Die erste und bislang einzige Prädiabetesambulanz im deutschsprachigen Raum in Wien hat erstmals Evaluie- rungsdaten vorgelegt. Daraus lässt sich gut erkennen, dass mit einem frühzeitigen Screening- und Interventi- onsprogramm der Ausbruch von Diabetes mellitus II nicht nur signifikant verzögert, sondern vielfach sogar ganz verhindern werden kann.
Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, appellierte wieder einmal an die verantwortlichen Gesundheitspolitiker, den unbestreitbar vorhandenen Defiziten der heimischen Vorsor- ge- und Präventionsmedizin endlich mit entsprechenden Investitionen und Steuerungsmaßnahmen entge- genzuwirken: „Insgesamt hinken wir in der Prävention gehörig nach: 2 % der Gesundheitsausgaben für Prä- ventivmaßnahmen reichen einfach nicht aus.“ Er stützt sich dabei auf Daten des Rechnungshofes. Szekeres anerkennt zwar Willen und Bereitschaft der neuen Bundesregierung, hier Verbesserungen anzustreben, bleibt aber zurückhaltend, was die politische Umsetzung betrifft. Schließlich seien ähnliche Ziele „nicht zum ersten Mal in einem Regierungsprogramm zu finden“. Tatsächlich passiert sein bislang aber viel zu wenig.
Die Folgen der mangelhaften Präventionspolitik werden nicht zuletzt in den epidemiologischen Diabetes-Daten deutlich: 8 % der Bevölkerung leiden an Diabetes, 90 % davon an Diabetes melli- tus II. Betroffen sind immer mehr Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, derzeit bereits über 3.000. Die meisten von ihnen leiden an Insulinmangeldiabetes, der Anteil an stark übergewichti- gen Kindern nimmt allerdings zu, was zum Teil bereits zu Diabetes mellitus II im Kindesalter führt.
Kosten von Diabetes
Neben dem persönlichen Leid für die Betroffenen ergeben sich aus der massiven Zunahme an Diabetes-Erkrankungen auch massive volkswirtschaftliche Konsequenzen. Diabetes mellitus ist eine der teuersten chronischen Erkrankungen und verursacht Gesundheitskosten, die je nach Vor- handensein von Folgekrankheiten um 30 bis 400 % über jenen eines Nichtdiabetikers liegen. Der- zeit werden die direkten Kosten des Diabetes und seiner Folgekrankheiten in Österreich auf 4,8 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Exakte Zahlen existieren in Österreich nicht, die Anzahl wird derzeit über Arzneimittelbezüge der Krankenversicherungen errechnet. Für 2030 prognostiziert die Österreichische Diabetesgesellschaft jedenfalls Kosten von mehr als acht Milliarden Euro.
Durch eine systematische Vorsorge – ein Screening-Programm mit anschließender Lebensstil-In- tervention, vor allem Abnehmen, mehr Bewegung, Kontrolle des Blutdrucks und der Blutfettwerte – könnten die genannten Zahlen dramatisch verringert werden. Die vom Gesundheits- und Vorsor- gezentrum der KFA (Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien) präsentierten Zah- len zeigen dies deutlich. Bei der Auswertung von 303 Jahreskontrollen aus dem Jahr 2019 konver- tierten in der Prädiabetes-Ambulanz lediglich 0,3 % der Patienten von einem Prädiabetes- in einen Diabetes-mellitus II-Status. Demgegenüber liegt die Einjahresprogressionsrate (bei Nicht-Interven- tion) laut internationaler Studien zwischen 5 und
20 %. „Die aktuellen internen Auswertungen unseres Gesundheits- und Vorsorgezentrums belegen deutlich den Nutzen der Maßnahmen für unsere Patienten“, resümmiert Prim. PD Dr. Robert Win- ker, Ärztlicher Leiter des Gesundheits-und Vorsorgezentrums der KFA.
Ganzheitliches Behandlungsprogramm
Auch Winkers Stellvertreterin und Initiatorin der Prädiabetes-Ambulanz OÄ Dr. Evelyne Wohlschlä- ger-Krenn ist von der Wirksamkeit des Vorsorgeprogrammes, an deren Entwicklung sie selbst maßgeblich mitgearbeitet hat, überzeugt: „Diabetes entwickelt sich zunehmend zu der Volkskrank- heit Nummer eins – das ist die schlechte Nachricht. Es gibt aber auch eine gute: Wenn man durch rechtzeitige Vorsorge die Betroffenen im noch symptomfreien Vorintervall vor Diabetes identifiziert und eine entsprechend wirksame Intervention setzt, dann kann man den Ausbruch des Diabetes lange hinauszögern oder vielleicht sogar verhindern.“ Das größte Problem dabei ist, potenziell Diabetes-Gefährdete rechtzeitig zu erreichen. Selbst 300.000 der rund 800.000 Diabetiker wissen nämlich gar nichts von ihrer Erkrankung, weil bei Diabetes anfangs kaum Symptome auftreten. Noch viel höher ist der Anteil der Nicht-Diagnostizierten bei den zusätzlich 700.000 Prädiabeti- kern. In diesem Stadium, das in der Regel fünf bis 15 Jahre vor Ausbruch des Diabetes beginnt, hätte man laut Wohlschläger-Krenn ein „langes Vorstadium zur Verfügung, wo man die Menschen stabil halten kann bzw. das auch reversibel ist.“
Das KFA-Gesundheits-und Vorsorgezentrum führt pro Jahr rund 10.000 Gesundenuntersuchungen durch. Tritt ein Prädiabetes-Verdacht auf, werden die KFA-Versicherten zeitnah in die Prädiabetes- Ambulanz weitergeleitet. Die ärztliche Tätigkeit dort ist darauf ausgelegt, Spätkomplikationen des Diabetes mellitus II, die meist schon in der Prädiabetes-Phase ihren Anfang nehmen, möglichst früh zu erkennen. Daher inkludieren die Tests viele Untersuchungen, die auch bei bereits diagnos- tiziertem Diabetes mellitus II State of the Art sind, unter anderem regelmäßige Augenkontrolle, Fuß- status, Kontrolle der Nieren- und Cholesterinwerte, Abklärung Fettleber oder Erstellung eines kar- diovaskulären Risikoprofils. Ziel des anschließenden fünfwöchigen Programms ist es, das Ver- ständnis der Betroffenen für ihre Stoffwechselstörung zu fördern, Ernährungs- und Bewegungsum- schulungen zu organisieren und mithilfe psychologischer Supervision erlernbare Verhaltensände- rungen ganz gezielt herbeizuführen.
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