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Körperliche und psychische Gesundheit sind durch metabolische Prozesse untrennbar mit- einander verbunden. Dieses Faktum hat weit- reichende therapeutische Implikationen: Inte- grative Behandlungspläne, die auf eine Ver- besserung von Metabolismus und
Regulationsfähigkeit abzielen, werden künftig nicht nur für die Behandlung psychischer Er- krankungen an Bedeutung gewinnen.
Die Rolle der Ernährung bei Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkran- kungen wurde in einer Vielzahl an Studien untersucht. Die Tatsache, dass die Ernährung auch tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Gehirn hat, ist in den letzten Jahren zunehmend Gegenstand der Forschung. So wurden beispielsweise neuronale Schaltkreise, die Appetit und Essverhalten regulieren, auch direkt mit der Abhängigkeit von Tabak und Al- kohol in Verbindung gebracht. Die neuronalen Schaltkreise für Einsamkeit
überschneiden sich direkt jenen Schaltkreisen, die vor Hunger warnen. Tierversuche haben gezeigt, dass sozialer Stress in Form von sozialer Iso- lation zu erhöhter Nahrungsaufnahme und verringertem Schlaf führt.
Demnach wirkt sich also nicht nur die Ernährung auf den mentalen Zustand aus, sondern auch der mentale Zustand auf den Metabolismus, der wiederum Appetit und Essverhalten beeinflussen kann. Biologische, psychologische und soziale Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden. Biochemische Prozesse beeinflussen unsere Psyche und unsere sozialen Interaktionen, umgekehrt beeinflussen Psyche und soziale Interaktionen auch biochemische Prozesse.
Darm-Gehirn-Achse und Mikrobiom
In diesem Zusammenhang spielen der Verdauungstrakt und seine Verbindung zum Gehirn – die sogenannte Darm-Gehirn-Achse – eine wichtige Rolle. Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn erfolgt über verschiedene Mechanismen. So verfügt der Darm selbst über ein komplexes Nervensystem, welches über den Nervus Vagus bidirektional mit dem Gehirn kommuniziert. Außerdem produzieren endokrine Zellen des Darms Hormone und Neuropeptide, die weitreichende Auswirkungen auf den Stoffwechsel und die Gehirnfunktion haben. Schließlich produzieren Darm- bakterien selbst eine Vielzahl von Stoffwechselprodukten, Neurotransmittern und Hormonen, die sie in den Darm absondern.
Über Aufnahme in den Blutkreislauf beeinflussen diese ebenfalls Stoffwechsel und Gehirnfunktion. So fanden sich in Studien Hinweise, dass die Darmbakterien beispielsweise das Körpergewicht beeinflussen können. Die Rolle des Mikrobioms bei der Entstehung von kardiovaskulären Erkran- kungen, Adipositas und Diabetes ist Gegenstand intensiver Forschung. Es gibt auch immer mehr Belege, dass das Darmmikrobiom bei psychi- schen Störungen wie Depressionen, Angstzuständen, Autismus, Schizophrenie, bipolaren Störungen und Essstörungen eine Rolle spielt, ebenso bei neurodegenerativen Erkrankungen und Epilepsie. Rezenten Forschungsergebnissen zufolge senden Darmmikroben Signale auch direkt an Mi- tochondrien in den Darmwandzellen und Immunzellen. Diese Signale verändern nachweislich den mitochondrialen Stoffwechsel.
Mitochondrien
Den Mitochondrien kommt eine Schlüsselfunktion bei der Regulation metabolischer Prozesse zu. Die Hauptaufgabe der Mitochondrien ist die Ener- gieproduktion. Sie sind darüber hinaus aber noch in eine Vielzahl anderer Prozesse involviert: Mitochondrien spielen eine direkte Rolle bei der Pro- duktion und Freisetzung einiger wichtiger Neurotransmitter, einschließlich Serotonin, Dopamin, Glutamat und Acetylcholin. Diese Neurotransmitter steuern unser Denken, Handeln und Fühlen. Mitochondrien sind zudem in alle Aspekte der menschlichen Stressreaktion involviert und besitzen En- zyme, die für die Synthese von Steroidhormonen wie Cortisol erforderlich sind. Bei mitochondrialer Dysfunktion kann die Produktion dieser Hormo- ne gestört werden. Mitochondrien steuern außerdem die Kalziumregulierung in den Zellen und regulieren die epigenetische Genexpression. Sie wurden zudem als Schlüsselregulatoren für das Ausschalten bestimmter Entzündungszellen identifiziert.
Neueren Theorien zufolge können mitochondriale Dysfunktionen als der gemeinsame Ursprung von metabolischen und psychischen Störungen verstanden werden.
