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Auswirkungen der Darm-Gelenk-Achse
Neue Erkenntnisse zur Verbindung von Darm und Gelenken:
Ernährung und neue Wirkstoffe könnten Rheuma lindern.
Darmbakterien können die Entwicklung von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen fördern, wenn die Barrieren im Darm nicht halten. Darmbak- terien könnten aber auch bei der Behandlung behilflich sein, indem sie entzündungshemmende Substanzen bilden. Professor Dr. Georg Schett, Kongresspräsident des Deutschen Rheumatologiekongresses 2021, erklärt, welche Verbindung es zwischen Darm und Gelenken gibt und wie dies in Zukunft therapeutisch genutzt werden könnte. „Die Darm-Gelenk-Achse, also eine Verbindung von Darm und Gelenken, ist seit Langem be- kannt“, sagt Schett, der am Universitätsklinikum Erlangen die Klinik für Rheumatologie und Immunologie leitet. „Ärzte beobachten immer wieder, dass es bei einer Darminfektion zu einer Gelenkentzündung kommt. Umgekehrt leiden Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nicht selten unter Gelenkbeschwerden.“ Worin diese Verbindung besteht, konnte erst ansatzweise geklärt werden. Die Erlanger Forscher haben jedoch in den letzten Jahren neue Erkenntnisse gewonnen.
Darmbarrierestörungen kitten
So konnten sie zeigen, dass Rheumapatienten häufig eine Barrierestörung im Darm haben. Dadurch geraten Darmbakterien mit dem Immunsystem in Kontakt. Die Folge ist eine Entzündungsreaktion, die auch auf die Gelenke übergreift. Schett erläutert: „Immunzellen aus dem Darm können in das Gelenk einwandern und dort die rheuma- tische Entzündung fördern.“
Die undichte Stelle im Darm könnte zwischen den einzelnen Schleimhautzellen liegen. Diese sind normalerweise durch sogenannte „tight junctions“ fest miteinander verkit- tet. Die „Klebe“ kann durch das Protein Zonulin gelöst werden, das von den Darmzel- len selbst gebildet wird, angeregt durch Darmbakterien. Ein Team um DGRh-Kon- gresspräsident Schett konnte jüngst zeigen, dass bei Rheumapatienten vermehrt Zo- nulin im Darm gebildet wird. Bei einem Mäusemodell der Erkrankung war die Produkti- on sogar schon erhöht, bevor es zu einer Gelenkentzündung kam. Die Beobachtun- gen könnten langfristig zu einer neuen Behandlung führen. Denn in klinischen Studien
wird derzeit ein Wirkstoff getestet, der Zonulin blockiert: Larazotid wird dort an Patienten mit der Darmkrankheit Zöliakie erprobt. Die Erlanger For- scher konnten zeigen, dass Larazotid bei Mäusen auch die rheumatischen Gelenkbeschwerden lindert.
Darmbakterien gezielt anfüttern
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit könnte in der Umstellung der Ernährung bestehen. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Darmbak- terien antientzündliche Substanzen bilden. Schett erklärt: „Es handelt sich um kurzkettige Fettsäuren wie Essigsäure, Propionsäure und Buttersäu- re, die über die Schleimhaut ins Blut gelangen.“ In den Gelenken und anderswo könnten sie Entzündungen lindern. Darmbakterien bilden die kurz- kettigen Fettsäuren aber nur, wenn genügend Pflanzenfasern in der Nahrung enthalten sind. Die Forscher haben deshalb in einer Studie unter- sucht, ob die Darmbakterien durch eine gezielte Ernährung „angefüttert“ werden können. 29 Rheumapatienten verzehrten über 30 Tage einen spe- ziellen ballaststoffreichen Riegel. Danach wurden Stuhl- und Blutproben untersucht. Wie die Forscher berichteten, kam es tatsächlich im Blut zu ei- nem Anstieg der kurzkettigen Fettsäuren. Und in den Stuhlproben waren vermehrt die Darmbakterien nachgewiesen worden, die die kurzkettigen Fettsäuren produzieren. Ob die ballaststoffreichen Riegel langfristig auch die Beschwerden der Patienten lindern könnten, wurde noch nicht in ei- ner klinischen Studie untersucht. „Wir gehen aber davon aus, dass die Ernährung über die Darmbakterien einen substanziellen Einfluss auf die Entwicklung von Arthritis ausüben kann“, sagt der Experte.
rh