MEDIZIN | Wechseljahre

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Klimakterische Beschwerden

natürlich behandeln

Bei manchen Patientinnen ist es erforderlich, die längste hormonelle Umstellungsphase – von sieben bis zehn Jahren vor und nach der letzten Regel im Leben einer Frau – auch länger zu begleiten, vor al- lem, wenn man die herkömmliche Hormonersatzthe- rapie vermeiden möchte.

AUTORIN:

Dr. Rosemarie Brunnthaler-Tscherteu

Ärztin für Allgemeinmedizin, Homöopathie und

Psychotherapie, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM),

praxis.brunnthaler@aon.at

Hitzewallungen, depressive Verstimmungen und Schlaflosigkeit stehen oft im Vordergrund von Wechselbeschwerden. Am Beginn sind es häufig auch Zyklusstörungen, starke Blutung und Hitzewallungen. Homöopathi- sche Mittel werden nicht nur „gegen Wechselbeschwerden“ verschrieben, sondern für die Verbesserung der gesamten körperlichen und seelischen Symptomatik. Die Mittel wirken nach dem Prinzip der Ähnlichkeit – das heißt, dass jenes Heilmittel für ein bestimmtes Leiden dasjenige sein soll,

das auch bei einem gesunden Menschen die Symptome erzeugen kann.

Wie die meisten Frauen berichten, wirken pflanzliche Hormone meist nur kurzzeitig oder begleitend zur homöopathischen Therapie. Gute Erfahrun- gen habe ich mit Progesteron C30 am Beginn des Wechsels gemacht, wenn sich der Progesteronmangel stärker äußert, und später Östradiol oder Folliculinum (zwei homöopathisch potenzierte Östrogene), wenn auch die Östrogenproduktion in den Eierstöcken zurückgeht. Auf jeden Fall wir- ken individuell gewählte homöopathische Arzneien am besten, um die jeweils persönliche Beschwerdesymptomatik in den Wechseljahren zu redu- zieren, wie die folgende Krankengeschichte zeigt.


Fallbericht

Herta, 57 Jahre, kommt im Juli 2013 zu mir in die Praxis, da sie seit fast zehn Jahren unter starken Hitzewallungen tagsüber und nachts leidet. Nach der Menopause vor fünf Jahren kam es zur Zunahme der Hitzewallungen. Eine niedrig dosierte Hormonersatztherapie (Femoston) besserte die Beschwerden nicht und auch pflanzliche Hormone brachten nur kurzzeitig Erleichterung, daher setzt Herta nun ihre Hoffnung auf die Homöopathie.

Tagsüber sind die Hitzewallungen bei Ärger und Aufregungen stärker, nachts sind sie noch unerträglicher. Herta kommt dadurch nur zu vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht, wobei sie seit dem Wechsel auch schlechter einschläft. Nach den Wallungen fröstelt sie häufig, muss daher nachts das verschwitzte Nachthemd wechseln. Wegen heißen Füßen würde sie gern kalte Bäder machen, die verursachen aber Blasenentzündungen. Vor 20 Jahren hatte Herta eine schwere beidseitige Nierenbeckenentzündung, seither ist die Blase empfindlich.

2001 traten unter großer Belastung in ihrer Arbeit Herzrhythmusstörungen und Tachykardien (Herzrasen) auf. Herta war damals von ihrer Tätigkeit als Arbeiterin in eine Lohnverrechnung gewechselt, der hohe Arbeitsdruck führte zu depressiven Verstimmungen. Herta wurde reizbar, verlor das Interesse an ihren Hobbys und schlief sehr schlecht, sie bekam daher Antidepressiva verschrieben. Es gelang ihr daraufhin, ihr Arbeitspensum zu reduzieren. Sie wurde zudem gemobbt und trachtete danach, so bald wie möglich ihre Pension anzutreten.

Ihre Pension genießt Herta mit vielen Unternehmungen und Reisen. Die Patientin hat keine eigenen Kinder, ihr Lebenspartner seit 28 Jahren hat aus erster Ehe eine Tochter, um deren zweijährigen Sohn sie sich sehr gern als Oma kümmert. Aus Angst, im Alter nicht genügend finanziell abge- sichert zu sein, drängte sie nun ihren Partner zur Eheschließung. Sie hat das Gefühl, dass ihr Mann nicht wertschätzt, was sie für die Beziehung leistet – er lässt sich von ihr auch wie ein Kind bemuttern, vor allem seit sie beide in Pension sind.

