THEMA | Schizophrenie 

Abkehr vom therapeuti- schen Nihilismus

Aktuell stehen eine Reihe hochwirksamer Behandlungs- verfahren im Bereich der Medikation, der Soziotherapie sowie der Psychotherapie bei Schizophrenie zur Verfü- gung stehen. Sie können dazu beitragen, dass die Krank- heitssymptomatik rascher abklingt und Betroffene ihren Alltag besser bewältigen können.

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Etwa ein Prozent der Bevölkerung erleidet im Laufe ihres Lebens eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Sowohl Frauen als auch Männer sind etwa gleich häufig betroffen. Die erste Krankheitsepisode tritt typischerweise im späten Jugend- oder frühen Erwachsenenalter auf, wobei Männer durchschnittlich einige Jahre früher erkranken als Frauen.


Fehleinschätzung der Prognose

Zahlreiche Studien zeigen, dass ein Teil der Erkrankten eine durchaus gute Prognose hat. Bei rund einem Viertel bis einem Drittel aller von Schizo- phrenie Betroffenen treten nur ein oder zwei Krankheitsepisoden auf, gefolgt von einem völligen Verschwinden der Erkrankung. Ein knappes Drittel der Erkrankten zeigt einen chronischen Verlauf oder häufig wiederkehrende Krankheitsepisoden, die so ausgeprägt sind, dass es zu Problemen bei der Alltagsbewältigung, wie zum Beispiel Schwierigkeiten allein zu wohnen oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit kommt. Rund ein Drittel bis die Hälfte der Erkrankten hat wiederkehrende Krankheitsepisoden, die auf Behandlung gut ansprechen und häufig symptomfreie Intervalle zei- gen, in denen bei vielen ein völlig oder weitgehend autonomes Leben möglich ist.

Sowohl Krankenhausabteilungen als auch Ambulanzen, die auf die Behandlung von Patienten mit schizophrenen Psychosen spezialisiert sind, se- hen vor allem jene Kranken mit einer schlechteren Prognose. Dies führt manchmal zu der Fehleinschätzung, dass ein überwiegender Teil von Per- sonen, die an Schizophrenie erkrankt sind, einen schweren und chronischen Verlauf hat.


Drei Säulen der Behandlung

Die Behandlung der Schizophrenie basiert auf Medikation, Psychotherapie und Soziotherapie. In der medikamentösen Behandlung sind atypische Antipsychotika die First-Line-Medikamente. Die älteren typischen Antipsychotika werden zu Recht aufgrund ihres hohen Risikos für extrapyramida- le Nebenwirkungen und teils irreversible Spätdyskinesien heute nur mehr selten verwendet. Seit einigen Jahren stehen atypische Antipsychotika nicht mehr nur als orale Medikation, sondern auch als Depotpräparat zur Verfügung. Adhärenz mit der Medikation ist bei Schizophrenie ein immer wieder auftretendes Problem. Adhärenz ist aber nicht ein für diese Krankheit typisches Problem, sondern tritt auch bei zahlreichen anderen psy- chischen und körperlichen Erkrankungen in ähnlichem Umfang auf. Das Absetzen von Antipsychotika erhöht das Risiko von Rückfällen und somit für einen schlechteren Krankheitsverlauf beträchtlich. Vor diesem Hintergrund sind Depotpräparate häufig von Vorteil, weil sie die Adhärenz unter- stützen und auf diese Weise die Rückfallsraten verringern. Unabhängig davon, ob die Medikation oral oder als Depot verabreicht wird, ist es erfor- derlich die Patienten über die Möglichkeiten der Behandlung zu informieren und die enorme Bedeutung von Antipsychotika für die Vermeidung von Rückfällen aufzuklären. Auch die Frage oral vs. Depot ist mit den Kranken gemeinsam abzuwägen und die Entscheidung gemeinsam zu tref- fen.

Nebenwirkungen von Antipsychotika können unter anderem sein: orthostatische Dysregulation, Sedierung, EKG-Veränderungen (Verlängerung der QTc-Zeit mit Gefahr von Herzrhythmusstörungen), metabolische Effekte wie Gewichtszunahme oder Glukosetoleranzentwicklung, Erhöhung des Prolaktinspiegels (mit der Folge von erektiler Dysfunktion, Libidoverminderung oder Amenorrhoe), Blutbildveränderungen (Leukopenie, Agranulo- zytose) und Senkung der Krampfschwelle. In der Akutphase kann es erforderlich sein, auch Benzodiazepine zur Reduktion von Angst und Span- nungszuständen zu verwenden. Auch bei ausgeprägten Schlafstörungen und fallweise zur Sedierung können Benzodiazepine erforderlich sein.


