Bei atherosklerotisch-kardiovaskulären Erkrankungen denken wir fast immer an den Herzinfarkt. Wir dürfen aber nicht den Schlaganfall, die pAVK und alle anderen Gefäße im Körper vergessen, die durch Hypercholesterinämie bzw. durch schädliche Noxen für die Gefäße beeinflusst werden. Modifizierbare Risikofaktoren sind das Rauchen, die Cholesterinsituation, der Bluthochdruck, die Einstellung bzw. Verhinderung der Symptomatik des Diabetes mellitus, das Übergewicht, diätetische Faktoren, der Mangel an körperlicher Aktivität und der Alkoholkonsum. Dies ist eine wesentlich größere Anzahl als nicht modifizierbare Risikofaktoren, wozu Alter, Geschlecht, Familienanamnese und die eigene kardiovaskuläre Anamnese zählen.
Eine Lancet-Arbeit bereits aus dem Jahr 2004, wo die Einflüsse wahrscheinlich noch viel besser herausgehoben werden können, zeigt deutlich, dass populationsattributable Risiken für eine atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung (ASCVD) im größten Ausmaß den Lipiden mit einer Be- einflussung von 50 % zugesprochen werden. Zu den weiteren Risikofaktoren zählen Rauchen mit 36 %, psychosoziale Probleme mit
33 %, abdominelle Adipositas mit 20 %, Hypertonie mit 18 %, Mangel an Obst und Gemüse mit 14 %, Bewegungsmangel mit 12 %, Diabetes melli- tus mit 10 % und Alkohol mit 7 %. Zählt man alle neun Risikofaktoren zusammen, kommt man auf eine Beeinflussung von 90 % für – in dem Fall – das Auftreten eines Myokardinfarkts.
Umfassende Datenlage
Bereits in der Framingham-Studie, die aus dem Jahr 1984 stammt, konnte gezeigt werden, dass bei einem Gesamtcholesterin von 200 mg/dl im Vergleich zu einem Gesamtcholesterin von 300 mg/dl eine Risikoreduktion von 85 % erreicht werden kann.
In den letzten Jahren nahm die Studiendichte deutlich zu. Es gibt wenige Bereiche in der modernen Medizin, die derart gut durch Studiendaten un- terlegt sind. Praktisch jede Studie zeigt, dass eine Verringerung der LDL-Zielwerte zu einer Verbesserung des Outcomes im Sinne einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen wie Myokardinfarkt, kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall, koronarer Revaskularisierung, pAVK und Hospitalisie- rung wegen Herzinsuffizienz führt. Zuletzt konnte durch Einsatz der modernen neuen LDL-senkenden Medikamente wie PSCK9-Inhibitoren oder Ezetimib oder auch durch die Bempedoinsäure gezeigt werden, dass immer tiefere Werte einen weiteren Benefit zeigen. So war in der Improve-IT- Studie, die Ezetimib und ein Statin verwendete, ein Wert von 54 mg/dl einem Wert von 70 mg/dl überlegen und in der Odyssey Outcomes-Studie mit dem PSCK9-Hemmer Alirocumab ein Wert von 53 mg/dl dem Wert von 92 mg/dl überlegen. Hier konnte jeweils eine 10- bis 20%ige weitere Ri- sikoreduktion erreicht werden. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass pro ca. 40 mg/dl LDL-Senkung eine Risikoreduktion von 20 % erreicht wer- den kann.
Was soll gemessen werden…
… und was sollen wir den Patienten mitteilen? Das Standardlipidlabor sollte aus Gesamtcholesterin, Triglyceriden, LDL-C und HDL-C bestehen. Einmalig im Leben sollte auch ein Lipoprotein (a)-Wert bestimmt werden. Alle anderen Parameter sind in spezifischen Fragestellungen ohne Frage sinnvoll, führen aber im Gesamtduktus für die Patienten zu Verwirrungen. Der Wunsch ist daher aktuell, lediglich den Patienten das LDL-C und das Risiko des LDL-Cs mitzuteilen. Für das LDL-C kann und wird meistens die Friedewald-Formel verwendet, die ein berechneter Parameter aus dem Gesamtcholesterin, aus dem HDL-Cholesterin und aus dem Fünftel der Triglyceride besteht. Es konnte gezeigt werden, dass die Friedewald-For- mel speziell dann, wenn die Triglyceride hoch sind, problematisch sein kann. Bei der direkten LDL-Bestimmung werden allerdings auch bei hohen Serumspiegeln von Lipoprotein(a) Teile des LDLs des Lipoprotein(a) mitbestimmt.
Status quo der Hypercholesterinämie
Eine interessante Arbeit im Fachmagazin Nature aus dem Jahr 2020 konnte zeigen, dass zwischen 1980 und 2018 in Mittel-, Nord- und Südeuropa die Gesamtcholesterinkonzentration von 233 mg/dl auf 190 mg/dl in der Gesamtpopulation gesunken ist. Dies zeigt sich auch in den Gesamtdaten, dass die relative Anzahl von Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant zurückgegangen ist.
