MEDIZIN | Immunsystem

Langerhans-Zellen in der

menschlichen Oberhaut

FotoS: Andrey Lalin, Carmen Tam-Amersdorfer

Immunantwort verstehen

Wissenschaftler der Med Uni Graz haben untersucht, wie das Immunsystem gleichzei- tig harmlose Zellen tolerieren und Immunität gegenüber Pathogenen bewerkstelligen kann.

Dendritische Zellen (DC) kommen in vielen Organen und Geweben vor. Gewisse Subtypen von DCs in Epithelien von Oberhaut sowie Schleimhäu- ten in Darm und Lunge verhindern überschießende Immunreaktionen gegen nützliche Mikroben und Substanzen aus der Umwelt, die wir beispiels- weise über Nahrungsmittel zu uns nehmen. Sie sind mit einer Vielzahl von Rezeptorstrukturen für Umweltmoleküle und Mikroben ausgestattet und in der Lage, in lymphatisches Gewebe zu wandern, wo sie antigenspezifische T-Zell-Antworten auslösen und die Immunantwort unterdrücken oder Immuntoleranz erzeugen können. Diese Art von dendritischen Zellen werden auch als regulatorische oder tolerogene DCs bezeichnet, im Gegen- satz dazu stehen entzündliche bzw. immunogene DCs, die in der Lage sind, eine protektive bzw. schützende Immunantwort auszulösen. Am Otto Loewi Forschungszentrum der Med Uni Graz zielte eine Studie rund um Univ.-Prof. Dr. Herbert Strobl, Inhaber des Lehrstuhls für Immunologie und Pathophysiologie, und PhD-Studentin Dr. Victoria Zyulina in enger Kooperation mit Jose M. Silva, PhD, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, darauf ab, jenen Mechanismus aufzuklären, der der Entwicklung von DCs mit tolerogenen versus immunogenen Eigenschaften zugrun- de liegt.


Mechanismen noch weitgehend unbekannt

Zum Schutz der Gesundheit bilden Immunantworten in der Regel eine wirkungsvolle Barriere gegen Pathogene. Richtet sich die Immunantwort je- doch gegen harmlose Antigene oder werden ungeeignete oder zu starke Abwehrreaktionen aktiviert, resultieren überschießende Reaktionen des Immunsystems, die sich beispielsweise in Allergien, Autoimmunerkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bemerkbar ma- chen. Wie DCs mit Umweltsignalen interagieren, um eine angemessene Immunantwort auf Krankheitserreger zu entwickeln und gleichzeitig unan- gemessene oder überschießende Immunantworten zu verhindern, ist noch wenig erforscht. „Wir wissen, dass DCs dafür verantwortlich sind, dass effektive Immunantworten gegen Mikroben wie zum Beispiel gefährliche Viren zustande kommen. Dies schafft der Körper einerseits durch die Bil- dung spezialisierter DC-Subsets, andererseits durch biochemische Signale“, beschreibt Strobl das Forschungsgebiet. In den Epithelien der Haut und Schleimhäute kommen Langerhans-Zellen (LC) vor, ein Subtyp von Immunzellen, der unter anderem tolerogene Eigenschaften sowie die Fä- higkeit zur Selbsterneuerung besitzt. In darunterliegenden Geweben und in entzündlichen Läsionen befinden sich auch Zellen mit entzündungsför- dernden Eigenschaften, sogenannte moDC, also von Monozyten abgeleitete dendritische Zellen.


Bedeutung von microRNA

RNA-Moleküle sind von großer Bedeutung für die Biosynthese von Eiweißmolekülen. Eine medizinische Anwendung Protein-kodierender RNA-Mo- leküle gelang kürzlich in der Impfstoffentwicklung gegen Covid-19. RNA-Moleküle können aber auch negativ-regulatorische Effekte zeigen. Für die Entdeckung des Prozesses der „RNA-Interferenz“ wurde 2006 ein Nobelpreis vergeben. Während der letzten 20 Jahre stellte sich heraus, dass vie- le wichtige biologische Prozesse in Zellen und Geweben durch sogenannte microRNAs – kleine, nicht-kodierende RNAs – reguliert werden. Ein Mangel in der Biosynthese dieser microRNAs führt zu einer fehlgesteuerten Entwicklung und Funktion der DCs. Die Forscher konzentrierten sich auf die molekularen Mechanismen, die durch spezifische microRNAs in der DC-Subset-Entwicklung reguliert werden. Konkret suchten sie nach mi- croRNAs, die von den oben genannten DC-Subsets (LC versus moDC) gebildet werden. Es zeigte sich, dass miR-424(322)/503 in entzündungsför- dernden moDCs im Vergleich zu LCs stark hochreguliert ist. „Mittels Gentransfertechniken stellten wir fest, dass miR-424(322)/503 für die Entwick- lung von moDC entscheidend ist. Umgekehrt war die Entwicklung von LCs von einem miR-424(322)/503-Mangel nicht eingeschränkt“, erklärt Strobl. Zudem waren moDCs-Subgruppen in der Haut von Mäusen mit fehlendem miR-424 (322)/503 unter entzündlichen Bedingungen im Ver- gleich zu normalen Mäusen signifikant reduziert. „Die Daten bestätigten unsere Studien mit menschlichen Zellen, die zeigten, dass die Differenzie- rung von moDCs im Gegensatz zu LCs von miR-424 (322)/503 abhängig ist“, ergänzt Zyulina.


Gencluster reguliert pro-vs. anti-inflammatorische DC-Subset-Differenzierung

Schließlich stellten die Wissenschaftler fest, dass Gene im TGF-β-Signalweg in DC-Vorläuferzellen hochreguliert sind. In Übereinstimmung damit begünstigt der Verlust von miR-424/503 in DC-Vorläuferzellen die TGF-β1-abhängige LC-Differenzierung auf Kosten der moDC-Differenzierung. „Daher schlugen wir ein Modell vor, bei dem miR-424(322)/503 als molekularer Schalter fungiert, dass mittels Modulation der TGF-β-Signalübertra- gung darüber entscheidet, ob tolerogene/anti-entzündliche LCs oder entzündungsfördernde moDCs gebildet werden“, so Zyulina. Die Aufklärung dieses Mechanismus trägt zum Verständnis bei, wie unser Immunsystem gleichzeitig Toleranz gegenüber harmlosen Molekülen und Mikroben und Immunität gegenüber gefährlichen Pathogenen bewerkstelligen kann. Folgestudien werden zeigen, ob eine gezielte therapeutische Beeinflussung dieses Schalters eine Möglichkeit für die Regulierung fehlgesteuerter Immunreaktionen bei Allergien, Autoimmunerkrankungen und Malignomen darstellt.


rh