REHABILITATION | Chronischer Schmerz
In speziellen Workparks® kann nahezu jede berufliche Tätigkeit – von manuellen bis
sitzenden Berufen – simuliert werden.
Schmerzrehabilitation aus Sicht der
Pensionsversicher- ungsanstalt
FotoS: Pensionsversicherungsanstalt
Chronische Schmerzen sind häufige Ursachen für eine eingeschränkte Lebensqualität von Patienten, ihre soziale Isolation und auch nicht zu unterschät- zende Ursache für eine vorzeitige Berufsunfähigkeit.
Die volkswirtschaftliche Belastung ist beträchtlich, da die Betroffenen meist jüngeren Alters sind und durch den Ausfall aus dem Berufsleben und die notwendigen Behandlungskosten eine enorme Folgewirkung für das Gesundheitssystem entsteht. Dies sind vor allem indirekte Kosten wie ver- lorene Arbeitstätigkeitsjahre, Arbeitsunfähigkeit sowie der Anfall von Sozial- und Pensionsleistungen. Deutsche Untersuchungen ergaben, dass für 10 % aller krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten chronische Schmerzen verantwortlich sind. Wahrscheinlich ist von ähnlichen Zahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung auch in Österreich auszugehen.
Viele Betroffene
Dieses doch durchaus relevante Problem aus gesundheitspolitischer Sicht benötigt neue Wege der Betreuung in einem Gesamtkonzept. Eine Re- habilitation alleine ohne integrierte langfristige Betreuung ist sicherlich nicht zielführend und kann nur multifaktoriell betrachtet und gelöst werden. Die derzeitige, teils nicht vernetzte und nicht ineinandergreifende Organisation im Gesundheitswesen, eine zu starke Fokussierung auf die akutme- dizinische Betreuung mit reiner Funktions- und Schmerzreduktionsorientierung sowie der verzögerte Therapiebeginn scheinen aber eine wesentli- che Rolle für diese Entwicklung zu spielen. Daraus resultiert eine Vielzahl an teils unnötigen und mehrfach durchgeführten Untersuchen, invasiver Diagnostik, Mehrfachkonsultationen verschiedener Ärzte und eine sehr lange Leidensdauer.
Der Behandlungsschwerpunkt des „unspezifischen Rückenschmerzes“ sollte heute nicht mehr in passiv-reaktiven Interventionen liegen, sondern in Richtung komplexer Behandlungsprogramme gehen, die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit sowie Teilhabemöglichkeit als zentrale Be- handlungsziele darstellen. Dennoch ist diese Art von umfassenden Programmen im österreichischen Raum zu wenig etabliert. Auch die Datenlage ist bisher sehr eingeschränkt, insbesondere in Bezug auf die Effizienz von spezifischen Rehabilitationsprogrammen. Dem gegenüber steht eine sehr große Anzahl an Betroffenen, die unter chronischen Beschwerden an der Wirbelsäule leiden und oft sekundär in ihrer psychischen, sozialen und beruflichen Befindlichkeit und Teilhabemöglichkeit zunehmend beeinträchtigt sind.
Früher Therapiestart
Ein suffizienter „Early-Intervention“-Ansatz basierend auf einer möglichst raschen, auf dem bio-psycho-sozialen-Modell beruhenden Betreuung wäre ein erster Schritt, rasch bereits frühe Krankheitsverläufe zu erkennen und in einem suffizienten Case-Management zu betreuen. Der Zeitpunkt des Therapiestarts ist der Schlüsselfaktor für den Erfolg. Beim Erfolgsparameter „Rückkehr zum Arbeitsplatz“ zeigt sich, dass bei einer Erkran- kungsdauer von bis zu sechs Monaten 50 % der Patienten in den Arbeitsprozess rückgeführt werden können. Bei einer Erkrankungsdauer von 24 Monaten liegt der Prozentsatz deutlich darunter. Im Rahmen eines Pilotprojektes wurde im Rehabilitationszentrum Bad Schallerbach der PVA ein stationäres Therapiekonzept für chronische Schmerzpatienten erarbeitet und kontinuierlich in Qualität und Ausmaß weiterentwickelt. Für das statio- näre Setting wurde eine enge Kooperation mit den zuweisenden Stellen wie auch nachbetreuenden wohnortnahen Institutionen im Sinne eines inte- grierten Behandlungsprozesses als am zielführendsten bestätigt.