Wir wissen, dass LDL eine lebenslange Belastung für unser kardiovaskuläres Gefäßsystem darstellt. Aus Daten von Menschen mit einer Mutation im PCSK9-Gen, die somit sehr niedrige LDL-Spiegel haben, kann gezeigt werden bzw. konnte gezeigt werden, dass das beobachtete lebenslange Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen extrem niedrig ist, und Daten, die letztes Jahr von Prof. Brian Ference (USA) publiziert wurden, konnten belegen, dass mittels Artificial Intelligence genau die gleichen Daten für eine Population mit Hypercholesterinämie nachgestellt werden können. Die gezeigten Daten aus den PCSK9-Hemmer-Studien sind mit dieser Risikoreduktion deckungsgleich.
Es vergeht kein Jahr, wo nicht neue zusätzliche Daten nachweisen, dass die Therapie des LDLs einen Benefit für Patienten mit erhöhtem LDL-C zeigen. Eine Reduktion um 50 % von LDL-C reduziert das kumulative lebenslange Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung um 70 bis 90 %, wenn gleichzeitig auch der Blutdruck um 10 mmHg systolisch reduziert ist.
Aktuelle Therapieziele
Die 2019 durch die ESC/EAS (European Society of Cardiology und European Atherosclerosis Society) upgedateten Guidelines für die LDL-C-Ziele haben eine neuerliche Reduktion der Zielwerte für LDL-C ergeben. Hochrisikopersonen sollen einen LDL-C-Wert < 55 mg/dl haben, Personen bzw. Patienten mit hohem Risiko einen Wert < 70 mg/dl, Personen mit einem moderaten Risiko einen LDL-C-Wert < 100 mg/dl und Patienten und Men- schen mit niedrigem Risiko, wo eigentlich der größte Teil der Population zuzuzählen ist, sollten einen LDL-C-Wert < 116 mg/dl haben.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass alle Patienten, die schon ein atherosklerotisch kardiovaskuläres Ereignis hatten, einen LDL-C-Wert < 55 mg/dl anstreben sollten, und Patienten mit hohem Risiko – hierzu zählen z. B. fast alle Diabetespatienten – sollten einen Wert < 70 mg/dl aufweisen. Aus amerikanischen und europäischen Daten wissen wir allerdings, dass bis zu 80 % der Patienten diese Therapieziele aktuell nicht erreichen. Dies liegt einerseits daran, dass keine effektiven therapiesenkenden Maßnahmen eingeleitet werden bzw. die Dosis nicht gesteigert wird, und an- dererseits sicherlich auch daran, dass die Patienten ein großes Adhärenzproblem im Speziellen bei der LDL-C-Senkung aufweisen.
Es sollten aktuell Rosuvastatin und Atorvastatin zur Therapie verwendet werden. 10 mg Rosuvastatin senkt LDL-C um 45 %, 20 mg um 50 %. 10 mg Atorvastatin senkt das LDL-C um 35 %, 20 mg um 43 %. Die anderen Statine sind wesentlich weniger effektiv. Wichtig ist, bereits zu Therapie- beginn mit einer ausreichenden Statindosis zu beginnen und bestmöglich gleich die Kombination mit einem weiteren LDL-senkenden Medikament zu starten. Hierzu zählen Ezetimib und Bempedoinsäure.
Statine in der Therapie
In Österreich werden derzeit 680.000 Patienten mit einem Statin behandelt. Kardiovaskuläre Todesursachen zählen nach wie vor zu der Todesursa- che Nummer 1. Erwähnenswert ist, dass es bei den Statinen hydrophile (Rosuvastatin/Pravastatin) sowie lipophile Statine (Atorvastatin/Simvastatin) gibt. Sollte es zum Auftreten von Myopathien kommen, kann der Rosenson-Score angewendet werden. Wichtig sind die Lokalisation der Schmer- zen, der zeitliche Verlauf, die Besserung durch Absetzen und das Neuauftreten von Symptomen nach Reexposition. Bei Muskelschmerzen unter einem lipophilen Statin sollte ein hydrophiles Statin versucht werden.
Im Wesentlichen sind Statine sehr sicher, sie sind nebenwirkungsarm, wir können sehr viele Patienten in den Zielbereich therapieren. Therapeuti- sche Schwierigkeiten bestehen, weil wir uns als Ärzte zu langsam an die neuen Guidelines adaptieren und wahrscheinlich auch zu wenig aggres- siv mit Statinen therapieren. Ebenso wird von uns Ärzten der Effekt der Dosissteigerung überschätzt. Faktum ist, dass eine Verdopplung der Dosis den LDL-C-Wert nur um weitere 6 % erniedrigt. Ebenso wird die Statinintoleranz überschätzt.