Früher schluckte Herta ihren Ärger, nun äußert sie ihn nach einer Zeit doch, will aber niemanden beleidigen. Vor der Regel war Herta früher reizbar und deprimiert – in einer solchen Stimmung, wie sie auch jetzt manchmal auftaucht, ist sie lieber allein, geht walken oder liest. Die Patientin hat ei- nen guten Appetit, isst sehr gern Süßes, Obst und Gemüse. Um ihr Gewicht zu halten, versucht sie, kohlenhydratarm zu essen, was aber oft dazu führt, dass es zu Heißhunger auf Süßes kommt. Es besteht eine Neigung zu Verstopfung, die Herta aber mit viel Bewegung regulieren kann. Seit einem halben Jahr besteht auch stärkerer Juckreiz anal und in der Scheide.

Seit 20 Jahren ist eine Schilddrüsenunterfunktion mit einem kleinen Kropf vorhanden – dafür nimmt Herta täglich Euthyrox 75 mg ein. In den Wech- seljahren begann auch der Blutdruck zu steigen – er ist derzeit mit dem ACE-Hemmer Acemin eingestellt. Diese Symptome auf körperlicher und seelischer Ebene führten mich zur Arznei Calcium sulfuricum, für die das Gefühl von mangelnder Wertschätzung und Anerkennung charakteris- tisch ist, was vonseiten der Kollegen bei Herta zum größten Einbruch in ihrem Leben führte und auch ein wesentliches Thema in der Beziehung zu ihrem Mann ist. Herta achtet neben ihrer geistigen und beruflichen Weiterentwicklung auch sehr auf ihr Äußeres. Calcium sulfuricum häuft wie das nahverwandte Sulfur gern Wissen an und hat einen Sinn für schönes Aussehen, versucht dadurch gewinnend auf andere zu wirken.


Kontrolle nach sechs Wochen, Ende August 2013

Herta berichtet, dass sich am Beginn der Einnahme von Calcium sulfuricum LM 6 im Sinne einer Erstreaktion der Stuhl dreimal stark entleerte und jeweils rund zehn Minuten nach der täglichen Arzneigabe Wallungen verstärkt auftraten. Nach zwei bis drei Wochen setzte die positive Arzneiwir- kung ein: Die Hitzewallungen sind nicht mehr so lang andauernd und seltener geworden und daher schläft die Patientin auch besser ein und durch. Bezüglich der Verdauung sind Stuhlverstopfung und Blähungen derzeit wieder stärker. Ich erhöhte die Arzneigabe auf Calcium sulfuricum LM 12 täglich.

Bis Mai 2014 hielt die Besserung unter ansteigenden LM-Potenzen von Calcium sulfuricum an, zuletzt in LM 28. Ende Juni 2014 kam Herta wieder in die Praxis, da es seit einem Monat immer schlechter geworden war. Sie schwitzt nun besonders nachts, vor allem auf der Brust, am Nacken und neuerdings auch im Genitalbereich. Nach den Wallungen fröstelt sie, auch die unruhigen Beine sind wieder da. Tagsüber sind die Wallungen vor allem dann da, wenn Herta angespannt ist. Der Stuhl ist auch wieder härter.

Im April war Herta in Indonesien auf Urlaub – sie hatte offenbar eine Blasenentzündung schon von zu Hause mitgeschleppt, bekam dort hohes Fieber und erhielt Antibiotika, die anschließend zu einem Durchfall führten. Nach dieser Akuterkrankung hatte auch die Verschlechterung mit den Hitzewallungen begonnen, die durch Calcium sulfuricum nicht mehr beeinflusst werden konnten.

Daher entschied ich mich zu einem Mittelwechsel. Die zuletzt aufgetretene Blasenentzündung, der Schweiß im Genitalbereich, die Verstopfung, die ruhelosen Beine abends/nachts im Bett und die Wallungen führten mich nun zu Sepia, einer bewährten Arznei für Beschwerden der Wechsel- jahre wie auch bei anderen hormonellen Umstellungen. Auch Sepia möchte sich anerkannt und respektiert fühlen. Aus Angst, verletzt zu werden, zeigen sie ihre Gefühle nicht offen, ziehen sich zurück und lösen ihre Probleme gern selbstständig, sind meist die Starken in der Beziehung, wie es auch bei Herta der Fall ist. Sie erhält Sepia LM 6.


