Nachstehend wird der Fall eines 53-jährigen Patienten beschrieben, der seit 10 Jahren an rheumatoider Arthritis leidet. Trotz einer Vielzahl verschiedenster Medikamente und zusätzlichen multimodalen Behandlungsformen blie- ben Schmerzen und andere Einschränkungen auf hohem Niveau. Seit seinem 51. Lebensjahr war er wie folgt ein- gestellt: Adalimumab (40 mg s.c. alle 10 Tage), Aprednisolon (10 mg täglich, morgens), Hydromorphon ret. (8 mg morgens, 6 mg abends), Metamizol (4x 1 bis 2 Tabletten/Tag). Mit einer Zusatztherapie von 400 mg Cannabidi- ol/Tag konnten die Schmerzen von vorher 6-8 (numerical rating scale, NRS) auf 3-4 gesenkt und die Dosis der übrigen Medikamente de facto halbiert werden. Sozial- und Berufsleben sowie Lebensqualität besserten sich dramatisch.
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine schmerzhafte und relativ häufige Autoimmunerkran- kung; chronische Entzündungen führen zu einer fortschreitenden, meist symmetrischen Zer- störung des Knorpels kleiner und großer Gelenke von Händen und Füßen. Schmerzhafte Ge- lenke und Gelenksschwellungen und Einschränkungen der Funktionalität sind die Haupt- symptome. In Industrieländern liegt die Prävalenz von RA bei etwa 0,5 bis 1 %. Um Schmer- zen, fortschreitende Knorpelzerstörung und Immobilität zu begrenzen, ist häufig eine ag- gressive, lebenslange Behandlung erforderlich. Eine Pharmakotherapie ist jedoch nicht ku- rativ und geht oft mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einher, insbesondere mit einer Le- ber- oder Nierentoxizität, die Behandlungsmöglichkeiten einschränkt, das Risiko von Organ- schäden erhöht und die Lebensqualität aufgrund von Nebenwirkungen noch weiter verringert.
Trotz der zunehmend verbreiteten Verwendung von Cannabis und Cannabis-Extrakten (auch als „CBD-Öle“ bekannt) zur Behandlung chronischer Schmerzen fehlen weitestgehend kon- trollierte klinische Studien. Die wenigen Publikationen beschreiben meist eine sehr heteroge- ne Population von Patienten mit Schmerzen aufgrund verschiedenster Erkrankungen. Dar-
über hinaus liegen zur analgetischen Wirkung von reinem CBD nur wenige klinische Daten vor (Nahler 2018) und fehlen gänzlich betreffend einer Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Weder konnten kontrollierte klinische Prüfungen noch Einzelfallbeschreibungen gefunden werden, obwohl CBD seit Anfang der 70er-Jahre am Menschen angewandt wird und in den USA seit Juni 2018 sowie in Europa seit September 2019 Zulassungen für Phyto-CBD bestehen. Eine Reihe von präklinischen und klinischen Studien zeigt jedoch, dass CBD ausgeprägte anti-inflammatorische und im- munmodulierende Eigenschaften besitzt (Nichols, Kaplan 2020). Der nachstehend beschriebene Fall eines Patienten, bei dem in geradezu spek- takulärer Weise eine Zusatzbehandlung mit CBD sowohl Schmerzen als auch die Dosierung von Begleitmedikamenten reduzieren konnte, ist da- her von besonderem Interesse.
