GVA, Kur & Präventivmedizin Gesundheitsziele 

FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/ VISUAL GENERATION

Gut geplant ist halb gewonnen

Eine nachhaltige Änderung des Lebensstils lässt sich nur durch konsequente Maßnahmen erreichen. Dazu braucht es klare Ziele und den Willen, an der Umsetzung dranzubleiben.

Nach dem Ende eines Kur- oder Rehabilitationsaufenthaltes verhält es sich mit Gesundheitszielen ähnlich wie zu Jahresbeginn: Die Liste der guten Vorsätze ist lang, mit viel Schwung und Elan wird daran gearbeitet, doch nach einigen Wochen kommt der erste Durchhänger. Die Probleme fan- gen meist schon damit an, dass die Vorsätze entweder zu vage, wie zum Beispiel „Ich werde mehr Sport machen“, oder zu ambitioniert sind, wie etwa „Ich trainiere tägliche eine Stunde“. Als Teil eines vorgegebenen Programmes oder kurzfristiger Zielsetzungen fehlen oft die Flexibilität und die Anpassungsmöglichkeit an persönliche Vorlieben und Lebensumstände.


Ziele richtig formulieren

Was in der „Ausnahmesituation“ des Kur- oder Rehabilitationsaufenthaltes auch mit externer Unterstützung gut gelingt, berücksichtigt selten die Lebenswirklichkeit der Menschen. Zurück im Alltag ist es herausfordernd, wirkungsvolle Maßnahmen für einen gesünderen Lebensstil dauerhaft zu integrieren. Ein Schlüssel zum Erfolg lautet, konkrete, messbare und realistische Gesundheitsziele zu setzen. Die Formulierung persönlicher Ge- sundheitsziele ist ein wesentliches Instrument partizipativer Gesundheitsversorgung, egal ob im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention oder im Bereich der Sekundär- und Tertiärversorgung. Während Zielvereinbarungen in der Arbeit mit körperlich und geistig behinderten Menschen eine lange Tradition haben, werden sie in der Gesundheitsversorgung sehr unterschiedlich und nicht flächendeckend angewandt. Doch gerade im Rahmen einer betreuten Lebensstiländerung, zum Beispiel zur Gewichtsreduktion oder Ernährungsumstellung, sind persönliche Gesundheitsziele ein wichtiges Instrument, um nachhaltig Erfolg zu haben.

Grundsätzlich gibt es eine gute Evidenzlage für die Effektivität von gemeinsamen Zielvereinbarungen und persönlichen Gesundheitszielen. Sie füh- ren zu höherer Motivation, gesteigertem Selbstwertgefühl, höherem Selbstbewusstsein und höherer Autonomie. Es gibt mehrere Konzepte, die hel- fen sollen, effektive Ziele zu formulieren. Das „ABC der Ziele“ beschreibt die grundsätzlichen Parameter, die Ziele erfüllen müssen: Sie sollen er- reichbar (Achievable), glaubhaft (Believable) und verbindlich (Committed) sein. Das bekannteste Konzept sind Zielformulierungen nach der SMART-Formel. Sie wurden für einen rein ökonomischen Zweck entwickelt, fanden schnell Eingang in andere Lebensbereiche, so auch in die Ge- sundheitsförderung und Lebensstilberatung. Mit der Weiterentwicklung durch die Wissenschaft kamen zwei Dimensionen hinzu und man spricht nun von „SMARTER“-Zielen. Dabei steht E für „Evaluative/ethical“, also professionellen und persönlichen Werten entsprechend. R steht für „Rewar- ding“, das heißt lohnend oder aber auch persönlich befriedigend. Beide tragen der emotionalen Seite Rechnung, die für eine erfolgreiche Zielerrei- chung unabdingbar ist.


Politik der kleinen Schritte

Ein weiterer Grund, wieso gute Vorsätze zumeist keine guten Ziele abgegeben, ist die Tatsache, dass man sich oft ein ambitioniertes Resultat vor- nimmt und vor Augen führt, ohne zu überlegen, wie man dorthin gelangen kann. Um jedoch das Endziel zu erreichen, muss man sich kleinere Pro- zess- und Performanceziele stecken. Hier stimmt das Sprichwort auf jeden Fall, dass (auch) der Weg das Ziel ist.