Kontrolle Anfang Februar 2015

Bis September 2014 tat Sepia sehr gut. Ab November war es schleichend etwas schlechter geworden. Seit rund drei Monaten hat Herta morgens steife Finger mit stechenden Schmerzen, wobei Bewegung bessert und feuchte Kälte verschlechtert. Da diese Beschwerden auch gut zu Sepia passen, erhöhe ich die Potenz auf LM 12, nach zwei Monaten auf LM 18.


Kontrolle im Juli 2015

Herta hat seit einem Monat Sepia LM 24 eingenommen, aber keine weitere Besserung mehr erfahren. Der Schlaf ist wieder sehr schlecht, da der Körper in der Nacht sehr heiß ist. Der Stuhl ist wieder sehr hart, die Blase allerdings ohne Beschwerden. Sie zieht sich wieder gern allein zu Hause zurück. Herta sorgt sich derzeit auch um ihren Mann, der erste Anzeichen von Demenz zeigt und sich ebenfalls immer mehr zurückzieht. Früher

neigte sie dazu, ihn zu korrigieren, wenn er etwas Falsches sagte, jetzt ist sie um mehr Harmonie bemüht.

Nachdem keine weitere Verbesserung mit Sepia zu erzielen war, wechsle ich noch- mals die Arznei. Ich wähle Sulfur, da Herta die Harmonie in der Beziehung sucht und auch aufs Äußere sehr bedacht ist. Sulfur ist auch eine wichtige Arznei für Hitzewallun- gen und heiße Füße nachts im Bett, die hinausgestreckt werden müssen. Da früher das verwandte Calcium sulfuricum gut wirkte, erwarte ich mir das jetzt auch von Sulfur LM 6.


Kontrolle im Mai 2016

Tatsächlich ging es Herta bis Frühjahr 2016 gut. Sie hatte nur hin und wieder gut er- trägliche Wallungen gehabt, keine heißen Füße mehr und auch der Stuhlgang war besser. Seit März gehe es ihr aber wieder schlechter mit Wallungen, Unruhe, Nervosi- tät, auch leicht deprimierter Stimmung. Sie schwitzt nach den Wallungen jetzt vor al- lem im Gesicht, Nacken und auf der Brust. Es stört sie auch die schleichende Ge- wichtszunahme in den Wechseljahren, sie hat vor allem – typisch für Sulfur – Heißhun- ger auf Süßes und Scharfes. Letzteres meidet sie aber, weil es die Wallungen ver- stärkt. Nachdem Sulfur sehr gut gewirkt hat, steigere ich jetzt auf Sulfur LM 12. Nach einem Monat meldet sich Herta telefonisch, dass die Wirkung sich wieder prompt ein- stellte und es ihr derzeit trotz der Sommerhitze schon wieder gut gehe.

Weiterer Verlauf: Sulfur in steigenden LM-Potenzen hat die Beschwerden anhaltend gebessert.

Homöopathische Mittel gegen Hitzewallungen

• Sepia (Tintenfisch) ist geeignet für Frauen, die nach den Hit- zewallungen stark frösteln, Venenprobleme haben und sich nach körperlicher Anstrengung besser fühlen, aber sich auch aufgrund von Überlastung zurückziehen wollen. Enge am Hals wird nicht vertragen, ebenso wie bei Lachesis, das aber eher hitzige und temperamentvolle Frauen brauchen.

• Bei Sulfur (Schwefel) werden die Hitzewallungen durch die Bettwärme verschlimmert, mit brennend heißen Füßen, die her- ausgestreckt werden müssen. Acidum sulfuricum (Schwefel- säure) passt für schwache Frauen. Hier folgen nach den Wal- lungen kalte, klebrige Schweiße sowie ein inneres Zittern.

• Belladonna (Tollkirsche) passt gut für plötzliche Hitzewallun- gen, heiße Haut, roten Kopf und warme Schweiße, vor allem an bedeckten Hautstellen und auch, wenn diese Beschwerden nach starker Erhitzung in der Sonne auftreten.


Geeignete Potenzen für die genannten Arzneien sind D 12 ein- bis dreimal täglich oder bei akuten Hitzewallungen D 30, je- weils fünf Globuli.