GASTKOMMENTAR

Corona-Krise und ihre

Auswirkungen auf die Psyche

Ein Gastbeitrag von a.o. Univ. Prof. Dr. Beate

Wimmer-Puchinger, Präsidentin des

Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen.

Die derzeit hohen Zuwachsraten bei den vielen Helplines zeigen uns deutlich, dass Corona und die Krise nicht spurlos an den Menschen vorbeigehen, die Menschen emotional und psychisch sehr belasten. Bei unserer BÖP-Helpline* zum Beispiel liegen diese Zuwachsraten im dreistelligen Prozentbereich.

Wir haben drei Gruppen identifiziert, die in der aktuellen Situation besonders gefährdet sind: Dazu zählen Patienten, die medizi- nisch einer Risikogruppe zuzuordnen sind, die chronisch krank sind oder alt. Sie machen sich viel mehr Sorgen, sich zu infizieren und von der Krankheit massiv bedroht zu werden. Da steigen Verunsicherung und Ängste, das ist verständlich und gut nachvoll- ziehbar. Eine weitere Gruppe bilden Menschen, die psychisch ohnehin vulnerabel sind, die vorher schon zu Ängsten neigen, Zwänge aufweisen, Angstzustände, depressive Zustände und Depressionen haben. Bei diesen Menschen verstärkt die Krise das Gefühl, keine Kontrolle über das eigene Leben und nur geringe Zukunftsperspektiven zu haben. Sie sehen für sich keine positiven Optionen. Die dritte Gruppe sind schließlich Frauen, die über einen langen Zeitraum eine Vielzahl von Rollen und Anforderungen zu erfüllen haben, als Kindergärtnerin, Lehrerin, Köchin und Mitarbeiterin im Homeoffice in einer Person. Die Belastung ist hoch, führt nicht selten zu Schlafstörungen, Unruhezuständen, Burnout. Je länger, desto belastender wird das alles.

Gleiches gilt auch für die Zunahme familiärer Gewalt, vor allem dort, wo das Gewaltpotenzial in Nicht-Krisenzeiten schon hoch ist und durch das Zusammenleben auf engstem Raum mit eingeschränkten Fluchtmöglichkeiten verstärkt wird. Mich wundert es auch nicht, dass Gewalt derzeit kaum sichtbar wird. Es ist in Krisensituationen für Gewaltopfer noch schwieriger als sonst, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen, Anzeige zu erstatten oder in ein Frauenhaus zu flüchten. In der Krise halten Familien trotz al- lem zusammen. Aber Gewalt passiert. Wir kennen die Risikofaktoren und die sind jetzt besonders gegeben.

In psychisch belastenden Krisenzeiten kommt den Hausärzten eine wichtige Rolle zu. Sie kennen ihre Patienten und deren Ange- hörige sehr genau, verfügen über ein gutes Sensorium, um Veränderungen und Zeichen wie Schlafstörungen, Bedrücktheit, Ner- vosität, Rastlosigkeit, Gefühle der Ohnmacht, Auswirkungen von Schlaf- und Beruhigungsmedikamenten und die Folgen eines verstärkten Alkoholkonsums frühzeitig zu erkennen, zu reagieren und an Experten weiterzuvermitteln.


Zuhören, reden lassen, nachfragen

Psychisch belastete Patienten brauchen jetzt besonders viel Zeit für ein Gespräch. Ärzte haben gelernt, wie man schlechte Dia- gnosen überbringt. Ähnliche Mechanismen gelten auch für die Kommunikation in psychischen Krisensituationen. Ganz wichtig dabei ist es, Probleme zwar offen anzusprechen, aber in verdaulichen Portionen, Stück für Stück. Vor allem aber brauchen diese Patienten positive Optionen. Das heißt, es sollten immer wieder auch positive Aspekte angesprochen und Perspektiven aufgezeigt werden, dass die Krise vorbeigehen wird. Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit wandelt sich nicht selten in Ärger, Zorn und Aggres- sion um. Im Bedarfsfall sollten Hausärzte ihre Patienten dringend dazu ermutigen, zeitnah psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sie Spezialisten – klinischen Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiatern – zuweisen.  n


* BÖP-Helpline, das psychologische Beratungsservice des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP): 01/504 800, helpline@psychologiehilft.at, täglich von 9-20 Uhr