KUR & GESUNDHEITSVORSORGE | Schwefelwasser

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Schwefel in der Balneologie

Therapeutisch relevante Wirkungen der chemischen Inhaltsstoffe von Heilwässern unterliegen anderen Wirkmechanismen als peroral zugeführte Medikamente.

Schwefelwasser ist ein Heilwasser, das der Gruppe der natürlichen orts- gebundenen Heilvorkommen angehört und am Ort der Anwendung eine Konzentration von zweiwertigem titrierbarem Schwefel über 1 mg/l auf- weist. Der Hauptvertreter der zweiwertigen Schwefelverbindungen im Schwefelwasser ist Hydrogensulfid. Schwefel tritt in der Natur in mehre- ren Wertigkeitsstufen auf. In der Balneologie ist auch noch der vierwerti- ge Sulfatschwefel von Bedeutung. Sulfatwässer, die vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, für Zwecke der Trinkkur eingesetzt werden, dürfen mit Schwefelwässern nicht gleichgesetzt werden, weil der zwei- und vierwertige Schwefel unterschiedliche chemische Eigenschaften aufweist.

In der klinischen Medizin wird der therapeutische Wert von natürlichen Heilvorkommen im allgemeinen eher gering geschätzt und da oder dort die Meinung geäußert, dass zur Wirkung von Heilwässern keine wissen- schaftlichen Daten vorliegen. Am Beispiel des Schwefelwassers soll in diesem Beitrag gezeigt werden, dass dieser Meinung widersprochen werden kann. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass eine Beurteilung der Wirksamkeit von Heilwässern nicht auf der Basis einer rein pharmakologischen Denkweise vorgenommen werden kann. In die- sem Zusammenhang kann ein Ausspruch von G. Hildebrandt zitiert wer- den, wonach es sich bei der Balneotherapie „nicht um eine verwässerte Pharmakotherapie“ handle.


Wirkungsgrundlagen von Schwefelwasserbädern

Die Tatsache, dass die chemischen Inhaltsstoffe von Heilwässern bei Anwendungen in Form von Bädern nur über die Haut auf endogene physiologische Funktionen Ein- fluss haben können, ist ein klarer Hinweis darauf, dass therapeutisch relevante Wir- kungen der chemischen Inhaltsstoffe von Heilwässern anderen Wirkmechanismen unterliegen, als peroral zugeführte Medikamente. Damit tritt auch die Physiologie der Haut als dem flächenmäßig größten Sinnesorgan des Menschen in den Mittelpunkt des Interesses. Die Bedeutung der Haut als Vermittler von Informationen aus der un- mittelbaren Umwelt wird nicht nur in der Dermatologie zunehmend erkannt, sondern führt auch zu integrativen Überlegungen im Hinblick auf die funktionellen Verbindun- gen zwischen den Umweltreizen, der Haut und den Organfunktionen. Die Repräsen- tanz von fünf definierten Sinnesmodalitäten in der Haut ist Gegenstand der neuro- und sinnesphysiologischen Grundausbildung. Wenig bekannt ist aber zum Beispiel, dass sich in der Haut auch Geruchsrezeptoren befinden. Die Informationen, die von den Exteroceptoren der Haut ausgehen, werden im Zentralnervensystem integriert, wodurch eine neurophysiologische Basis für unterschiedliche Auswirkungen auf physiologische Reaktionen plausibel erscheint.

Den Angaben in der Literatur können verschiedene sekundäre Schwefelwirkungen entnommen werden, die ebenfalls als Grundlage von systemischen Effekten unter- schiedlichen Ausmaßes gewertet werden können. Beispiele dafür sind eine Verän- derung der Empfindlichkeit der Exterceptoren, Beeinflussung bzw. Induktion von ku- tanen enzymatischen Prozessen, antimikrobielle und antimykotische Wirkungen, Ke- ratolyse, Beeinflussung der Langerhans-Zellen, Einbau von Schwefel in den Ge- lenksknorpel, antiallergische Effekte, Freisetzung von Mediatoren und Beeinflussung des Immunsystems. Beim Durchtritt von Schwefel durch die Haut finden Reduktions- und Oxidationsprozesse statt, die den Hautstoffwechsel nachhaltig beeinflussen. Dadurch soll es zu Blockierungen von oxidativen Enzymen in der Haut kommen, die in der Folge eine lokale Beeinträchtigung nutritiver Vorgänge in der Haut und des Hautstoffwechsels mit Bildung abnormer Metabolite mit sich bringen. Als entschei- dender Faktor der Schwefeltherapie wird heute die stoffwechselblockierende Wir- kung der Sulfide angenommen.


