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Sollte dies der Gesetzgeber nicht tun, würde ab 01.01.2022 § 78 StGB wie folgt gel- ten: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Dies würde bedeuten, dass jegliche Form der Beihilfe durch jede Person zulässig wäre. Die Verleitung bleibt weiterhin strafbar, die Beihilfe nicht. Der Verfassungsgerichtshof ist allerdings ausdrücklich dar- auf eingegangen, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und
ökonomische Umstände beeinflusst wird, und hat an den Gesetzgeber appelliert, Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen.
Daher übermittelte am 23.10.2021 das Bundesministerium für Justiz einen Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz er- lassen und das Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert werden soll. Die sehr kurze und von vielen Institutionen und Experten kriti- sierte Begutachtungsfrist lief am 12.11.2021 aus. Mit großer Spannung wird nun erwartet, ob und welche Änderungen noch übernommen werden und welches Gesetz am Ende beschlossen wird.
Vorgeschichte
Am 11.12.2020 verkündete der Verfassungsgerichtshof1, dass künftig ab 2022 die Suizidbeihilfe erlaubt ist2, und hob jene Bestimmung in § 78 Strafgesetzbuch (StGB) als verfassungswidrig auf, die die Hilfeleistung zum Selbstmord unter Strafe stellt. Sie verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet. Der erste Tatbestand des § 78 StGB („Verlei- ten“ zum Suizid) ist hingegen nicht verfassungswidrig und es bleibt daher strafbar, jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten. Die Entschei- dung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie frei und unbeeinflusst getroffen wird.
Der Ministerialentwurf Sterbeverfügungsgesetz (StVFG)3 regelt die Voraussetzungen und Wirksamkeit von Sterbeverfügungen und sieht ein zwei- stufiges Modell zur Sicherstellung eines freien und selbstbestimmten Willens vor. Eine Sterbeverfügung ist eine Willenserklärung, mit der eine ster- bewillige Person ihren dauerhaften, freien und selbstbestimmten Entschluss festhält, ihr Leben zu beenden. Sie ist in Österreich nur wirksam, wenn
die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichi- sche Staatsangehörige ist (§ 1 Abs 2 StVfG).
Ganz zentral ist für die Angehörigen der Gesundheitsberufe die Regelung des § 2 StVfG (sogenannte Gewissens- und Diskriminierungsklausel), wonach niemand verpflichtet wer- den kann, eine Hilfeleistung zu erbringen oder das ärztliche Aufklärungsgespräch zu füh- ren oder sonst wie mitzuwirken, und aus der Weigerung darf kein Nachteil entstehen.
Genaue Dokumentation ist wichtig
Eine Sterbeverfügung kann nur höchstpersönlich errichtet werden gemäß § 4 StVfG. In die- ser Verfügung ist der Beschluss der sterbewilligen Person festzuhalten. Diese ausdrückli- che Erklärung muss frei und bestimmt gefasst worden sein und die sterbewillige Person muss sowohl im Zeitpunkt der Aufklärung (§7 StVfG) als auch im Zeitpunkt der Errichtung der Sterbeverfügung volljährig und entscheidungsfähig sein. Die Entscheidungsfähigkeit muss zweifelsfrei gegeben sein.
Eine Sterbeverfügung kann nur eine Person errichten, die
1. an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder
2. an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensfüh- rung dauerhaft beeinträchtigen.
Die Hilfe leistende Person darf nicht mit der Person ident sein, die die Aufklärung (§ 7) leistet oder die Sterbeverfügung dokumentiert (§ 8). Für die Aufklärung ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen und hat durch zwei Ärzte zu erfolgen, von denen einer palliativmedizinische Qualifikationen aufzuweisen hat, und die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und den Entschluss frei und selbstbestimmt geäußert hat. Jedenfalls muss die sterbewillige Person auch über mögliche Behandlungs- und Handlungsalternativen, insbesonde- re Hospizversorgung und palliativmedizinische Maßnahmen sowie über die Formen der Selbstbestimmung (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht etc.) informiert sein. Weiters muss über die Dosierung und Einnahme (§ 3 Z 6) sowie die Auswirkungen des Präparats, Dosierung, notwendige Be- gleitmedikation aufgeklärt werden, sowie über Beratungsangebote. Die ärztliche Person hat ein Dokument mit dem wesentlichen Inhalt der Aufklä- rung, der genauen Dosierungsanordnung sowie der Bestätigung der erforderlichen Krankheit zu errichten und mit Unterschrift zu bestätigen. Die Sterbeverfügung muss auch von der sterbewilligen Person unterschrieben werden und wird ihr ausgefolgt. Die Dokumentation kann auch im Wege einer sicheren Online-Schnittstelle, für die der Gesundheitsminister zuständig ist, erfolgen.
Wann kann eine Sterbeverfügung errichtet werden?
Eine Sterbeverfügung kann frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung (§ 7) errichtet werden (§ 8). In bestimmten Fällen kann die Errichtung schon nach zwei Wochen zulässig sein. Wird eine Sterbeverfügung nicht innerhalb eines Jahres nach der zweiten ärztlichen Aufklä- rung errichtet, so muss die sterbewillige Person eine neuerliche Bestätigung beibringen.