Fallbeschreibung
Männlicher Patient, 53 Jahre alt, mit rheumatoider Arthritis; beidseits ist die Mehrzahl der kleinen Gelenke der Füße betroffen, mit Beteiligung der Sprunggelenke, der Achillessehnen, der kleinen Fingergelenke, gelenksnahen Sehnenansätze und Weichteilregionen, sowie den typischen Labor- befunden wie erhöhte Senkung, Leukozytenzahlen, C-reaktives Protein (CRP) und positive Rheumafaktoren (RF) insbesondere während eines Schubs. Erste Symptome traten 2010 im Alter von 43 Jahren auf. Die Diagnose wurde schließlich zwei Jahre später im Alter von 45 Jahren bestä- tigt. Trotz Behandlung war die Erkrankung nicht nur äußerst schmerzhaft, sondern es war auch im Verlauf der Jahre im Zusammenhang mit den Schüben eine Progression zu beobachten. Schübe traten wenigstens einmal pro Monat auf. Die Schmerzen waren vor Beginn der Comedikation mit CBD am Morgen für die Dauer von etwa einer halben Stunde maximal und nahmen danach etwas ab, blieben aber den ganzen Tag über auf hohem Niveau (6 bis 8 auf einer numerischen Ratingscale, NRS von 0 bis 10), trotz verschiedenster Kombinationstherapien sowie periodischer Zusatzbehandlungen, insbesondere Physio-, Psychotherapie, Kältekammer und Akupunktur, sowie mehrfacher Kuraufenthalte. Begleitsymptome, insbesondere Depression, Schlafstörungen, verminderte Feinmotorik der Finger und das Gefühl, ständig erschöpft und ausgelaugt zu sein, waren eine erhebliche zusätzliche Belastung und Beeinträchtigung der Lebensqualität. Während der Schübe war aufgrund von Schwellungen und Schmerzen das Tragen von Schuhen besonders qualvoll, was auch die berufliche Tätigkeit, die oft mit langen Autofahrten verbunden war, erheb- lich einschränkte.
Therapien, die über die Jahre verordnet und wegen mangelnder Wirksamkeit oder Verträglichkeit immer wieder geändert wurden, waren folgende:
Naproxen (2x 500 mg/Tag, wiederholt versucht und wieder gestoppt wegen gastrointestinaler Beschwerden), Ebetrexat (10 mg p.o. wöchentlich, gestoppt wegen Leukopenie und erhöhter Leberenzyme), Methotrexat (15 mg p.o. wöchentlich, gestoppt wegen erhöhter Leberenzyme), Leflono- mid (Boost mit 100 mg für die ersten drei Tage, dann 20 mg/Tag, gestoppt wegen erhöhter Leberenzyme), sowie Abatacept (125 mg s.c. /Woche), Apremilast 2x 30mg p.o. /Tag), Etanercept (50 mg s.c. /Woche), Golimumab (100 mg s.c. /Monat), Ustekinumab (45 mg s.c. alle 12 Wochen).
Schließlich erhielt der Patient in den letzten zwei Jahren, also ab dem 51. Lebensjahr, folgende Basistherapie, die relativ gesehen die beste Schmerzlinderung brachte und sich dabei als die verträglichste erwies:
• Adalimumab (40 mg s.c. alle 10 Tage),
• Aprednisolon (10 mg täglich, morgens),
• Hydromorphon ret. (8 mg morgens, 6 mg abends),
• Metamizol (4x 1 bis 2 Tabletten/Tag).
Dennoch blieb die Schmerzintensität im Gelenksbereich mit 6-8 (NRS) hoch. Aufgrund der unbefriedigenden Schmerzlinderung und des unverän- dert hohen Leidensdruckes wurde, nach fachärztlicher Absprache und Aufklärung des Patienten, ein Behandlungsversuch mit reinem Cannabidi- ol (CBD) gestartet. Phyto-CBD (Trigal Pharma GmbH, Reinheitsgrad über 99,8 %) wurde in Form magistral zubereiteter Kapseln zu 100 mg zu- nächst zweimal pro Tag, morgens und abends nach den Mahlzeiten, verordnet und innerhalb von vier Wochen schrittweise um 100 mg auf 400 mg pro Tag erhöht. Bereits nach drei Wochen war eine Schmerzlinderung zu bemerken. Die derzeitige medikamentöse Therapie setzt sich wie folgt zusammen:
• Adalimumab (40 mg s.c. alle 10 Tage), unverändert,
• Aprednisolon (5 mg /Tag, morgens), um 50 % reduziert,
• Hydromorphon ret. (4 mg morgens, 2 mg abends), um mehr als 50 % reduziert,
• Metamizol (4x 1 Tablette/Tag), bis zu 50 % reduziert,
• Cannabidiol (2x 200 mg/Tag).