Haut und Heilwässer

In diesem Zusammenhang sind auch neuere Erkenntnisse über die biologi- sche Funktion der Haut von Interesse. In den letzten Jahren wurde zuneh- mend klar, dass die Haut, besonders die Epidermis, ausgeprägte metaboli- sche und endokrine Fähigkeiten aufweist. Die Haut ist ständig fluktuieren- den exogenen Informationen ausgesetzt, wie zum Beispiel verschiedenen Strahlungseinflüssen, mechanischer Energie, Veränderungen der Feuchtig- keit sowie physikalischen und chemischen Faktoren. Zur letztgenannten Kategorie von Einflüssen können auch die chemischen Inhaltsstoffe der Heilwässer gezählt werden. Die Haut synthetisiert Vitamin D, Parathyroid- related-Hormon, POMC-derived MSH, β-Endorphin-Peptide, ACTH, die Neurotransmitter Katecholamine und Acetylcholin sowie Präkursoren von biogenen Aminen. In der Haut finden auch Umwandlungen von bestimmten Steroidhormonen statt, wie zum Beispiel die Umwandlung von Testosteron zu 5-α-Dihydrotestosteron oder zu Östradiol sowie die Konversion von T4 zu T3. Die Anwesenheit von zahlreichen Nervenenden und das vorhandene dichte Kapillarnetz sind weitere Voraussetzungen für neuroendokrine Funk- tionen, wie etwa die Übertragung von regulatorischen Signalen zum Zen- tralnervensystem über den Blutweg oder über afferente Nerven.


In der Haut finden sich auch eine große Zahl von Hormonrezeptoren. Im verzweigten neuronalen Netzwerk der Haut können Veränderungen der Homöostase über die Produktion von Mediatoren erfasst und weitergeleitet werden. Die Nervenenden kön- nen auch direkt von Neurohormonen oder von bioaktiven Peptiden wie Histamin, NO oder von Eicosanoiden stimuliert werden. Dasselbe gilt auch für physikalische Veränderungen in der Haut, wie des pH-Wertes, der Konzentration von Kationen oder von freien Radikalen. Das neuroendokrine System in der Haut koordiniert die Veränderungen in der Haut, die notwendig sind für die Verstärkung der Hautbarriere und für die Aufrechterhaltung ihrer strukturellen Integrität. Das kutane neuronale Signalsystem kann über afferente Nerven das Zentralnervensystem beeinflussen und dies geschieht mit hoher Geschwindigkeit und Präzisi- on. Dies bedeutet, dass Veränderungen des physiko-chemischen Milieus in der Haut, die durch physikalische, chemische, bio- logische oder UV-Bestrahlung hervorgerufen werden, von afferenten Nervenenden aufgenommen und über Rückenmarksbah- nen in das Gehirn geleitet werden.

Die bisher erwähnten Wirkungsmechanismen bezogen sich ausschließlich auf den sogenannten Immediateffekt, der von einem Einzelbad ausgeht. Kennzeichen der kurmäßigen Anwendung eines Heilwassers ist jedoch die iterative Anwendung im Sinne einer gezielten und verordneten Bäderserie. Die Effekte der kurmäßigen Anwendung eines Heilwassers stellen nicht die Summe von Einzelwirkungen dar und können auch nicht aus den Einzelwirkungen extrapoliert werden.

Die Haut weist ausgeprägte metabolische und endokrine Fähigkeiten auf.

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