THEMA | Rheuma

Rheuma – was nun?

Während eine endgültige Diagnose anfangs für viele Be- troffene oft eine Erleichterung darstellt, weil sie so man- chen „Hypochonder“ rehabilitiert, folgt meist die Ernüch- terung, ein Leben lang mit einer chronischen Erkrankung leben zu müssen.

Foto: istockphoto/vincent scherer, ZVG

Mehr als acht Millionen Krankenstandstage wurden 2014 österreichweit aufgrund rheumatischer Erkrankungen konsumiert. Fast zwei Millionen Ös- terreicher klagen über rheumatische Beschwerden. Davon leiden circa 80.000 Menschen an Rheumatoider Arthritis (Pongratz, 2016). Sie ist nur eine von rund 450 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, mit Schmerzen als Leitsymptom.


Geringe Adhärenz

Die eindeutige Diagnosestellung einer rheumatischen Erkrankung gestaltet sich oft schwierig, daher betreiben viele der betroffenen Menschen jah- relanges „Doctor shopping“. Da das „therapeutische Fenster“ von Gelenksentzündungen bei drei Monaten liegt, gilt: je früher die Diagnose, umso eher können irreversible, langfristige Schäden für die Betroffenen und die Volkswirtschaft verhindert werden. Während die endgültige Diagnose an- fangs für viele Betroffene eine Erleichterung darstellt, weil sie so manchen „Hypochonder“ rehabilitiert folgt meist die Ernüchterung, ein Leben lang mit dieser Erkrankung leben zu müssen.

Neben First-Line-Medikamenten verfügt die Medizin über hochpotente, teils sehr kostspielige Second-Line-Medikamente wie Basistherapeutika und Biologika. Studien zeigen, dass jeder fünfte Patient die Pharmaka frühzeitig absetzt. Morbidität und Mortalität erhöhen sich. 33 bis

50 Prozent der Pharmaka werden nicht vorschriftsmäßig eingenommen. Der ärztliche Behandlungserfolg ist unter anderem von der Adhärenz der Patienten abhängig. Laut Weltgesundheitsorganisation erreichen durchschnittlich nur etwa die Hälfte aller Patienten eine gute Adhärenz oder sind nach einem Jahr noch auf der initialen Therapie. Studien belegen, dass zum Beispiel depressive Patienten besondere Schwierigkeiten zeigen, ärztliche Ratschläge zu befolgen.


Depression triggert Entzündung

Schon seit den 1980er-Jahren ist bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen Life Events oder Stressoren in der Genese von Rheumatoider Arthritis (RA) gibt. Erlernte Hilflosigkeit und „Katastrophisieren“ haben einen negativen Einfluss auf Schmerzen. Psychoneuroimmunologische (PNI) Studien zeigen, dass diverse Formen von Stress mit IL-6-Erhöhungen assoziiert sind. IL-6 aktiviert die T-Zellen und sorgt für die Vermehrung der synovialen Fibroblasten, die für die Ausbreitung der Entzündung innerhalb des Körpers verantwortlich sind. In der Pathogenese der Psoriasisar- thritis (PsA) scheinen genetische, immunologische und Umweltfaktoren eine Rolle zu spielen. Aus der PNI-Forschung wissen wir, dass TNF-alpha eine besondere proinflammatorische Rolle im Entzündungsgeschehen hat. Eine Reihe von Studien belegt, dass psychische Belastungen bei PsA zu Krankheitsverschlechterungen führen. In Querschnittstudien wurde ein positiver Zusammenhang zwischen inflammatorischen Parametern und Depression nachgewiesen: Entzündung triggert Depression. Depression triggert Entzündung.


Lebensqualität trotz chronischer Erkrankung

Rheumatische Erkrankungen begleiten betroffene Menschen ein Leben lang und bedeuten einen enormen Einschnitt. Um eine bestmögliche Le- bensqualität erlangen zu können, braucht es eine Versorgung durch ein hoch qualifiziertes, multidisziplinäres Team: Dieses Team kann aus Ärzten, Psychologen sowie der Pflege, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Masseuren bzw. Sozialarbeitern bestehen. Aus einer Studie des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI) aus dem Jahr 2018 geht hervor, was sich Patienten wünschen: „Am wichtigsten ist ihnen die men- schliche, psychologische Betreuung. Erst an zweiter Stelle nennen sie die bestmögliche medizinische Betreuung.“ Das bedeutet, dass diese Men- schen ihr „Kranksein“ belastender empfinden als die Erkrankung selbst. Etwa 20 Prozent der RA-

Patienten sind nach zwei Jahren und 50 Prozent nach fünf Jahren nicht mehr in der Lage, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Da Rheumapatien- ten bei Klinischen Psychologen, im extramuralen Bereich, keine e-card stecken können, ist die Konsultation auf die Honorarbasis beschränkt. Das ist für viele Betroffene meist nicht finanzierbar.


Rheumaprojekt – Best Practice

Um Rheumakranken dennoch eine kostenlose Versorgung durch Klinische Psychologen zu ermöglichen, hat der Berufsverband der Österreichi- schen PsychologInnen (BÖP) 2016 ein Pilotprojekt gestartet: Vier kostenlose Behandlungseinheiten bei von Rheumatologen speziell geschulten Klinischen Psychologen. Die ersten Ergebnisse der begleitenden Evaluierung liegen vor. Ziel war es herauszufinden, inwiefern extramurale klinisch psychologische Behandlung Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises dabei helfen kann, in den Bereichen psychisches Wohlbefinden, Krankheitsakzeptanz und Lebensqualität eine positive Veränderung zu erzielen. Dazu wurden 14 Patienten einer Prä-Post-Studie unterzogen. Die bis dahin vorliegenden Auswertungen zeigen, dass eine extramurale klinisch psychologische Behandlung schon nach nur vier In- terventionseinheiten zu signifikanten beziehungsweise hoch signifikanten Verbesserungen mit mittleren bis starken Effektstärken im Bereich Wohl- befinden (p<.001), Krankheitsbewältigung (p<.001) und subjektive Lebensqualität (p<.05) führen kann. 75 Prozent der Untersuchten berichten über eine mittlere bis starke positive Beeinflussbarkeit ihrer Schmerzen, mehr als 83 Prozent über eine mittelgradig bis stark verbesserte Krank- heitsbewältigung, 75 Prozent über eine mittlere bis starke Verbesserung in den Bereichen Lebensfreude und Aktivitäten und 80 Prozent über eine mittlere bis starke Verbesserung ihrer Selbstfürsorge.

In der Fachsektion Klinische Psychologie im Berufsverband der Österreichischen PsychologInnen wurde die Arbeitsgruppe Psychorheumatologie gegründet, in deren Mittelpunkt der betroffene Mensch, die bestmögliche Versorgung Rheumakranker sowie das Erlangen einer optimalen Le- bensqualität (QOL) für Betroffene steht. Die Arbeitsgruppe dient als Plattform für Psychologen, Ärzte, Patienten, pflegende Angehörige und Selbst- hilfegruppen sowie Angehörige verwandter Gesundheitsberufe, Sozialarbeiter und auch für Stakeholder.


Literatur bei der Verfasserin.