REHABILITATION | FOR

Warum es eine Familienorientierte

Rehabilitation (FOR) in Österreich

braucht

FOTOS: ZVG

Einzigartig in Österreich wird für hämato-on- kologisch erkrankte Kinder und Jugendliche eine „Familienorientierte Rehabilitation (FOR)“ im Leuwaldhof in St. Veit im Pongau angeboten.

AUTOR:

Univ.-Doz. Dr. Gustav Fischmeister, MSc

Primar Leuwaldhof, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Arzt für Allgemeinmedizin,

gustav.fischmeister@reha-stveit.at

Die auf diese Krankheitsbilder spezialisierte Rehaklinik wurde im Juni 2018 von der VAMED in enger Kooperation mit der SALK eröffnet und bietet Reha-Auf- enthalte für die gesamte betroffene Familie mit hämato-onkologisch erkrankten Kindern an. Behandelt werden Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 0 bis 18 Jahren mit hämato-onkologischen Erkrankungen, aber auch Kinder mit Stoffwechselstörungen sowie Erkrankungen des Verdauungstrakts, jedoch ohne Familienorientierung.


Ursprünge der Familienorientierung

In Deutschland entwickelte sich die onkologische Familienorientierung als Erfolgsmodell schon in den 90er-Jahren (Katharinenhöhe und Tannheim im Schwarzwald, Sylt und Bad Oyxen). Österreich hat 2018, mit der Eröffnung des Leuwaldhofes, die erste Rehabilitationseinrichtung mit Familien- orientierung geschaffen. Ein Vergleich der beiden Länder zeigt, dass Deutschland jährlich rund 1.800 und Österreich etwa

300 onkologische Neuerkrankungen pro Jahr verzeichnet. Davon nehmen 20 bis 40 % der Patienten einen Reha-Aufenthalt in Anspruch. In Deutschland ist die FOR auf Basis wissenschaftlicher Publikationen inzwischen gesetzlich verankert und die Kosten werden von der deutschen Rentenversicherung getragen. In Österreich gibt es ebenso erste wissenschaftliche Publikationen, die die Sinnhaftigkeit bestätigen (s. u.) und den Österreichischen Dachverband der Sozialversicherungsträger zur Übernahme der Kosten für die gesamte Familie veranlassten.


Was bedeutet Familienorientierung?

Diagnose und intensive Akuttherapie stellen ein massives Trauma für die gesamte Familie dar. Aus diesem Grund erfolgt die Rehabilitation im Be- reich der Hämato-Immunologie-onkologischen Erkrankungen in Form der sogenannten Familienorientierten Rehabilitation (FOR). Hierbei ist der Be- griff „Familie“ als soziale Gruppe definiert, die in der Regel aus Eltern und aus ihren unselbständigen Kindern besteht (Kernfamilie). Die wesentli- che Funktion der „Kernfamilie“ oder auch „der gemeinsame Haushalt konstitutiv“ – damit sind auch kindzentrierte Bezugspersonen, die eine Le- bensgemeinschaft bilden, gemeint – ist die primäre Sozialisation der Kinder und der Begriff „Familie“ wird in diesem Sinne verwendet.

Das primäre Rehabilitationsziel für das kranke Kind ist, den medizinischen Behandlungserfolg langfristig und nachhaltig zu sichern sowie Folge- schäden der akuten Therapie rechtzeitig zu erkennen bzw. zu verhindern. Durch die Einbeziehung der „Familie“ ist die Nachhaltigkeit der rehabili- tativen Maßnahmen gewährleistet, sofern die Familie als intakte soziale Gruppe ihre Funktionsfähigkeit auch nach der traumatisierenden Krise be- hält. Daher wird die Familie in ihrer psychosozialen Funktion gestärkt und im Rahmen von psychologischen, sozialpädagogischen und anderen therapeutischen Leistungen (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Diätologie) unterstützt. Durch eine altersangepasste Heilstättenschule und einen sonderpädagogischen Kindergarten wird synergistisch das Familiengefüge entlastet, die Kinder resozialisiert und schulisch unterstützt. Die Sicherstellung der Genesung des Kindes ist durch die Stärkung der familiären Strukturen gewährleistet. Vereinfacht formuliert benötigt „eine anhal- tende Genesung des Kindes eine intakte familiäre Umgebung“. Aus diesem Grund werden die Familienangehörigen in den Reha-Prozess einge- bunden und mithilfe des psychosozialen Familienkonzepts und verschiedener patientenangepasster therapeutischer Leistungen mitbetreut. Dro- hende Trennungen, Burnouts, Interaktionsstörungen bei jüngeren Geschwisterkindern durch Abwesenheit der Mutter und/oder des Vaters während der Therapiezeit etc. können erkannt und behandelt werden.