Es erfolgten eine Intensivierung der Kontakte mit den Stakeholdern, eine Therapiemodulentwicklung, eine einheitliche Vortragserstellung, das Ein- pflegen der entsprechenden therapeutischen Maßnahmen im Terminplanungssystem des Rehabilitationsinformationssystems, Personalausbildun- gen und Schulungen.
Das rechtzeitige Erkennen von gefährdeten Patienten erscheint besonders schwierig, wes- halb als Basis die beim Krankenversicherungsträger vorhandenen Programme wie das „Ear- ly-Intervention“-System dienen könnten, um mittelfristig möglichst viele Patienten bereits in der subakuten Phase (Schmerzdauer 5 bis 12 Wochen) – also vor Entwicklung eines chroni- schen Schmerzsyndroms – zu erkennen und einer Betreuung zuzuführen. Eine gezielte Wirk- samkeit einer interdisziplinären Rehabilitation ist zu erwarten, wenn:
•therapeutische Leistungen mit hoher Intensität und Umfang durchgeführt werden, die ge- mäß dem bio-psycho-sozialem Modell den individuellen Bedürfnissen der Patienten entspre- chen und durch multiprofessionelle Zusammenarbeit gekennzeichnet sind.
•Bewegungstherapien als gezielte Programme zum Abbau von Bewegungsangst, zur Ver- mittlung von Bewegungskompetenzen und positiven Bewegungserfahrungen sowie zur kör-
perlichen Konditionierung angeboten werden, die zudem auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz und zu normalen Alltagsaktivitäten ausgerichtet sind und durch entsprechend interdisziplinär ausgebildete Bewegungstherapeuten oder ein interdisziplinäres Team betreut werden.
•kognitiv-behaviorale und edukative Behandlungsbausteine sowie Stressmanagementtechniken im Hinblick auf die Bewältigung von Schmerzen und verhaltenstherapeutische Interventionen angeboten werden.
Ziele der Rehabilitation
Die Zielsetzungen einer entsprechenden Rehabilitation sind die Reduktion von Bewegungsangst, die Veränderung psychologischer Risikofaktoren wie zum Beispiel Schon- oder Durchhalteverhalten, depressive Stimmungen und ein inadäquater Umgang mit Schmerzen (Schmerzbewertung, Schmerzkommunikation, Schmerzbewältigung, subjektives Beeinträchtigungserleben usw.) sowie der Abbau körperlicher Dekonditionierungszu- stände. Ein essenzielles Ziel der PVA ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und die Förderung der schnellen Rückkehr an den Arbeitsplatz mit einer Wiederaufnahme von Alltagsaktivitäten und die Hinführung zu einer eigenständig durchgeführten gesundheitssportlichen Aktivität.
Den Patienten muss von Beginn der Rehabilitation an dieses Ziel klar sein, sodass in enger Zusammenarbeit mit dem gesamten Behandlungsteam auch Rückfälle bei erneutem Auftreten einer Rückenschmerzepisode als neuerliche Herausforderung betrachtet werden können.
Inhaltlich muss die Rehabilitation den Patienten vermitteln, dass nicht die Schmerzorientierung, sondern die Teilhabeorientierung im Vordergrund des körperlichen Trainings steht, das langsam und kontinuierlich gesteigert wird. Die Vermittlung inhaltlich einfacher, aber plausibler Informationen dient der Motivation und Verstärkung für die Zielerreichung. Ebenso wichtig ist ein ausführliches Feedback und die frühzeitige Einbindung von All- tags- und Arbeitsbewegungen in das Therapiekonzept.
Voraussetzung ist, dass im Therapieprozess das gesamte Behandlungsteam eine gemeinsame Strategie verfolgt und eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich gewählter Erklärungsmodelle und Vermittlungsinhalte bezüglich des Umgangs mit dem Schmerz sowie in der Kommunikation mit Pati- enten aufweist!
Diese Behandlungsstrategie beruht auf einer verhaltensmedizinisch orientierten Rehabilitation im Sinne einer multimodalen Schmerztherapie mit- tels ressourcenorientiertem bio-psycho-sozialen Ansatz. Alltagstaugliche stabile Lebensstiländerungen der Rehabilitanden sollen initiiert werden, die auf deren individuellen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten basieren. Dadurch soll das Selbstmanagement im Umgang mit Krank- heit und Behinderung gefördert und Kompensationsmöglichkeiten erlernt werden.