Kommunikation wirkt auf Rückfälle

Soziotherapeutische Maßnahmen spielen bei Menschen, die unter schizophrenen Psychosen leiden, eine wesentliche Rolle. Der Kommunikations- stil von Angehörigen und anderen Menschen im Umfeld der Kranken ist zwar keinesfalls ein Risikofaktor für das Auftreten der Erkrankung, kann aber die Zahl der Rückfälle beeinflussen. Randomisiert-kontrollierte Studien haben gezeigt, dass Angehörige, denen es gelingt, ihren Kommunika- tionsstil an die Bedürfnisse des Kranken anzupassen – in Richtung „low expressed emotions“ – das Rückfallrisiko verringern können. Angehörige haben häufig Schuldgefühle, da sie sich fälschlicherweise für das Auftreten der psychischen Erkrankung verantwortlich fühlen. Das führt oft zu Überfürsorglichkeit, die für die Kranken oft sehr belastend ist. Wir wissen allerdings heute, dass die Familie nicht im Geringsten am Auftreten der Schizophrenie schuld ist. Je mehr die Angehörigen über die Erkrankung wissen, umso besser können sie die Kranken im Alltag unterstützen ohne überfürsorglich zu werden.

Wenn die Kranken im Alltag unterfordert werden, begünstigt dies das Auftreten von Negativsymptomatik. Wenn die Kranken allerdings überfordert werden, geht das häufig mit Stress einher, was zum Wiederauftreten oder zu einer Verschlechterung der Positivsymptomatik führt. Aus diesem Grund ist es wichtig die Anforderung des Alltags schrittweise zu steigern, um sowohl Unter- als auch Überforderung zu vermeiden. In therapeuti- schen Einrichtungen wie Tageskliniken oder Wohneinrichtungen gehört heute eine schrittweise Aktivierung und Tagesstruktur zu den wichtigsten soziotherapeutischen Behandlungsformungen der Schizophrenie.


Bewältigungsstrategien erlernen

Die Psychoedukation, eine umfassende Information der Kranken über ihre Erkrankung und wie sie damit umgehen können, gehört heute zu den zentralen psychotherapeutischen Arbeitsweisen bei Schizophrenie. Über die Wirksamkeit liegen international zahlreiche Studien vor. Bei der Psychothera- pie von Schizophrenie-Kranken werden folgende Standards international empfohlen:

•Einfachheit und Klarheit der Kommunikation

•Vermeiden von Über- und Unterforderung

•Vermeiden von affektprovozierenden Verfahren

•Therapeuten müssen über längere Zeiträume als konstante Bezugspersonen zur Verfügung stehen.

Psychotherapie bei Schizophrenie sollte zuallererst auf die Erfassung und in der Folge auf die Be- handlung krankheitsspezifischer Symptome fokussieren. Die jeweiligen Methoden sollen auf das Er- lernen oder Wiedererlernen von Fähigkeiten abzielen und sind als „Bewältigungsstrategien“ zu ver- stehen. Ziele der Psychotherapie sind daher unter anderem die Verringerung von ungünstigen Ein- flüssen äußerer Stressoren, die Behandlung krankheitsspezifischer Störungen im kognitiven, affekti- ven und psychosozialen Bereich, die Verbesserung der Lebensqualität, die Förderung von Fähigkei- ten zur Kommunikation und die Krankheitsbewältigung.

Während bis vor etwa 25 Jahren häufig ein therapeutischer Nihilismus zu beobachten war, wissen wir heute, dass eine ganze Reihe hochwirksamer Behandlungsverfahren im Bereich der Medikation, der Soziotherapie sowie der Psychotherapie zur Verfügung stehen. Diese Verfahren können dazu beitra- gen, dass die Krankheitssymptomatik rascher abklingt, die Zahl der Rückfälle reduziert wird und die Kranken weniger Probleme in der Bewältigung des Alltags haben.