Therapeutische Interventionen
Wirkungsvolle therapeutische Interventionen zielen im weitesten Sinne darauf ab, metabolische Prozesse und damit auch die autonome Regulati- onsfähigkeit des Organismus zu verbessern. Sämtliche Faktoren, die Auswirkungen auf den Metabolismus und die autonome Regulation haben, können als therapeutische Eintrittspforten genutzt werden. Dazu zählen neben medikamentösen Interventionen unter anderem Ernährung, Sport und Bewegung, achtsamkeitsbasierte und hypnotherapeutische Verfahren, Psychotherapie, aber auch hormetisches Training zur Verbesserung der Stresstoleranz.
Das Sichtbarmachen des autonomen Regulationszustandes durch Messung der Herzratenvariabilität kann einen wichtigen Beitrag zur Verbesse- rung der Compliance und Adhärenz für einen optimalen Behandlungserfolg leisten.
Ernährung spielt eine wesentliche Rolle für die metabolische und damit auch für die mentale Gesundheit. Die Verbesserung des Essrhythmus, des Nahrungsspektrums und der Nahrungsmenge können maßgeblich zu einem positiven Therapieresultat beitragen. Jedoch können auch trotz ge- sunder Ernährung metabolische Prozesse beeinträchtigt sein. Hierbei können genetische und epigenetische Faktoren, Inflammation, chronischer Stress, hormonelle Dysbalancen etc. eine Rolle spielen. Diätologische Interventionen können aber auch in diesen Fällen hilfreich sein: So kann bei- spielsweise intermittierendes Fasten Reparaturprozesse wie Autophagie und Mitophagie in Gang setzen und zu einer Verbesserung der zellulären Gesundheit beitragen.
Eine weitere wichtige Rolle spielen therapeutische Interventionen, welche die Abstinenz von Noxen wie Tabak, Alkohol oder Cannabis fördern. Um- kehrt kann bei nachgewiesenen Defiziten von Mikronährstoffen eine Substitution zielführend sein. Sämtliche Maßnahmen, die eine Verbesserung der Diversität des Mikrobioms begünstigen, können sich ebenfalls positiv auf den Metabolismus auswirken. Hierzu zählen neben diätologischen Maßnahmen auch Lebensstilmodifikationen wie regelmäßige körperliche Bewegung.
Die Rolle von Sport und Bewegung
Elementarer Bestandteil in der Prävention und Behandlung mentaler und metabolischer Erkrankungen ist körperliche Aktivität. Die weitreichenden Benefits wurden in vielen Studien nachgewiesen. Bestimmte Sportarten wie zum Beispiel Bouldern eignen sich besonders, mentale und körperli- che Fähigkeiten gleichermaßen zu trainieren und durch verkörperte Erfahrung neue Erkenntnisse und Handlungsoptionen zu gewinnen, die auch auf andere Lebensfelder übertragbar sind. Der direkte Zusammenhang zwischen chronischem Stress und mitochondrialer Dysfunktion ist mittler- weile wissenschaftlich belegt. Die stressinduzierte mitochondriale Dysfunktion wiederum kann weitreichende Folgen für den Gesundheitszustand haben.
Therapeutische Interventionen, die auf eine Verbesserung der allgemeinen Stresstoleranz abzielen, stehen deshalb zunehmend im Fokus der For- schung. Hierzu gehören auch Trainingsmethoden, welche auf dem Hormesis-Prinzip basieren. So können moderate Dosen eines Stressors positive Anpassungsprozesse in Gang setzen und die Widerstandskraft des Organismus mittelfristig stärken. Beispiele hierfür sind gezieltes körperliches Fitnesstraining, aber auch Kältereize sowie bestimmte Atemtechniken. Jüngste Arbeiten haben gezeigt, dass das sympathische Nervensystem durch ein Trainingsprogramm aktiviert werden kann, das aus Kälteeinwirkung, Atemübungen und Meditation besteht und dies neben einer verbes- serten Stresstoleranz auch antiinflammatorische Effekte hat.
Stressreduktion und Parasympathikustraining
Die Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierten Verfahren wie etwa Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) wurde sowohl bei verschiedenen kör- perlichen Erkrankungen als auch bei psychischen Störungen hinreichend belegt. In einer Studie konnten unter anderem auch positive Auswirkun- gen auf die mitochondriale Widerstandfähigkeit nachgewiesen werden. Verschiedene Atemtechniken, aber auch Hypnotherapie zur Tranceindukti- on können beispielsweise bei funktionellen Störungen zusätzlich einen wichtigen therapeutischen Beitrag leisten.
In Anbetracht dessen, dass unzählige psychologische und soziale Faktoren Einfluss auf Metabolismus und autonomen Regulationszustand haben können, sind psychotherapeutische und psychologische Therapieansätze wichtiger Teil der Behandlung. Für die Implementierung neuer Gewohn- heiten wie optimierter Ernährung oder einer alltagstauglichen Sport-und Bewegungspraxis ist das Erkennen von maladaptiven Copingstrategien und „Trainieren“ unterentwickelter neuronaler Netzwerke von entscheidender Bedeutung. Eine tragfähige therapeutische Beziehung wirkt über Co- regulation stabilisierend.