MEDIZIN | Allergie
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Modernes Management
der allergischen Rhinitis
Fast jeder Vierte in der Bevölkerung ist von allergischer Rhinitis betroffen. 40 % der Pa- tienten leiden zusätzlich unter Asthma. Früh mit einer adäquaten Therapie zu beginnen ist das Ziel, um die Erkrankungsprogredienz in den Griff zu bekommen.
Abb. 1: Vordere Nasenendoskopie mit dem
typischen Bild einer allergischen Rhinitis: Ödematöse Schwellung der unteren Nasen- muscheln ohne Strukturanomalien
und wässrige (!) Sekretion
Die allergische Rhinitis (AR) ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen unserer Zeit. Aktuell leiden etwa 150 Millionen EU-Bürger an allergi- schen Erkrankungen, davon etwa 100 Millionen Patienten an allergischer Rhinitis und 70 Millionen an Asthma. Experten gehen davon aus, dass die Sensibilisierungsraten in den nächsten Jahren von derzeit 25 bis 40 % auf über 50 % weiter steigen werden. Laut aktuellen Schätzungen beträgt die volkswirtschaftliche Belastung der AR in Europa etwa drei Milliarden Euro jährlich, und eine angemessene und leitliniengerechte Betreuung, die momentan nur etwa 10 % der allergischen Patienten erhalten, würde jährlich indirekte Kosten von 55 bis 151 Milliarden Euro in der EU vermeiden. Die Erkrankung betrifft, beginnend etwa ab einem Alter von vier Jahren, alle Altersgruppen und stellt ungeachtet der auslösenden Allergenquelle eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar. 40 % der Rhinitiker entwickeln im Laufe ihres Lebens Asthma. Umfragen zufolge fühlen sich Be- troffene jeden Alters in ihrer Lebensqualität deutlich eingeschränkt, wobei hier besonders die Beeinträchtigung der Schlafqualität, der Leistungsfä- higkeit und des Soziallebens hervorgehoben werden. Über 50 % der erwachsenen Patienten und ein Drittel der Kinder geben ihre Symptome als moderat bis schwer und die bisherige Therapie als unbefriedigend an und streben nach Beschwerdefreiheit.
Klinisches Bild ist vielfältig
Die allergische Rhinitis ist eine symptomatische Überempfindlichkeitsreaktion der Nase, die infolge Allergenexposition durch eine IgE-vermittelte Entzündung der Nasenschleimhaut induziert wird. Sie wird in der Regel von Inhalationsallergenen wie saisonalen Pflanzenpollen (vor allem Gras- und Baumpollen) und von ganzjährig vorkommenden Hausstaubmilben, Pilzsporen und Tierepithelien ausgelöst. Um den zugrundeliegenden Ent- zündungsmechanismen gerecht zu werden, unterscheidet man heute nicht mehr zwischen saisonaler und perennialer Rhinitis, sondern zwischen intermittierender, die weniger als vier Tage pro Woche und weniger als vier Wochen pro Jahr andauert, und persistierender Rhinitis bei einer Be- schwerdedauer, die darüber hinausgeht.
Das klinische Bild stellt sich sehr vielfältig dar: neben den typischen Leitsymptomen Juckreiz der Nase, Niesreiz, Rhi- norrhoe und nasaler Obstruktion berichten Patienten sehr häufig von Augenjucken, Augentränen und Konjunktivitis, Juckreiz in Rachen und Ohren. Bei persistierender, chroni- scher Rhinopathie, die klinisch oft unspezifisch bleibt, ist neben chronischer nasaler Obstruktion mit Hyposmie, Rhonchopathie, Dyspnoe, einer Tubenventilationsstörung und einer Neigung zu Sinusitis zu rechnen. Differentialdia- gnostisch wären a priori infektiöse Rhinopathien und ande- re entzündliche Nasenschleimhautaffektionen anzudenken.
Für die Therapieplanung ist der Schweregrad der klini- schen Symptomatik zu berücksichtigen. Als milde Form wird die AR dann bewertet, wenn die Symptome des Pati- enten keine Einschränkungen mit sich bringen. Leiden die Betroffenen neben Symptomen, die sie als störend empfin- den, an Beeinträchtigungen durch Schlafstörungen, im All- tag oder in Schule und bei der Arbeit, wird der Schwere- grad als mäßig bis schwer bewertet (Abbildung 2).
Diagnostik in der Praxis
Im Praxisalltag stützt sich die Diagnostik auf die allergiespezifische Anamnese, ohne die nachfolgende diagnostische Tests nicht interpretiert wer- den können, den Skin-Prick-Test und den serologischen IgE-Nachweis. Nach Bedarf und Verfügbarkeit kann ein nasaler Provokationstest die klini- sche Relevanz der Sensibilisierung nachweisen.
