REHABILITATION Hüfte 

Prävention und Rehabilitation der Hüfte

FOTOS: MOORHEILBAD HARBACH

Ein wesentliches Merkmal, das den Menschen von den Säugetieren unterscheidet und einen uneinhol- baren Vorteil in der Evolutionsgeschichte gebracht hat, ist der aufrechte Gang. Er führt aber auch zu Be- schwerden, die in der orthopädischen Praxis tagtäg- lich behandelt werden.

Anatomische Veränderungen wie zum Beispiel die Fixierung des Kopfes auf dem höchs- ten Punkt der Wirbelsäule, Verlagerung des Körperschwerpunktes, Schutz der lebens- wichtigen inneren Organe durch die Beckenschaufeln und gleichzeitiger großer Angriffs- punkt für die Gesäßmuskulatur ermöglichten den Übergang von Tetrapoden zum Zweibei- ner. Nur dadurch kann der Mensch seine oberen Extremitäten unabhängig von der Fort- bewegung mit den unteren Extremitäten einsetzen. Gerade aber diese anatomischen Ad-

aptationen bewirken vermehrte Belastungen, etwa an Hüftkopf, Pfannendach und Sehnenansatzpunkten. Das führt zu Beschwerden, die in der or- thopädischen Praxis tagtäglich behandelt werden.


Hüftgelenkserkrankungen im Neugeborenen- und Kindesalter

Hüftgelenkserkrankungen sind nicht ausschließlich eine Domäne der älteren Generation. Sie können schon im Neugeborenenalter und Kindesalter zur erheblichen Beeinträchtigung der Mobilität und altersentsprechenden Fortbewegung führen. Die im Mutter-Kind-Pass vorgeschriebene Unter- suchung der Säuglingshüfte wird mittels Säuglingsultraschall durchgeführt und leistet einen wesentlichen Beitrag zur frühzeitigen Erkennung der sogenannten Hüftgelenksdysplasie. Unerkannt führt sie je nach Schweregrad zu einer Verzögerung der Hüftausreifung, späterem Einsetzen des Gehbeginns, gestörtem Gangbild mit Watschelgang oder im schlimmsten Fall bereits im jungen Erwachsenenalter zur Immobilität wegen schwerer Dysplasiecoxarthrose.

Mit der vorrangig von Univ.-Prof. Dr. Reinhard Graf (Stolzalpe) entwickelten Hüftsonografie, die schmerzfrei in den ersten Lebenstagen des Neuge- borenen durchgeführt wird, können gravierende Hüftfehlstellung bis leichte Verzögerungsentwicklungen unmittelbar festgestellt und die entspre- chende Behandlung eingeleitet werden. Durch die frühzeitige Diagnose und Behandlung wird das Ausheilen der Hüftdysplasie und eine altersent- sprechend unauffällige Entwicklung ermöglicht. Bei unerkannter Pfannendysplasie kommt es bereits in sehr jungen Lebensjahren, im etwa 30. bis 40. Lebensjahr, zu hochgradigen Abnützungen am Hüftkopf und an der Hüftpfanne, zum vollständigen Aufbrauch des Gelenksknorpels, dement- sprechend zu Schmerzen und Bewegungseinschränkung, sodass nur mehr mittels operativer Sanierung durch die Implantation einer Hüft-Teilen- doprothese geholfen werden kann.


Beschwerden bei Kindern ernst nehmen

Eltern, die bei ihren kleinen Kindern ein einseitiges plötzliches Hinken bemerken oder eine vom Kind im Knie angegebene Schmerzlokalisation, sollten diese Symptome nicht übergehen. Es könnte sich dabei um einen Morbus Perthes handeln. Bei dieser Hüfterkrankung handelt es sich um eine phasenhaft ablaufende Veränderung am Hüftkopf, die unbehandelt zu schweren Deformierungen des Hüftgelenkes führen kann. Die Folgen sind ebenfalls bereits in sehr frühem Erwachsenenalter die Notwendigkeit zum künstlichen Gelenksersatz.

Im etwa gleichen Kindesalter tritt gelegentlich eine Coxitis fugax, ein sogenannter Hüftschnupfen, auf. Dies ist zwar eine harmlose und vorüberge- hende, aber schmerzhafte Entzündung des Hüftgelenkes. Mit einigen Tagen Schonung und auch Schmerzmittelgabe kann diese Symptomatik aus- geheilt werden. Da die Differenzierung nicht von vornherein möglich ist, sollten alle Kinder, die plötzlich ohne Trauma Hinken und eine Bewegungs- einschränkung sowie Schmerzen zeigen, vom Facharzt untersucht werden, um einen schweren Verlauf mit unmittelbarer oder auch im weiteren Le- ben notwendigen operativer Intervention zu vermeiden.