• Prozessziele fokussieren auf eine Aktivität oder Tätigkeit, einen Prozess, der sich zu einer Gewohnheit verfestigen soll, zum Beispiel die Ernäh- rung umzustellen und hochkalorische Lebensmittel mit weniger eniergiedichten Lebensmitteln zu ersetzen.

• Performanceziele helfen beim Monitoring des Erfolges, indem sie die erbrachte Leistung quantifizieren, zum Beispiel anstatt 5 Mal in der Woche Fleisch, nur noch zweimal in der Woche Fleisch zu essen, dafür den Gemüseanteil auf drei Portionen täglich zu erhöhen. Erreiche ich das nicht kann ich zwar das Prozessziel erreichen, aber nicht das Performanceziel.

• Outcomeziele helfen dabei, das große Ganze zu sehen und auch über einen längeren Zeitraum fokussiert zu bleiben. Sie sind die langfristigen Ziele, zum Beispiel in den nächsten sechs Monaten vier Kilogramm Körpergewicht zu verlieren.

Während es immer gut ist, sich langfristige Ziele zu stecken, so sollte doch auf die Prozessziele und Performanceziele fokussiert werden, da diese entscheidend für eine nachhaltige Lebensstiländerung sind und ein kontinuierliches Monitoring ermöglichen. Outcomeziele können oft kontrapro- duktiv sein, da sie die Gefahr bergen, eher demotivierend als motivierend zu wirken, wenn sie nicht erreicht werden oder der persönlich auferlegte Druck, sie zu erreichen, zu groß wird.


Ziele stärken Selbsterkenntnis

Ein weiteres hilfreiches Konzept bei der Formulierung guter Ziele wurde von Nowack (2017) unter dem Namen „EEE-Model der Zielsetzung“ publi- ziert. Dabei geht es darum, dass Zielformulierungen uns Erkenntnisse über unsere Stärken und Schwächen bringen sollen (Erhellen), sie sollen uns motivieren (Ermutigen, Ermuntern) und sie sollen unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitern (Ermächtigen).


Persönliche Gesundheitsziele in der Praxis

In der Gesundheitseinrichtung Sitzenberg-Reidling stellen persönliche Gesundheitsziele einen integralen Bestandteil der Maßnahmensetzung dar. Die Teilnehmer werden bereits vor Beginn des stationären Aufenthaltes in der Gesundheitseinrichtung Sitzenberg-Reidling gebeten, sich über per- sönliche Ziele für den Aufenthalt Gedanken zu machen und diese auf dem Screeningfragebogen anzugeben. Am Ende des Basisaufenthaltes und am Ende der Folgewoche werden im ärztlichen Gespräch persönliche Gesundheitsziele mit den Teilnehmern vereinbart, die zwischen Basisaufent- halt und Folgewoche sowie nach der Folgewoche von den Teilnehmern erreicht werden sollen. In ersterem Fall wird in der Folgewoche evaluiert, ob diese Ziele erreicht wurden oder nicht, und wo es gegebenenfalls Barrieren zum Erreichen der Ziele gegeben hat. Es werden Strategien entwi- ckelt, um diese Barrieren überwinden zu können. Ein Nicht-Erreichen des Zieles wird dabei keineswegs als Scheitern gesehen, sondern als wichti- ger Teil des Prozesse. In der Zeit zwischen Basisaufenthalt und Folgewoche werden die Teilnehmer einmalig kontaktiert, um festzustellen, ob zu- sätzliche Motivation oder Unterstützung erforderlich ist. Idealerweise werden diese Ziele beim nächsten Hausarztbesuch besprochen und ebenso weitere, unterstützende Maßnahmen.

_____________________________

Literatur bei den Verfassern

„Gesunder Lebensstil“ wird häufig mit Verboten, Pflichten und Einschränkungen assoziiert. Brauchen die Vorsorge und Prävention einen Imagewandel?

