LONG-COVID & PSYCHE | Schizophrenie
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Mythen über
Schizophrenie entkräften
Jede Schizophrenie-Erkrankung verläuft anders. Mit den modernen antipsychotischen Medika- menten kann das Krankheitsgeschehen gut be- herrscht werden.
Rund 1 % der Weltbevölkerung erkrankt im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie. Die Erkrankung tritt zumeist erstmals im jungen Erwachsenenal- ter auf. Für die Betroffenen verschwimmen Realität und Fiktion, das eigene Ich wird als fremd erlebt, die Wahrnehmung ist verzerrt und das Den- ken verändert sich. Alltägliches wird oft als Verschwörung und Bedrohung empfunden. Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen und Angst zählen zu den typischen Symptomen. Dennoch: Jede Schizophrenie-Erkrankung verläuft anders. Das Spektrum reicht von einer einmaligen psy- chotischen Episode bis hin zu schweren, chronischen Erkrankungen. Aber allen Schizophrenie-Betroffenen ist eines gemeinsam: Neben der Er- krankung selbst leiden sie – und zumeist auch ihre Angehörigen – unter Unwissenheit und falschen Vorstellungen über die Erkrankung. „Der Welt- Schizophrenie-Tag Ende Mai ist ein passender Anlass, um nicht nur über die Erkrankung zu informieren, sondern auch über die häufigsten Mythen im Zusammenhang mit Schizophrenie aufzuklären“, sagt Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der MedUni Wien.
Keine Persönlichkeitsspaltung
Bei Schizophrenie handelt es sich um eine Spaltung der Persönlichkeit – dieses Bild à la Dr. Jekyll und Mr. Hyde entstammt der schriftstellerischen Fantasie oder Hollywoodfilmen. „An Schizophrenie Erkrankte leiden nicht an einer Aufspaltung in mehrere Persönlichkeiten, wie dies bei der äu- ßerst seltenen multiplen Persönlichkeitsstörung der Fall ist. Aber sie können an einer Vielzahl von Symptomen leiden, die sie für ihr Umfeld plötz- lich ganz fremd und unberechenbar erscheinen lassen.“ Auch die Betroffenen selbst erleben die Entwicklung ähnlich: Früher Vertrautes kann durch die Erkrankung plötzlich unverständlich und als Bedrohung erlebt werden, sogar das eigene Ich. Das einmalige Erleben einer Psychose mit Halluzinationen, Angstzuständen sowie Denk- und Wahrnehmungsstörungen bedeutet nicht, dass ein Betroffener sein Leben lang an Schizophre- nie leidet. „Bei 20 bis 30 % der Menschen vergeht diese Phase und es bleibt bei einem singulären Ereignis. Bei 30 bis 40 % kommt es im Lauf des Lebens immer wieder zu Rezidiven, also Rückfällen, in eine psychotische Phase. Und bei 20 bis 30 % nimmt die Erkrankung einen chronischen Verlauf.“ Der Schweregrad der Symptome bei der Erst-Psychose lässt keine prognostischen Aussagen zu.
Gute Wirkung von Depotpräparaten
Schizophrenie ist heute sehr gut behandelbar, wenn auch bei chronischen Verläufen noch nicht heilbar. „An einer konsequenten, kontinuierlichen medikamentösen Behandlung führt kein Weg vorbei. Moderne Antipsychotika sind weitaus nebenwirkungsärmer als die Psychopharmaka der ers- ten Generation. Man kann sie auch in Form von Depotpräparaten verabreichen, wodurch die tägliche Einnahme entfällt und eine kontinuierliche Wirkstoffabgabe über einen Zeitraum von Wochen garantiert ist“, so Wancata. Die medikamentöse Behandlung muss aber mit einer individuell ab- gestimmten Kombination von Psychotherapie, Soziotherapie und anderen therapeutischen Verfahren wie zum Beispiel Ergotherapie kombiniert werden. Ist es zu einer Chronifizierung der Erkrankung gekommen und erleiden die Betroffenen immer wieder psychotische Episoden, kann dies die kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Konzentration beeinträchtigen. Daher ist eine kontinuierliche Behandlung, die vor Rezidiven schützt, wichtig.
Umgang mit Erkrankten lernen
Der allergrößte Teil der Menschen mit Schizophrenie ist weder gefährlich noch gewalttä- tig. „Nur ein sehr kleiner Anteil der Betroffenen neigt zu Gewalt. Dabei handelt es sich häufig um Menschen, die zusätzlich an anderen Erkrankungen wie Alkohol- oder Dro- genabhängigkeit leiden“, so der Experte. Weitaus öfter, als dass sie Täter sind, werden Menschen mit Schizophrenie aber selbst Opfer von Gewalttaten. „Schizophrenie-Kranke werden leider immer wieder durch Ungeschicklichkeiten im Verhalten oder in ihrer Kom- munikation Ziel von gewalttätigen Angriffen“, erklärt Wancata.
Eine ausreichende, kontinuierliche medikamentöse Therapie, die psychotische Sympto- me wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Zerfahrenheit der Gedanken hemmt, kombiniert mit Psychotherapie und Soziotherapie, ist also auch hinsichtlich möglicher Gewaltausübung als auch Gewalterfahrung präventiv wirksam. Wichtig ist, dass Eltern und Angehörige lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Wancata vergleicht Schizo- phrenie mit einer körperlichen Erkrankung: „Wird bei einem Kind oder Jugendlichen zum Beispiel Diabetes festgestellt, muss in der Familie dann so gekocht werden, dass
sowohl der Diabetiker als auch die anderen Familienmitglieder gut versorgt sind. Erkrankt ein Familienmitglied an Schizophrenie, müssen die an- deren zum Beispiel den für einen an Schizophrenie Erkrankten passenden Kommunikationsstil erlernen.“
Rückfälle in Psychosen reduzieren
Ein an Schizophrenie Erkrankter kann nicht wie ein Gesunder agieren. Wird möglichst bald nach Erstmanifestation der Erkrankung mit einer geeig- neten medikamentösen Behandlung begonnen und diese dann auch konsequent fortgesetzt, ist die Chance größer, dass an Schizophrenie Er- krankte Alltagsaktivitäten verrichten, sich selbst versorgen und Freizeitaktivitäten nachgehen sowie, je nach Schwergrad und Ausprägung der Er- krankung, auch eine Ausbildung absolvieren und einer Beschäftigung nachgehen können. Menschen mit Schizophrenie können heute fast ihre ge- samte Lebenszeit im privaten Umfeld verbringen. Nur beim Auftreten einer schweren akuten Psychose müssen sie im Krankenhaus auf einer psychiatrischen Station aufgenommen werden, denn nur hier kann man ihnen in diesem Ausnahmezustand adäquat helfen. „Eine kontinuierliche Langzeittherapie mit modernen Antipsychotika hilft, solche Krankenhausaufenthalte weitgehend zu vermeiden, da sie geeignet ist, Rückfälle in Psychosen zu reduzieren“, betont der Mediziner.
rh