Das Rehabilitationsziel für die Familienangehörigen ist, die durch die akute Erkrankung des Primärpatienten entstandenen oder akut gewordenen Symptome zu erkennen sowie eine Behandlung einzuleiten und eine Chronifizierung zu verhindern. Gerade die Kernfamilie hat während der Akut- therapie des Primärpatienten die persönlichen Bedürfnisse nicht beachten können, daher bestehen ein Therapiebedarf und die Möglichkeit für „Familienzeit“.

Im Rahmen der Rehabilitation wird daher nicht nur das erkrankte Kind oder die/der Jugendliche als Primärpatient 2,5 Therapiestunden pro Tag be- handelt, sondern werden auch die Eltern und Geschwister als Sekundärpatienten aufgenommen und erhalten 1,5 Therapiestunden pro Tag. Für alle gibt es auch ein freizeitpädagogisches Programm.


Studie bestätigt Effekte

Die von der Kinder- und Jugendrehabilitation Leuwaldhof in St. Veit in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Bolzmann Institut durchgeführte Studie „Große Verbesserungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und körperlichen Fitness während der multidisziplinären stationären Rehabilita- tion für pädiatrische Krebsüberlebende“ startete 2018 und konnte im Dezember 2021 ausgewertet werden. Im Oktober 2022 wurden die For- schungsergebnisse veröffentlicht.

Die Ergebnisse mit Daten von 236 Kindern und 478 Eltern zeigen deutliche Verbesserungen der körperlichen und psychischen Funktionen der Pa- tienten im Alter zwischen fünf und 21 Jahren. Im Rahmen einer vierwöchigen familienorientierten Rehabilitation reduzieren sich die Schmerzen, Angstgefühle werden weniger und nicht nur die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern auch ihre Familien kehren gestärkt in den Alltag zurück.

Die Studiendaten zeigen auch, dass Eltern den Zustand ihrer Kinder zu Beginn der Rehabilitation deutlich schlechter einschätzen als die Kinder selbst. Auf der anderen Seite nehmen sie aber deutlich stärkere Verbesserungen durch die Rehabilitation wahr. Um die Unterschiede im Aus- gangswert auszugleichen, wurde mit einer speziellen Methode der statistischen Analyse (Performance Score) gearbeitet. So konnten im Bereich der Kinderonkologie erstmalig Aussagen von Eltern und Kindern vergleichbar gemacht werden.

Die Überlebensraten von Kindern mit Krebserkrankung sind um ein Vielfaches höher im Vergleich zur Erwachsenenonkologie (Fünf-Jahres-Überle- ben >85 %). Trotzdem ist die Diagnose Krebs ein großer Schock und erzeugt nicht nur existenzielle Ängste um das erkrankte Kind, es entstehen auch vielerlei Schwierigkeiten, die Spuren am gesamten Familienleben hinterlassen. Die familienorientierte Rehabilitation ist ein wichtiger Meilen- stein in der Kinderonkologie, dessen Sinnhaftigkeit durch die Studie weiter bestätigt wird.


Schlussfolgerung

Die Kinder- und Jugendrehabilitation ist eine großartige Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten in der Pädiatrie. In St. Veit ist der Start der Kinder- und Jugendrehabilitation erfolgreich verlaufen, wie auch die geschilderten Auswertungen von elektronischen Fragebögen zeigen. Die Opti- mierung des individuellen ICF-basierten interdisziplinären Kinder-, Jugend- und familiengerechten Leistungsprofils und die Ausweitung der Einbe- ziehung von Familienmitglieder in den anderen Indikationen sind die derzeit größten Herausforderungen, die es noch zu lösen gilt.

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QUELLE:

Riedl et all, Large Improvements in Health-Related Quality of Life and Physical Fitness during Multi- disciplinary Inpatient Rehabilitation for Pediatric Cancer Survivors, in: Cancers 2022, 14(19), 4855; https://doi.org/10.3390/cancers14194855