Körperliche Aktivität bei chronischen Schmerzen
Regelmäßige körperliche Aktivitäten, Bewegung und Sport sind bei der Prävention vieler chronischer Erkrankungen wichtig, sollten aber auch der Goldstandard bei der Therapie chronischer Schmerzen sein.
Chronischer Schmerz hat sich vor allem in den westlichen Industrieländern zu ei- nem allgemeinen Gesundheitsproblem entwickelt. Laut Weltgesundheitsorganisa- tion WHO liegt bei Erwachsenen die durchschnittliche Prävalenz, an chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat zu leiden, bei 20 %. Da chronischer Schmerz ein sehr komplexes Gebiet in der Medizin ist, ist für die Behandlung chronischer Schmerzpatienten auch eine angepasste und komplexe Therapie unabdingbar. Dies setzt eine interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit von Phy- siotherapeuten und den behandelnden Ärzten sowie den übrigen Mitgliedern des Behandlungsteams voraus, um für Patienten die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten.
Bewegung bringt’s
Ein mittlerweile immer wieder hervorgehobener Ansatz zur Behandlungsmöglichkeit ist die körperliche Aktivität. Denn regelmäßige Bewegung und Sport haben sich als eine sehr wirksame Therapieform bei jeglichen chronischen Schmerzzuständen bewährt. Unter körperlicher Aktivität versteht man jede Art von Bewegung, die unter Einsatz unserer Muskulatur Energieaufwand erfordert. Somit gibt es unterschiedlichste Bewegungsmöglich- keiten bzw. Sportarten, die für chronische Schmerzpatienten geeignet sind und gezielt eingesetzt werden können. Die Variabilität der Bewegungs- form ist wichtig, da eine individuelle Anpassung an Patienten und ihren chronischen Schmerz nötig ist.
Angesichts der hohen Prävalenzzahlen ist der chronische muskuloskelettale Schmerz für die Physiotherapie von besonderer Relevanz. Eine multi- modale Therapie, die das aktive Bewegen sowie Sport in all seinen Facetten umfasst, verspricht bei chronischen Schmerzpatienten den größten Erfolg. Es wird die Eigenaktivität der Patienten in den Vordergrund gestellt, was gemeinsam mit der Vielfalt und Variation des Trainings sowie der positiven Grundeinstellung einen präventiven Effekt auf die Schmerzchronifizierung hat. In der Physiotherapie kommen hierbei durch Physiothera- peuten abgestimmte und angepasste Trainingsprogramme aus der medizinischen Trainingstherapie zum Einsatz, die Patienten dann auch in Selbstverantwortung durchführen und mit Ausdauersportarten wie zum Beispiel Laufen, Walken und Radfahren kombinieren. Aus Sicht der Saluto- genese ist es vor allem wichtig, dass Patienten ihre noch vorhandenen konditionellen Fähigkeiten erhalten bzw. im Verlauf der Therapie unter Anlei- tung und Supervision der Physiotherapeuten optimieren.
Warum aktiv sein?
Laut WHO-Factsheets (2018) sind mindes- tens 2,5 Stunden wöchentlich moderate bis intensive körperliche Aktivität im Ausdauer- bereich sowie zweimal wöchentliche Muskel- kräftigung die Voraussetzung für ein gesun- des und somit relativ schmerzfreies Leben. Trotz der nachweislichen positiven Gesund- heitseffekte von Bewegung und Sport nimmt die Inaktivität vor allem bei chronischen Schmerzpatienten zu. Es liegt vor allem an den betreuenden Physiotherapeuten, die Pa- tienten sprichwörtlich zu mehr Aktivität zu bewegen. Man sollte mit angepassten Trai- ningsprogrammen im Schmerzprozess einer- seits begleitend wirken und andererseits die individuell gewählten Sportarten in ihrem Be- wegungsmuster optimieren. Dies sollte unter anderem auch die Freude an der Bewegung gewährleisten und Patienten bestenfalls die erwartete Schmerzfreiheit bringen. Körperli- che und sportliche Aktivität verbessert die Herzleistung, die Muskeldurchblutung und die aerobe Kapazität inklusive Sauerstoffauf- nahmefähigkeit (verbesserte VO2max), wo- durch die Neigung zu entzündlichen Reaktio- nen gesenkt und zudem die Regeneration von Nerven gefördert wird.
Interessant ist, dass vor allem auch Krafttrai- ning mit höheren Intensitäten eine größere Schmerzfreiheit bringt als das Trainieren im schmerzfreien unterschwelligen Bereich.
Überschreitet die Intensität eines Trainings die Schmerzgrenze, so werden Herzfrequenz und Blutdruck gesteigert und es kommt über die arterielle Aktivierung von Barorezeptoren zur erhöhten Freisetzung von Beta-Endorphinen aus Hypophyse und Hypothalamus, wodurch das endogene Opi- oid-System aktiviert wird. Der Hypothalamus kann durch die graue Substanz das deszendierende nozisensorische, inhibitorische System anregen und so zum endogenen, analgetischen Effekt beitragen. Weiters zeigt sich infolge der Aktivierung der Mechanorezeptoren eine Erhöhung der Schmerztoleranzgrenze, was sich wiederum in einer gefühlten Schmerzlinderung für die Patienten darstellt. Ein von Booth et al. (2017) vorgeschla- gener Trainingsansatz könnte hierbei zur Anwendung kommen (Tabelle 1).
Bei intensiven Trainingseinheiten werden wiederum die Begleitung, die sogenannte Patienten-Edukation, sowie die Fremd- und Selbstkontrolle im Training wichtig. Beim „schmerzhaften Training“ sind die Sicherheitshinweise der Therapeuten von großer Bedeutung, um den Patienten die Angst zu nehmen. Hier wurde in Studien festgestellt, dass Trainingstherapie mit Edukation das Risiko für Rezidive verringern kann.
Um nicht erst der Sekundär- oder Tertiärprävention Genüge zu tun, sollte in der Physiotherapie schon viel mehr in die Primärprävention investiert werden. Um dem chronischen Schmerz von vornherein keine Chance zu lassen, sollte „Bewegung und Sport“ schon im Vorfeld genügend Raum gegeben werden – und dann dauerhaft in den Lebensstil und die Gesundheitshygiene der Patienten integriert werden.
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Literatur beim Verfasser