PRAXIS I Kassenvertrag

Wahlarzt statt Kassen

MR Dr. Hubert Wilfert ist ein Wiener Dermatologe mit vie- len Jahren Erfahrung. Nach fast 30 Jahren hat er die Kassen- zugunsten einer Wahlarztordination aufgege- ben. Eine Entscheidung, die viel Stress aus dem Alltag nimmt und auch den Patienten zugutekommt.

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?Ist es richtig, dass Sie Ihre Kassenordination zugunsten einer Wahlarztordination aufgegeben haben?

Ja, das stimmt. Ich hatte meine Kassenpraxis ab 1988 fast 30 Jahre lang und habe sie im September 2017 aufgegeben. Um genau zu sein, habe ich die kleinen Kassen wie SVA, VA, KFA oder BVA als Sicherheitspolster behalten und nur die bei den Gebietskrankenkassen und anderweitig versicherten Patienten rechne ich privat ab. Viele meiner Kollegen haben das ähnlich gelöst.


?Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?

Eine Kassenpraxis ist immer eine Massenpraxis. Ich habe das all die Jahre sehr gerne gemacht, aber nun war es an der Zeit kürzer zu treten. Für mich war es immer wichtig und selbstverständlich, für alle Bevölkerungsschichten da zu sein – die Kassenpraxis ist ja auch eine Sozialpraxis. Au- ßerdem habe ich mich schon immer für Akutmedizin interessiert. Patienten mit akuten Problemen bekommen bei mir sofort einen Termin. Das ufer- te aber immer mehr aus und war irgendwann einfach zu viel. Ich musste zugeben, dass meine gesamte Work-Life-Balance aus dem Ruder gelau- fen war. Ich habe in den letzten Jahren versucht, diese Entwicklung mithilfe einer einmal wöchentlichen Dauervertretung zu kompensieren. Da- durch blieb mir ein wenig Zeit für Administratives und Privates.


?Aber es war offenbar trotzdem zu viel. Das heißt, die Wahlarztpraxis verschaffte Ihnen mehr Luft?

Ich hatte immer die Absicht, über das 65. Lebensjahr hinaus weiterzuarbeiten. Mit einer vollen Kassenpraxis ist das grundsätzlich möglich, aber im Hinblick auf die Kräfte, die einfach mit der Zeit nachlassen, doch recht schwierig. Der Umstieg auf die – zumindest teilweise – Wahlarztordinati- on war die Lösung.


?Wussten Sie zum Zeitpunkt des Wechsels, dass demnächst Ärzte Ärzte anstellen dürfen?

Das wusste ich damals nicht. Dieser Wunsch der Ärzteschaft stand schon lange Zeit zur Diskussion, wurde aber stets kategorisch abgelehnt.


?Hätten Sie Ihre Entscheidung in dieser Weise auch gefällt, wenn Sie das damals schon gewusst hätten?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, aber ich glaube nicht, dass das meine Entscheidung verändert hätte. Ich kenne die Details der neuen Regelung nicht, aber soweit ich weiß, wird jeder Einzelfall geprüft und Kollegen aus der Umgebung können Einspruch erheben. So einfach ist die- se Lösung also vielleicht gar nicht.


?Halten Sie die Lösung, dass Ärzte Ärzte anstellen dürfen für gut?

Letztlich muss man genau durchrechnen, ob sich eine derartige Lösung finanziell vernünftig ausgeht und ob auch ausreichend Vertrauen dafür vorhanden ist. Ich selbst bin ein Kontrollfreak, der auch bei einer Dauervertretung gerne genau weiß, was der Kollege gemacht hat. Für mich per- sönlich wäre das daher vermutlich keine passende Option gewesen, aber grundsätzlich halte ich es für eine gute Lösung für viele Fälle, auch wenn es nicht für jeden passt. Es gibt diese Variante in vielen anderen Ländern und sie funktioniert meist sehr gut. Gerade für Ordinationen, in de- nen ein älterer, erfahrener Arzt mehrere jüngere Kollegen anstellt, die frischen Wind und modernes Know-how einbringen, halte ich eine Gruppen- praxis mit angestellten Ärzten für ein schönes Konzept. Für mich ist der schrittweise Rückzug aber so nicht denkbar – ich bin mit meiner Lösung sehr zufrieden. Ähnlich geht es auch einigen meiner Kollegen. Dennoch bin ich sicher, dass das kein Weg für jeden ist, denn die Sozialpraxen muss es weiterhin geben.


?In welche Richtung soll sich Ihre Ordination in den nächsten Jahren entwickeln?

Ich bin nach wie vor voll beschäftigt. Ich habe mein Pensum von etwa 50 Wochenarbeitsstunden auf 25 bis 30 reduziert, das heißt, ich bin vier Tage pro Woche in der Praxis. Damit habe ich ausreichend, aber deutlich weniger zu tun, alles ist entspannter, mit weniger Stress. Meine Patienten wissen das sehr zu schätzen. Wenn ich davor nur fünf Minuten Zeit pro Patienten hatte, dann sind es jetzt fünfzehn. Für mich selbst habe ich ebenfalls mehr Zeit, aber auch mehr Energie für andere Aufgaben. In meiner Freizeit lese und reise ich sehr gerne, aber ich habe kein Hobby, das mich so sehr erfüllt wie mein Beruf. Daher möchte ich gerne auf diesem Niveau weitermachen, solange es meine Gesundheit erlaubt. Gleichzeitig kann ich die Aspekte meines Berufes mehr ausbauen, die mich besonders interessieren, denn die akute Dermatologie macht mir nach wie vor viel Spaß.


?Damit entlasten Sie außerdem die Ambulanzen, richtig?

Ja, denn normalerweise bleibt Patienten mit akuten dermatologischen Erkrankungen fast nur der Weg in die Ambulanz. Bei vielen Kassendermato- logen sind die Wartezeiten einfach zu lange. Die Zuweiser in meiner Umgebung wissen das und akzeptieren mein Angebot, mich um akute Fälle zu kümmern, gerne. Ich operiere wieder mehr und führe mehr kleine Eingriffe durch.


?Was würden Sie sich für die dermatologische Ausbildung wünschen?

Für junge Kollegen würde ich mir wünschen, dass sie die Möglichkeit haben, sich sehr viel Praxisorientiertes anzuschauen, über den Tellerrand hinauszublicken, etwa in Richtung kleiner Chirurgie, Psychodermatologie, Ernährungskunde und vielem mehr. Das öffnet ihnen eine breite Experti- se, die sie für dieses Fach brauchen.


?Hätten Sie abschließend noch einen Rat an junge Kollegen?

Die Zeiten ändern sich. Heute hat die Dermatologie zusätzlich andere Schwerpunkte wie Lifestyle oder Beauty, die die jungen Ärzte abdecken müssen. Manches ist „abgewandert“ zu anderen Disziplinen – man denke nur an Gefäße oder Verbrennungen. Aus dieser Warte ist das Konzept der Gruppenpraxis eine gute Lösung, mit vielen Schwerpunkten und interdisziplinären Kooperationen – für eine breite Expertise. Den Entwicklun- gen muss schließlich Rechnung getragen werden.


bw