Neue Medikamente
Zu erwähnen ist zuerst Ezetimib, welches im Wesentlichen ein Cholesterinadsorptionshemmer ist, der eine Cholesterinsenkung zwischen zehn und 30 % ermöglicht. Neu und auch mit einer positiven Outcome-Studie versehen ist die Bempedoinsäure. Die Bempedoinsäure senkt den LDL-C-Wert bei Patienten mit bereits bestehender Statintherapie um 18 %, ohne Statintherapie um 28 % und in der Kombination mit Ezetimib um 38 %. Die Bempedoinsäure hat den Vorteil, dass es ein sogenanntes Prodrug ist, das erst in die aktive Form umgewandelt werden muss. Das Enzym, das die Vorstufe in die aktive Form umwandelt, ist im Muskel nicht vorhanden, daher kommt es zu deutlich weniger Muskelschmerzen. Im Prinzip wirkt Bempedoinsäure allerdings wie die Statine.
Weiters in unserem Repertoire sind die PSCK9-Hemmer. Es handelt sich bei den zwei bestehenden Medikamenten (Alirocumab, Evolocumab) um Antikörper gegen PCSK9. PCSK9 ist für die Internalisierung und den Abbau des LDL-Rezeptors zuständig. Wenn durch Antikörper die PCSK9-Mo- leküle blockiert werden, kommt es zu keiner Internalisierung des LDL-Rezeptors und somit zu mehr LDL-Rezeptoren an der Leberoberfläche und damit zu einem schnelleren Internalisieren von LDL in die Leber. Für Alirocumab und für Evolocumab gibt es zwei positive kardiovaskuläre Outco- me-Studien. Ein weiterer neuer PCSK9-Hemmer ist Inclisiran. Inclisiran funktioniert über den Mechanismus des RNAi-Silencing. Sowohl die PCSK9- Antikörper wie auch Inclisiran müssen subkutan appliziert werden, die Ersten ein- bis zweimal pro Monat, Inclisiran einmal pro halbem Jahr. Unser Ziel sollte es sein, die Patienten zumindest über das Risiko von erhöhten LDL-C-Spiegeln und über die therapeutischen Möglichkeiten aufzuklären.
Alternative Therapien
Durch Bewegung, Gewichtsreduktion und Sport können durchaus effektive LDL-C-Senkungen erreicht werden. Grosso modo kommt es über die längere Lebensspanne aber immer wieder zu einem Anstieg von LDL. In großen Studien konnte gezeigt werden, dass durch Lebensstilmaßnah- men der LDL-C-Wert ca. bis maximal 15 % gesenkt werden kann. Erhöhte LDL-C-Spiegel sind zu 70 % polygenetisch festgelegt.
Für alternative Therapien konnte in einer aktuellen Studie kein Effekt nachgewiesen werden. Untersucht wurden Fischöl (2.400 mg), Zimt (2.400 mg), Knoblauch mit 5.000 mcg Allicin, Kurkuma (4.500 mg), Pflanzensterine (1.600 mg) und Roter Hefereis (2.400 mg).
Bezüglich HDL muss gesagt werden, dass alle Werte über 55 mg/dl scheinbar keinen weiteren Nutzen bringen. Neue Studien zeigen allerdings, dass wir beim HDL sehr viel dysfunktionales HDL haben und wir daher in der diagnostischen Genauigkeit noch den wissenschaftlichen Erkenntnis- sen hinterherhinken. Hier wird es sicher in Zukunft einige neue Daten geben.
Lipoprotein(a) ist ein isolierter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Zirka 20 % der Bevölkerung haben einen Lp(a)-Spiegel > 50 mg/dl, 5 % haben einen Lp(a)-Spiegel > 100 mg/dl. Das Risiko, mit erhöhtem Lp(a)-Spiegel ein kardiovaskuläres Ereignis zu bekommen, steigt um ca. 20 bis 90 % in aktuellen Studien. Lipoprotein(a) hat viele verschiedene Mechanismen, mit dem es den Körper negativ beeinflussen kann, so wirkt es proinflammatorisch, proatherogen und prothrombotisch. Das Risiko für eine atherosklerotisch kardiovaskuläre Erkrankung steigt linear mit dem Lp(a)-Spiegel an.
In einem neuen Konsensus-Statement für Lp(a) wurde festgestellt, dass Lipoprotein(a) kein Risikofaktor für venöse Thrombosen ist, dass Lp(a) al- lerdings ein Risikofaktor für Aortenklappenstenosen darstellt. Lp(a) kann derzeit noch nicht aktiv gesenkt werden. PCSK9-Hemmer führen zu einer 20%igen Lp(a)-Senkung. Hier ist der Mechanismus noch nicht geklärt. Neue Medikamente zur Lp(a)-Senkung sind im Stadium der Phase III.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass cholesterinsenkende Maßnahmen zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen führen. Man sollte die Patienten ausreichend darüber aufklären und ihnen die verschiedensten therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung stellen.