Skin-Prick-Tests (SPT) sind ein zuverlässiges und kostengünstiges Werkzeug für die Diagnose der AR. Sie können in jedem Lebensalter auf intakter Haut durchgeführt werden, korrelieren gut mit der klinischen Reaktivität der Betroffenen und werden üblicherweise unter standardisierten Bedin- gungen mit kommerziell erhältlichen Extrakten oder mit nativen Substanzen durchgeführt. Ein Ergebnis liegt in wenigen Minuten vor und liefert ein gutes Bild über die aktuelle Reaktionsbereitschaft des Patienten.
Die In-vitro-Diagnostik ist nützlich bei der Identifizierung der krankheitsauslösenden Allergenquellen und umfasst in der Regel nicht nur die Bestim- mung des Gesamt-IgE zur Abschätzung der allergischen Reaktionsbereitschaft, sondern auch die Erfassung allergenspezifischer IgE-Antikörper. Diese können mithilfe von Tests, basierend entweder auf Extrakten der Allergenquellen oder auf nativen sowie rekombinant hergestellten Einzelall- ergenen, sogenannten Komponenten, eruiert werden. Diese molekulare Allergiediagnostik hat einen Mehrwert bei Patienten mit mehreren Allergi- en, da die Kenntnis des Sensibilisierungsmusters sowie das Wissen um die Bedeutung der jeweiligen Allergene für die klinische Symptomatik erst eine sinnvolle und spezifische Therapieplanung, zum Beispiel die Auswahl passender Immuntherapeutika erlauben. Da durch Hauttestungen und den Nachweis von spezifischem IgE nur eine Sensibilisierung aufgezeigt werden kann, ist erst die eindeutige Anamnese beweisend für die Dia- gnose AR. Bei Personen mit unklarer Anamnese und vermuteter stummer Sensibilisierung kann der nasale Provokationstest die klinische Relevanz der Sensibilisierung beweisen.
Therapeutische Optionen
Da es sich bei der AR um eine Erkrankung handelt, die chronisch progredient ver- läuft und sowohl individuell als auch sozioökonomisch eine erhebliche Belastung darstellt, kommt einer schnellen und effizienten Therapie eine immense Bedeutung zu. Aufgrund der oft unspezifischen Beschwerden verzögern sich korrekte Diagnose- stellung und effektive Therapie leider um Jahre, weswegen dem Vertrauensarzt als Gatekeeper eine besonders wichtige Rolle zukommt.
Eine wesentliche Maßnahme, die allerdings in Abhängigkeit vom Allergieauslöser nur bedingt bis gar nicht durchführbar sein kann, ist die Vermeidung der Allergenexposi- tion, also die Allergenkarenz. Diese wird mit dem Patienten individuell nach den ge- gebenen Möglichkeiten besprochen und umgesetzt. Für die Erstversorgung und die akute Symptomkontrolle spielt die pharmakologische Intervention eine große Rolle bei der Behandlung der allergischen Rhinitis, insbesondere, da die Primärversor- gung nach wie vor durch den praktischen Arzt stattfindet. Eine ganze Reihe an Sub- stanzgruppen lindert effektiv die Symptome, unterscheidet sich allerdings nennens- wert in ihrem Wirk- und Nebenwirkungsprofil. Antihistaminika der zweiten Generation sind oft Therapeutika erster Wahl, da sie kostengünstig und prinzipiell in jedem Alter
anwendbar sind. Die klinische Wirkung ist bei topischer und systemischer Anwendung vergleichbar und deckt suffizient die Histamin-induzierten Symptome Juckreiz, Niesreiz und Rhinorrhoe, aber nicht die nasale Obstruktion infolge der zellulären Entzündungsreaktion ab. Sehr benutzer- freundlich sind die einmal tägliche und die bedarfsorientierte Anwendung sowie der schnelle Wirkeintritt innerhalb einer halben Stunde.
Die am zweithäufigsten verordnete Substanzgruppe sind die Steroide, welche bei allergischer Rhinitis bis auf Aus- nahmefälle üblicherweise lokal als Dauertherapie verordnet werden. Diese beeinflussen sowohl den humoralen als auch den zellulären Schenkel der Immunreaktion und sind daher wirksam bei allen Symptomen der allergischen Rhinitis so- wie assoziierter Erkrankungen. Die modernsten topischen Präparate besitzen neben einer großen Wirkpotenz wegen ihrer fehlenden Bioverfügbarkeit auch ein sehr gutes Sicher- heitsprofil, das die Anwendung in jedem Lebensalter er- laubt. Die Formulierung der neuen Präparate ermöglicht eine einmal tägliche Anwendung vergleichsweise geringer Wirkstoffkonzentrationen. Da die klinische Wirkung nicht un- mittelbar eintritt, sondern sich über die ersten Tage der An- wendung aufbaut, sind topische Steroide als Bedarfsmedi- kation nicht geeignet. Sehr effizient und anwenderfreundlich sind topische Kombinationen von Antihistaminika und Stero- iden, die sich durch deutliche Additiveffekte auszeichnen.