Der Vollständigkeit halber sei auch noch die Epiphyseolis capitis femoris, juvenile Hüftkopflösung zu erwähnen, bei der sich der Hüftkopf in der Fe- murepiphyse vom Oberschenkelhals löst, abrutscht und es zu einer Minderdurchblutung des Oberschenkelkopfes und eventuell im schlechtesten Fall zur Nekrose kommt. Eine operative Intervention mittels Verschraubung ist meist unumgänglich, beidseits notwendig und vermindert operative Hüfteingriffe im späteren Leben.


Präventive Maßnahmen

Oft stellen Patienten in der Ordination die Frage: „Was kann ich tun, damit ich nicht Hüfttotalendoprothese operieren gehen muss?“ Diese Frage ist immer nur individuell und mit dem Patienten gemeinsam zu beantworten. Generell, wie für alle anderen Gelenke und Körperregionen auch, sind ein gesundes Ausmaß an sportlichen Aktivitäten und gesunde Lebensumstände nötig, um die Gelenksfunktion unbeeinträchtigt zu erhalten.

Als Präventionskonzept, um eine HTEP-Implantation oder das Fortschreiten einer Hüftgelenksarthrose zu verzögern, ist hier vordergründig die Ver- besserung der neuromuskulären Kontrolle der unteren Extremitäten durch gezielte Übungen anzustreben. Zu kräftigen sind hier vor allem die Glu- tealmuskulatur, zum Beispiel der Musculus gluteus maximus, welcher vor allem für die Extension und Außenrotation zuständig ist, sowie Teile des Musculus gluteus medius für die Abduktion. Besonderes Augenmerk muss auch auf die Funktion des Musculus tensor fasciae latae gelegt werden. Zur neuromuskulären Kontrolle an den unteren Extremitäten gehört auch die Rumpfstabilisation, die entsprechende Oberkörperaufrichtung sowie generell eine Modifikation des Bewegungsverhaltens. Die entsprechenden Übungen werden mit den Physiotherapeuten erlernt und sollten regel- mäßig selbstständig durchgeführt werden, um einen spürbaren Erfolg zu erzielen.

Übermäßige Gewichtsbelastung wie bei Adipositas stellt ebenfalls eine vermehrte Belastung und daher einen Risikofaktor für das Entstehen einer Hüftgelenksarthrose dar, besonders da Adipositas üblicherweise auch mit einer verminderten Bewegungsaktivität und unterdimensionierter Mus- kelkraft einhergeht. Prädisponierende Faktoren wie die eingangs erwähnte Dysplasiecoxarthrose, Erkrankungen der kindlichen Hüfte wie bei Mor- bus Perthes oder Epiphyseolysis capitis femoris bzw. zurückliegenden Traumen durch Unfälle oder Sportunfälle können leider kaum beeinflusst werden.

Das vorrangige Ziel der Physiotherapie und Trainingstherapie ist vor allem eine Optimierung der intraartikulären Belastung sowie Kräftigung der hüftumgebenden Muskelgruppen, eine Stabilisierung des Gelenkes, der Erhalt des Bewegungsausmaßes, um die Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständig gut durchführen zu können.


Diagnose einer Coxarthrose

Anlaufsymptomatik mit ziehend stechenden Schmerzen in der Leistengegend nach längerem Sitzen oder Liegen, Schmerzen beim Stiegensteigen, reduzierte Wegstrecke, bemerkbare Beinlängendifferenz, Hinken und die Unfähigkeit, Socken selbst anzuziehen oder Fußpflege durchzuführen, sind untrügliche klinische Zeichen für eine Coxarthrose. Die Diagnosestellung gestaltet sich relativ einfach, da eine professionelle fachärztliche kli- nische Untersuchung und ein Nativröntgenbild der entsprechenden Hüfte ausreichend sind. Ein MRT der Hüfte zur Diagnosestellung einer Coxar- throse ist nur in Ausnahmefällen notwendig.

Entsprechend dem Hüftkapselmuster sind die Flexion, Abduktion und Innenrotation bei coxarthrotischen Veränderungen schmerzhaft und stark eingeschränkt. Wenn Patienten diese Beschwerden bemerken, sollten sie unbedingt eine Facharztkonsultation durchführen, um eine Überbelas- tung der kontralateralen Hüfte und der lumbalen Strukturen zu vermeiden. Bei Notwendigkeit zur Implantation einer Hüft-TEP ist die Ausganglage umso besser, je kräftiger die hüftumgebenden Muskelgruppen, insbesondere die Glutealmuskulatur, noch vorhanden und funktionstüchtig sind. Vor allem gilt zu bedenken, dass auch die optimal implantierte Hüft-TEP nur dann ein gutes funktionelles Ergebnis hat, wenn Muskeln vorhanden sind, um diese Prothese auch zu bewegen. Die Aufgabe des Facharztes ist es, den Zeitpunkt zur Prothesenimplantation gemeinsam mit dem Patienten zu stellen und Faktoren wie Lebensalter, prädisponierende Faktoren, Berufsausübung, Lebensumstände und Risiko zu besprechen.