Mit dieser Medikation konnten die Schmerzen auf relativ konstante Werte zwischen 3-4 (NRS) reduziert werden. Insbesondere haben sich die Schmerzen im Bereich der Finger, Zehen, des Sprunggelenks und der Achillessehne auf einem erträglichen Niveau stabilisiert. Gleichzeitig bes- serten sich Schwellung der Gelenke, Schlafqualität, Funktionalität, Stimmungslage, das Sozialleben, die Möglichkeit, dem Beruf weiter nachzuge- hen, und die Lebensqualität des Patienten.
Der Patient erhält nunmehr seit Juli 2020 die oben angeführte Therapie, die bis jetzt ohne Nebenwirkungen gut vertragen wurde.
Der Patient steht nach wie vor unter regelmäßiger fachärztlicher Observanz. Eine Adaptierung der medikamentösen Therapie entsprechend dem Beschwerdebild wird mit dem Patienten ebenso wie mit den kooperierenden Fachärzten abgesprochen und wird aufgrund des Therapieerfolgs von allen Beteiligten unterstützt.
Nach unserem besten Wissen ist dies der erste Fall, der den Nutzen von reinem CBD als Zusatzbehandlung bei rheumatoider Arthritis zeigt, ob- wohl Ergebnisse von Tierstudien wiederholt darauf hinwiesen, dass CBD eine stark entzündungshemmende und immunmodulierende Substanz ist (Costa et al., 2007; Izzo et al., 2009). CBD hat einen sehr komplexen Wirkmechanismus; insgesamt sind mittlerweile 76 verschiedene molekulare Targets bekannt (Mlost et al., 2020). Ein Teil davon spielt auch bei der Entzündungshemmung und Schmerzlinderung eine Rolle, wobei der Me- chanismus der analgetischen Wirkung von CBD derzeit nicht völlig geklärt ist. Die Modulierung chronischer Schmerzen dürfte dabei jedoch nicht mit den klassischen Rezeptoren CB1 und CB2 in Zusammenhang stehen, sondern scheint über Glycinrezeptoren (alpha3-GlyRs) vermittelt zu werden (Xiong et al., 2012) sowie über Ionenkanäle als weitere Targets, die durch CBD sensibilisiert (TRPV1, TRPV2, TRPV3, TRPV4 und TRPA1) oder desensibilisiert werden (TRPM8) (Philpott et al., 2017; Storozhuk, Zholos 2018; Nahler et al., 2019). TRPV1 ist weithin auch als sogenannter „Capsaicin-Rezeptor“ bekannt; Capsaicin-Pflaster werden seit Langem zur Analgesie verwendet. Die TRP-Ionen-Kanal-Familie ist phylogenetisch eines der ältesten Systeme von Rezeptoren, das Umweltveränderungen signalisiert. Darüber hinaus übt CBD auch indirekte Effekte auf andere Targets aus, indem es den Spiegel der Endocannabinoide AEA und 2-AG erhöht, die ihrerseits mit einer Reihe von Cannabinoid- und Nicht-Can- nabinoidrezeptoren interagieren.
Zusammenfassend
Bei diesem Patienten mit einer seit zehn Jahren anhaltenden und fortschreitenden rheumatoiden Arthritis reduzierte eine Zusatzbehandlung mit 400 mg CBD/Tag die bisher nur unbefriedigend kontrollierten Schmerzen um 50 %, bei gleichzeitiger Reduktion der Begleitmedikation in gleichem Ausmaß und Besserung der Begleitsymptome.