Das bedeutet, die klinische Wirksamkeit der Kombinatio- nen, die oft nur die Hälfte der Wirkstoffkonzentration der Monopräparate enthalten, ist genauso gut wie die der Mo- nosubstanzen. So kann das Wirkspektrum des Antiallergi- kums durch die Kombination eines Antihistaminikums mit einem Steroid deutlich erweitert werden. Topische und systemische Sympathomimetika können aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nur als vorübergehende Additivthe- rapie bei prädominanter nasaler Obstruktion angewendet werden. Hierbei sind die Kontraindikationen zu beachten. Anticholinergika kommen zum Einsatz bei ausgeprägter Rhinorrhoe jedweder Ursache, müssen aber mehrmals täglich angewendet werden.
Die Verfügbarkeit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Wirkstoffe in verschiedenen Zubereitungen ermöglicht die Anpassung der Pharmakotherapie an die individuellen Be- dürfnisse des Patienten. Analog zum Vorgehen bei Asth- ma wird die Therapie in einem „Step-up“- oder „Step-
down“-Schema an den Schweregrad der Beschwerden des Patienten angepasst (Abbildung 3). Verschlechtert sich die Symptomatik, wird die Be- handlung mit den Substanzen oder Substanzkombinationen der nächsthöheren Stufe angepasst. Nur bei Beschwerdefreiheit kann die Therapie re- duziert werden. Eine Immuntherapie (SIT) wird bei persistierenden sowie moderaten bis starken Beschwerden empfohlen.
Die spezifische Immuntherapie (SIT) wird vom Facharzt verordnet und ist die einzige quasi „kausale“ Therapiemöglichkeit, da sie die Erkrankungs- progredienz verhindern kann und Langzeiteffekte oft noch viele Jahre nach Therapieende nachweisbar sind. In vielen Fällen lassen sich die Zunah- me von Sensibilisierungen im Verlauf der Erkrankung sowie der Etagenwechsel einer AR hin zum allergischen Asthma durch die Immuntherapie ver- meiden. Ihre Wirksamkeit ist für die AR genauso wie für allergisches Asthma bronchiale und Bienen- oder Wespengiftallergie belegt und bei starken Beschwerden besonders ausgeprägt. Die SIT sollte möglichst früh im Krankheitsverlauf begonnen werden und kann bereits bei Kindern ab dem 5. bis 6. Lebensjahr durchgeführt werden. Nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht ist die spezifische Immuntherapie sinn- voll. Sie ist auf lange Sicht weniger kostenintensiv als eine Standard-Pharmakotherapie, wobei die Kosteneffizienz bei Berücksichtigung der indirek- ten Krankheitskosten sogar noch ausgeprägter sein dürfte. Hierbei spielt neben dem therapeutischen Aspekt auch der präventive Effekt der SIT eine wesentliche Rolle.
Am Markt erhältlich sind subkutane (SCIT) und sub- linguale (SLIT) Darreichungsformen. Beide Formen der spezifischen Immuntherapie sind gleichermaßen effektiv und sicher, wobei Wirksamkeit und Sicherheit spezifisch für jedes Präparat dokumentiert sind. Die Entscheidung für die eine oder die andere Applikati- onsform wird individuell in Absprache mit dem Pati- enten oder der Betreuungsperson getroffen und hängt von der besten Integrierbarkeit in den Lebens- alltag ab (siehe Therapieschemata in Abbildung 4). Auch bei Verschreibung einer SLIT, die der Patient selbständig durchführt, ist aus Gründen der Optimie- rung der Therapieadhärenz einmal pro Quartal ein Feedback zum Therapieverlauf anzustreben. Die SCIT wird in der Ordination verabreicht, und der Pa- tient bleibt jedenfalls 30 Minuten zur Nachbeobach- tung vor Ort. Systemische Unverträglichkeitsreaktion sind nicht vollständig ausschließbar, weswegen ein adäquates Notfallmanagement zu schaffen und auf- rechtzuerhalten ist.
Zusammenfassung
Die allergische Rhinitis bedeutet für die Be- troffenen eine erhebliche Einschränkung ih- rer Lebensqualität, unabhängig davon, ob sie durch eine Pollenallergie oder durch ganzjährige inhalative Allergenquellen aus- gelöst wird. Um die Erkrankungsprogression einzudämmen, ist eine frühe Intervention an- zustreben – hier fungiert der Vertrauensarzt als wichtiger Gatekeeper. Sowohl diagnos- tisch als auch therapeutisch steht eine Reihe einander ergänzender Optionen zur Verfü- gung, die problemlos in den Praxisalltag in- tegrierbar sind. Diagnostisch gilt es, die Auslöser der AR sicher zu identifizieren und adäquat zu behandeln, wobei in der suppor- tiven Pharmakotherapie der subjektive Lei- densdruck die Anpassung des Stufensche- mas erlaubt. Das Langzeitziel, das nur durch die spezifische Immuntherapie erreicht wer- den kann, ist die Prävention von Asthma und weiteren Sensibilisierungen und Allergien.