulnerablen Gruppe. Für diese Gruppe ist die diagnostische Testschwelle niedrig und ein PCR-Test schon für Atemwegssymptome jeglicher Schwere indiziert. Bis zum Erhalt der Testergebnisse ist es angezeigt, alle Schutz-, Hygiene- und Isolationsmaßnahmen so durchzuführen, als sei die Pflegebedürftige erkrankt. Liegt eine Erkrankung vor, müssen ambulante Pflegedienste ge- meinsam mit den zuständigen Hausärzten und Betroffenen prüfen, ob eine häusliche Behandlung oder Isolierung für die Erkrankungsdauer fortge- setzt werden kann. Eine engmaschige, gemeinsam abgestimmte Verlaufsbeobachtung ist dabei essenziell. Die Leitlinie zur häuslichen Versorgung von Menschen mit Pflegebedürftigkeit gibt den ambulanten Pflegediensten hierzu viele Hinweise, beispielsweise was genau unter einer Segregie- rung der erkrankten Person im Haushalt zu verstehen ist, welche Schutz- und Hygienemaßnahmen nötig sind, wie und in welchem Umfang die Pflege fortgeführt werden kann und wie es möglich ist, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Es ist vorteilhaft, wenn sich Pflegebedürftige und An- gehörige schon präventiv auf eine solche Situation vorbereiten. Denn sie erfordert weitreichende Entscheidungen, in denen die Präferenzen der Betroffenen eine große Rolle spielen, zum Beispiel wenn es um die Entscheidung einer möglichen Intensivbehandlung geht. Hier gilt es, einfühlsam aufzuspüren, inwieweit Pflegebedürftige und Angehörige sich mit der Situation auseinandersetzen wollen und einen individuellen Notfallplan wünschen.