Moderne Gesundheitsförderung kommt fast ohne moralische Imperative aus. Wenn die Menschen mit allen Bedürfnissen und Barrieren ins Zentrum gestellt werden und nicht so sehr das Verhalten, dann braucht es keinen mahnenden Zeigefinger mit „du musst …“ oder „du darfst nicht …“. Le-

Im Gespräch mit …

Priv.-Doz. Dr. Thomas E. Dorner, MPH, Ärztlicher Leiter der BVAEB Gesundheitseinrichtung Sitzenberg-Reidling

bensstil bedeutet ja, in dem Stil zu leben, wie man sich entscheidet. Hat man sich gesunde Ziele gesetzt, so ist die Entscheidung ge- fallen, diese auch erreichen zu wollen.


Was verstehen Sie unter lebensstilbasierter Gesundheitsförderung?

Lebensstilbasierte Gesundheitsförderung zielt darauf ab, zu reflektieren, wie man leben möchte und welche Ziele man erreichen möchte. Das ist die wesentliche Voraussetzung dafür, um sein Verhalten und auch sein Gesundheitsverhalten auf diese Ziele abstim- men zu können. Lebensstilmodifikation und damit verbundene Prozess- und Performanceziele im Bereich der körperlichen Aktivität, der Ernährung, der mentalen Gesundheit und des sozialen Kapitals können dann dazu beitragen, einen gesunden Lebensstil und so- mit mehr Gesundheit zu erreichen.


Haben alle Menschen den gleichen Zugang zu einer lebensstilbasierten Gesundheitsförderung?

Es gibt eine Reihe von Gesundheitsbarrieren, denen Gesundheitsressourcen gegenüberstehen. Je mehr und je ausgeprägtere Ge- sundheitsressourcen eine Person hat, umso eher können Gesundheitsbarrieren überwunden werden, ohne dass Gesundheitsbeein- trächtigungen entstehen. Gesundheitsbarrieren und -ressourcen können auf vielen verschiedenen Ebenen liegen wie Alter, Geschlecht oder Erbanlagen, verhaltensbasierte Faktoren wie Bewegung, Ernährung oder Konsumgewohnheiten sowie auf sozialer Ebene, wie Partnerschaft, Familie oder Freundeskreis. Sie finden sich auch auf der Ebene der Lebenswelten wie Arbeitsbereich, Erholungsbe- reich, in der Bildung, in Vereinen oder auch auf der Ebene der gesamten Gesellschaft.


Im Gesundheitszentrum Resilienzpark Sitzenberg werden Menschen nachhaltig auf ihrem Weg zu einem gesunden und aktiven Lebensstil unterstützt. Was genau können sie dort erwarten?

Im September 2021 eröffnete die BVAEB das Gesundheitszentrum Resilienzpark Sitzenberg für erwerbstätige Versicherte aller Sozial- versicherungen. Zielgruppe für den stationären Gesundheitsförderungsaufenthalt sind alle, die unabhängig von Gesundheitszustand und Vorliegen von Krankheiten von einer lebensstilbasierten, stationären Gesundheitsförderung profitieren. Maßnahmen werden hier in fünf Bereichen durchgeführt: Bewegungsförderung, Ernährungsoptimierung, Verbesserung der mentalen Gesundheit, Sozialkapitaler- höhung und Gesundheitskompetenzsteigerung. Der Schwerpunkt liegt jeweils in der Erschließung, Identifizierung und dem Ausbau von Gesundheitsressourcen. Der insgesamt dreiwöchige Aufenthalt gliedert sich in einen zweiwöchigen Basisaufenthalt und in eine Folgewoche drei Monate später. Begleitet werden diese Maßnahmen durch ein umfangreiches lebensstildiagnostisches Konzept, in dem viele Parameter während des Basisaufenthaltes erhoben und drei Monate später in der Folgewoche wiederholt werden. Diese Da- ten dienen auch der wissenschaftlichen Evaluierung des Angebotes, indem die Effektivität der Gesundheitsförderungsmaßnahmen un- tersucht wird und insbesondere die Rolle der Gesundheitsressourcen in der Zielerreichung beforscht wird.