THEMA | Kommunikation

Der fordernde Patient

Manche Patienten versuchen in fordernd-aggressiver Weise mit ihrem Arzt oder Therapeuten eine Beziehung aufzubauen. Das kann – auf beiden Seiten – Stress auslö- sen und die Empathie, aber auch den Behandlungserfolg beeinträchtigen.

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Forderndes Verhalten kann als missglückter und sozial unerwünschter Mitteilungs- und Kommunikationsversuch gesehen werden, der Botschaften enthält, die anders nicht gesendet werden können. Fordernd-aggressive Kommunikation ist auch ein Beziehungsversuch des Patienten oder ein reaktives Verhaltensmuster in Ermangelung anderer Umgangsweisen mit Ärger und Wut. Kranke Menschen und Personal sind oft Dauerfrustratio- nen ausgesetzt, sodass Empathie, Toleranz, Differenzierungsmöglichkeiten und andere soziale Kompetenzen schwinden können.


Stressoren identizifieren

Ursachen können im inneren Spannungsfeld, einem hohen Aggressionspotenzial des Patienten, einer mangelnden Einsicht in therapeutische Maß- nahmen, einer eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeit des Patienten gesehen werden. Aber sie können auch verstanden werden als ein Ver- lust von Autonomie und Kontrolle, eine erlittene Kränkung und Demütigung bis hin zu einer kompensatorischen, der Selbstbehauptung dienenden Reaktion auf Minderwertigkeitserleben oder können als Teil der Verarbeitung von Verlust und Trauer aufgefasst werden. Fordernde Patienten äu- ßern ihren Enttäuschungsprotest als Folge von subjektiv erlebter Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit, manchmal werden Betreuung und Behandlung als Gewalt empfunden. Oft stellen Erwartungsdruck an Patienten und Mitarbeiter starke Stressoren für Mitarbeiter dar und münden in schwierigen Helferbeziehungen. Ebenso können aber auch Substanzen wie Alkohol- und Drogen sowie verschiedene Medikamente Ursache für eine Aggressi- onssteigerung sein.

Aufgrund der stetigen Zunahme an fordernd-aggressiven Verhaltensweisen von Patienten sowie ihren Angehörigen ergibt sich ein erhöhter Bedarf an Maßnahmen zur deeskalisierenden Kommunikation. Meistens benötigt ein angespannter Patient eine Ansprechperson. Beispielsweise können das Wahrnehmen erster Anzeichen der Anspannung, die Beachtung der Körpersprache, Mimik und Gestik, das Herstellen von Blickkontakt und die Beachtung der eigenen Sicherheit, Zuschauer zu entfernen und sich selbst zu beruhigen, erste hilfreiche Schritte sein. Warum? Und wie wei- ter?


Beziehung mitentscheidend für Behandlungserfolg

Zweifellos tragen verschiedene Elemente zum Erfolg des Behandlungsverlaufs bei. Unterschiedliche Studien und theoretische Konzepte setzten sich in der Vergangenheit mit dem Zusammenhang zwischen der therapeutischen Beziehung und dem Erfolg der psychotherapeutischen Behand- lung auseinander. Hierbei konnte, unabhängig vom Messinstrument, gezeigt werden, dass der Erfolg einer Therapie mit der Qualität der Bezie- hung zwischen Behandler und Patient in Zusammenhang steht. Den Einfluss nonverbaler Elemente therapeutischer Interaktion auf die therapeuti- sche Beziehung belegen Studien unter anderem durch einen positiven Zusammenhang zwischen nonverbaler Synchronisation und dem Erfolg von Behandlungen. Zudem wurde die starke Verflochtenheit von verbaler und nonverbaler Kommunikation in therapeutischen Gesprächen sowie deren Bedeutung mehrfach diskutiert und aktuell an der MedUni Wien im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht.


Die Rolle mimisch geäußerter Emotionen

Mikroexpressionen (ME) sind Gesichtsausdrücke, die für eine viertel bis halbe Sekunde sichtbar sind und als unwillkürlicher Ausdruck einer Emoti- on verstanden werden können. Ein Mangel an Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen verbalem und nonverbalem Geschehen in thera- peutischen Gesprächen veranlasste zur spezifischen Auseinandersetzung mit deren Zusammenspiel. Diese führt zu einem erweiterten Verständ- nis für die Wirksamkeit spezifischer Interventionen in therapeutischen Gesprächen: Steht die Erleichterung den Patienten zwar nicht wie sprich- wörtlich ins Gesicht geschrieben, können mimische Emotionsexpressionen dennoch Aufschluss über die Wirksamkeit von verbalen Interventionen geben. Diese wurden und werden mittels Facial-Action-Coding-System identifiziert und mit den Einheiten einer Liste an verbalen Interventionen in Zusammenhang gebracht. Zusätzlich wurde nach jedem untersuchten ärztlichen Gespräch das Inventar zur Arbeitsallianz (WAI; Working Alliance Inventory) erhoben und auf die Ergebnisse der Micro-Prozessuntersuchung bezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass es einen Zusammenhang zwi- schen der negativen Emotion „Verachtung“ im Gesicht der Patienten und nachfolgenden interpretativen/konfrontativen Interventionen bei klinisch erfahrenen Therapeuten gibt. Obwohl der WAI Score nicht in signifikantem Zusammenhang mit den mimisch geäußerten Emotionen steht, lassen die Ergebnisse eine bestimmte Dynamik erahnen. Beide Resultate deuten darauf hin, dass eine hinreichend gute Working Alliance und das Auftre- ten von Verachtung jedenfalls über interpretative/konfrontative Interventionen in indirektem Zusammenhang stehen.


Informierte Patienten ernst nehmen

Deutlich wird in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der subliminalen Wahrnehmungsprozesse, unterschwelliger visueller Reize und Emotionen im Patienten und Personal, die es zu erkennen gilt, und dessen Bedeutungsgebung essenziell für die therapeutische Allianz ist. Deeskalationsma- nagement, Umgang mit Aggression, Beschwerdemanagement, eine gelingende interdisziplinäre Teamarbeit, durch gute Health-Literacy-Strategi- en den informierten Patienten gut zu behandeln: All dies kann durch gute Schulung für mehr Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit sor- gen. Das Forschungsfeld der unbewussten Wahrnehmungsprozesse reicht bis hin zur Lügendetektion im Rahmen von forensischen Fragen, kann in der Arbeit mit Jugendlichen in der Transitionspsychiatrie, bei Aggressionshandlungen und selbst in Beratungssituationen hilfreiche Unterstüt- zung bieten. Ein gutes, didaktisch hochwertiges Training ist dazu erforderlich.

Unbewusste Kommunikationsprozesse laufen sehr rasch ab, mit der Sehbahn beispielsweise führt eine wahre Hochgeschwindigkeitsleitung ins Gehirn, jedoch benötigt es das Gegenüber, um die Informationen auch zu verarbeiten. Prozesse unter 400 Millisekunden sind nicht mehr wahr- nehmbar und laufen unbewusst ab. Das gilt es bei Diskussionen über mögliche Therapieangebote über digitale Medien zu beachten. Auch wenn klar ist, dass ein scharfes „pro versus contra“ nicht so ohne Weiteres dargestellt werden kann, erscheint aufgrund der Studienergebnisse der Be- ziehungsaspekt wesentlich. Bekannt sind unter anderem die unterschiedlichen Drop-out-Quoten, die bei rein digital angebotenen Psychotherapie- formen (App, Internet) erheblich sind.