Die Sterbeverfügung ist schriftlich vor einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen unter strengen Voraussetzun- gen zu errichten, wobei zunächst überprüft werden muss, ob nicht bereits eine Sterbeverfügung errichtet oder ob bereits ein Präparat abgegeben wurde. Wurde für die sterbewillige Person bereits ein Präparat ausgefolgt und dieses nicht nachweislich zurückgegeben, ist ein entsprechender Vermerk in die Sterbeverfügung aufzunehmen. Die Person, die die Sterbeverfügung errichtet, hat unter Angabe von bestimmten Daten die Errich- tung und Entscheidungsfähigkeit zu bestätigen. Das Original der Sterbeverfügung wird der sterbewilligen Person ausgehändigt und eine Abschrift wird von der dokumentierenden Person aufbewahrt und dem Sterbeverfügungsregister gemeldet.
Der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister hat ein elektronisches Sterbeverfügungsregister unter Zuhilfenahme eines bereichsspe- zifischen Personenkennzeichens zu führen. Die Totenbeschauärzte trifft eine gesonderte Meldepflicht, wenn Hinweise vorliegen, dass der Tod in ei- nem unmittelbaren oder mittelbaren kausalen Zusammenhang mit der Einnahme eines Präparats steht.
Abgabe des Präparats durch die Apotheke
Jede öffentliche Apotheke darf nach Vorlage einer wirksamen Sterbeverfügung an die sterbewillige oder eine in der Sterbeverfügung namentlich genannte Hilfe leistende Person ein Präparat abgeben. Die Abgabe ist unzulässig, wenn das Präparat bereits abgegeben wurde und nicht nach- weislich zurückgegeben wurde. Die Abgabe ist entsprechend nach genauen Vorgaben zu dokumentieren. Das zulässige Präparat ist Natrium-Pen- tobarbital, außer es wird per Verordnung ein anderes Präparat bestimmt. § 12 StVG sieht ein umfassendes Werbeverbot vor, wobei ein Hinweis auf die Errichtung der Sterbeverfügung jedoch zulässig ist. Keinesfalls darf sterbewilligen Personen eine Hilfeleistung angeboten werden, wenn sie sich dafür wirtschaftliche Vorteile versprechen lässt oder annimmt, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen.
Neben der Schaffung des neuen Sterbeverfügungsgesetzes wurde dann noch der Entwurf einer neuen Regelung des § 78 StGB in Begutachtung geschickt, wonach die Strafbarkeit der Hilfeleistung zur Selbsttötung entsprechend angepasst wird. Aufgrund dieser Regelung ergibt sich aller- dings, dass im Falle der ärztlichen Aufklärung von zwei Ärzten dann alle möglichen Hilfeleistungen in Anspruch genommen werden können.
Begutachtungsphase und Kritikpunkte
Im Rahmen der Begutachtungsphase sind 173 Stellungnahmen unterschiedlichster Art und Inhalte eingegangen. Freilich sind – abhängig von der jeweiligen religiösen oder spirituellen Einstellung – die Ansichten, ob das Sterbeverfügungsgesetz zu weit oder zu wenig weit geht, sehr konträr. Da- von unabhängig möchte ich nur drei Themen herausgreifen, die sich in manchen Stellungnahmen wiederfinden.
• Einige Stellungnahmen kritisieren die Bezeichnung Sterbeverfügungsgesetz4, da dadurch falsche Assoziationen geweckt werden würden, denn anders als bei der Patientenverfügung muss die sterbewillige Person zum Zeitpunkt der Geltung entscheidungsfähig sein. Diese, an die Patienten- verfügung angelehnte Bezeichnung, könnte daher irreführend und verwirrend sein.
• Weiters wird in einigen Stellungnahmen eine Präzisierung des Krankheitsbegriffs gefordert.
• Nicht zuletzt findet man in Stellungnahmen Ausführungen zur Frage der Suizidhandlung und des -ortes. Das Ziel des Entwurfes ist der rein privat durchgeführte Suizid. Bewusst soll jegliche Mitwirkung von Gesundheitsberufen in dieser letzten Phase – der Einnahme einer letalen
Substanz – herausgenommen werden. In dem Moment, wo der Sterbewillige das tödliche Präparat in der Apotheke abholt, ist der im Sterbeverfü- gungsgesetz vorgesehene Prozess durchlaufen und es steht ihm nun frei, wo und wann er das Präparat nimmt. Es gibt auch keine Kontrolle mehr, ob der Sterbewillige im entscheidenden Moment der Einnahme tatsächlich noch entscheidungsfähig ist. Darüber hinaus besteht Sorge, ob der Ster- bewillige nicht aufgrund von Überforderung, Angst oder möglicher Beeinträchtigung (Schluckstörung) in dieser Situation die Einnahme richtig vor- nimmt, zum Beispiel etwas verschüttet und es letztlich ein grausamer und langer Prozess der Selbsttötung wird. Darüber hinaus befürchten einige Personen, Missbrauch ab dem Moment, in dem das tödliche Präparat „zu Hause“ steht, und würden sich daher entsprechenden Beistand durch ei- nen Angehörigen eines Gesundheitsberufes oder „Suizidassistenten“ wünschen.
Die Zeit ist jedenfalls knapp, da am 01.01.2022 eine neue Regelung für den assistierten Suizid erlassen werden sollte. Wenn dies dem Gesetzgeber bis dahin nicht gelingt, ist ab 01.01.2022 jegliche Form der Suizidbeihilfe zulässig.