Operationstechniken bei Hüftendoprothesen

Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte unterliegt die Endoprothetik einer immens raschen Weiterentwicklung. Die Hüft-TEP-Im- plantation zählt mittlerweile zu den routinemäßig durchgeführten Standardoperationen an den orthopädischen Abteilungen. Bis auf wenige Aus- nahmen werden Hüft-TEP zementfrei implantiert und können in zwei Operationstechniken unterschieden werden, einerseits den anterolateralen bzw. lateralen Standardzugang und andererseits die sogenannte AMIS-Hüfte mit dem anterioren minimalinvasiven Zugang.

Beide Hüftzugänge oder Operationstechniken sind als äquivalent zu bezeichnen. Die Wahl der Operationstechnik ist abhängig von der anatomi- schen Situation des Patienten, andererseits von der Erfahrung des Operateurs. Die Aussage, dass eine Methode besser ist als die andere, ist nicht zulässig. Allerdings ist die AMIS-Technik die Weiterentwicklung und modernere sowie gewebeschonendere Methode.

Die präoperative Planung erfolgt mittels standardisierten Beckennativröntgens sowie Traumacad und gibt dabei einen präoperativen Überblick über die Komponentengröße. Der konventionelle laterale transgluteale Zugang durch Längsspaltung der Gluteus medius-Muskulatur bzw. der Vas- tus lateralis-Muskulatur bietet eine sehr gute Übersicht über die Pfanne und den Femurschafteingang. Dieser Zugang ist insbesondere auch als Revisionsfall erweiterbar, eignet sich für alle Prothesentypen, bei Schenkelhalsfraktur und bei anatomischen Besonderheiten.

Bei der AMIS-Methode (anteriore minimale invasive Hüft-OP) erfolgt der Zugang direkt zwischen den vorderen Muskelgruppen durch Auseinander- halten, aber ohne Durchtrennung. Der große Vorteil ist die wesentlich raschere Mobilisation, der kürzere stationäre Aufenthalt, das frühere Abtrai- nieren der Krücken, die Wiederaufnahme der Berufstätigkeiten, Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Als kleiner Nachteil kann eventuell ein anfänglicher Schmerz im Leistenbereich und dadurch Beeinträchtigung der Flexion in der Hüfte angegeben werden. Die Schmerzsymptomatik ist aber rascher sistierend und die Vorteile überwiegen bei Weitem. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Operationsmethoden und Instru- mentarium sind Risiken wie die Hüftluxation mittlerweile eine Rarität.


Orthopädische Rehabilitation nach Hüftoperationen

Ein Rehabilitationsaufenthalt sechs bis acht Wochen nach einer Hüft-TEP-Implantation ist un- abhängig von der Operationstechnik immer zu empfehlen. Das Ziel ist vor allem eine Optimie- rung des Gangbildes, Abtrainieren der Gehhilfen, Kraftsteigerung der Muskelgruppen, indivi- duell nach den Patientenvorgaben ein Wiedereinstieg in die berufliche Tätigkeit, Erlangung der Arbeitsfähigkeit, Erhalt der Selbstständigkeit, Verbesserung der Tätigkeiten im Haushalt und der Freizeitgestaltung. Als Merksatz kann ein Zitat von Prim. Dr. Johannes Püspök, Ärztli- cher Leiter im Moorheilbad Harbach, gelten: „Eine Operation ist oft unvermeidbar, die Rehabi- litation aber unverzichtbar.“

Die Frage nach der sportlichen Belastbarkeit wird regelmäßig gestellt. Grundsätzlich kann zu- sammenfassend gesagt werden, dass jene sportlichen Aktivitäten, die präoperativ gut durch-

geführt werden konnten, auch postoperativ wieder bei Hüft-TEP möglich sind. Auf „High-Impact“-Sportarten mit Stoßbelastung wie zum Beispiel Ballsportarten, Mountainbiking, Klettern, Kampfsport mit Körperkontakt sollte verzichtet werden.

Sportarten wie Fahrradfahren, Schwimmen, Nordic-Walken, Wandern werden als „Low-Impact“ bezeichnet und sind durchwegs empfehlenswerte Aktivitäten. Tennisspielen ist dann erlaubt, wenn vor allem der Spaß an der Bewegung und an den sozialen Kontakten und nicht der Wettkampfge- danke per se im Vordergrund steht.

Die Wiederaufnahme des gewünschten Sports hängt vom Heilungsverlauf, körperlicher Grundsituation und natürlich vom Gefährlichkeitsgrad der Sportart ab. Spazierengehen ist nach zwei bis drei Wochen vertretbar, mit Schifahren und Tennis sollte doch vier bis sechs Monate gewartet werden.

Kontinuierliche körperliche Aktivität und gezieltes Muskeltraining können Hüftbeschwerden vermindern, eine Hüftoperation aber langfristig nicht er- setzen. Sobald eine nachhaltige Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe am sozialen Leben gegeben ist, stellt das eine Operationsindikation dar. Operation und Rehabilitation sind aus unserer Sicht eine untrennbare Gesamttherapie und sollten auch gemeinsam geplant werden.