Stärkung psychischer und sozialer Ressourcen
Evidenzbasierte internationale Rahmenvorgaben sowie die Deutschen Reha-Therapiestandards chronischer Rückenschmerz wurden mit Bewe- gungstherapie, funktionellen und arbeitsweltbezogenen Therapien, krankheitsspezifischer Patientenschulung, Gesundheitsbildung, ernährungsthe- rapeutischen Leistungen, psychologischen Interventionen, Entspannungsverfahren, Schmerzbewältigung, Leistungen zur sozialen und beruflichen Integration, Massage und Vorbereitung nachgehender Leistungen (z. B. weiterführende ambulante Rehabilitation) umgesetzt.
Die therapeutischen Inhalte der bewegungstherapeutischen Leistungen haben die Anbahnung, Übung und Training zur (Wieder-) Herstellung von physischen Funktionen, Belastbarkeit und Trainierbarkeit, Stärkung physischer Ressourcen/Funktionen (Kraft, Ausdauer, Koordination, Beweglich- keit) und Vermittlung von Aktivitäten (z. B. ADL, sport- und berufsbezogene Bewegungskompetenzen) zum Ziel.
Weitere essenzielle Eckpunkte sind die Stärkung psychischer und sozialer Ressourcen durch positive und nachhaltig umsetzbare Bewegungserfahrungen, bewegungsbezoge- ne Selbstwirksamkeitserfahrungen und der Aufbau von Bewegungs- und Steuerungs- kompetenz zur Bindung an einen körperlich aktiven Lebensstil. Funktionelle und arbeits- weltbezogene Therapien folgen gemäß der ICF dem individuellen Bedarf, den persönli- chen Ressourcen, den Kontextfaktoren, der Motivationslage und den Leistungsgrenzen. In einem abgestimmten Training von Fertigkeiten werden Selbstwirksamkeit, Ausdauer und Durchhaltevermögen anhand von für die Patienten relevanten Tätigkeiten mit hohem Alltags- und Arbeitsbezug vermittelt. Besonders wichtig ist das stufenweise Heranführen an die Grundanforderungen des Alltags- und Arbeitslebens, die Konsolidierung basaler Arbeitsfähigkeiten und je nach Berufsfeld und Arbeitssituation eine Stärkung der berufli- chen Handlungskompetenz.
Berufliche Tätigkeit simulieren
Ein besonderes therapeutisches Tool des Rehabilitationszentrums ist das Arbeitssimulationstraining im Rahmen des Programmes RehaJET II® der PVA (Rehabilitation für Job, Erwerbsfähigkeit und Teilhabe). In speziellen Workparks® kann nahezu jede berufliche Tätigkeit von manuellen bis sitzenden Berufen simuliert werden. Gemäß bio-psycho-sozialem Krankheitsmodell müssen neben den körperlichen Aspekten der Schmerz- problematik u. a. auch emotionale, kognitive, soziale oder arbeitsplatzbezogene Faktoren berücksichtigt werden, welche mittels spezieller Scree- ning-Instrumente erhoben werden.
Motivation, Empowerment, eine gesundheitsförderliche Lebensführung sowie psychologische Unterstützung der Krankheitsbewältigung werden vermittelt. Wichtige Themen sind Trainingstheorie und ressourcenorientiertes Training sowie der Transfer in den Alltag, aktiver Bewegungsaus- gleich und eine realistische Zielsetzung. Diese Ziele sind einerseits, über das gezielte körperliche Training Schmerzbeschwerden zu mildern und
einen guten funktionellen körperlichen Zu- stand herzustellen, andererseits den Pati- enten Übungs- und Trainingsmöglichkeiten zu vermitteln, die selbstständig und vor al- lem auch nach Ende der Rehabilitation weiterführend verwendet werden, um lang- fristig die Erwerbsfähigkeit erhalten und eine drohende Berufsunfähigkeit oder eine Pflegebedürftigkeit verhindern zu können. Diese Therapiemaßnahmen sollten frühzei- tig im Rahmen einer stationären oder am- bulanten Rehabilitation eingesetzt werden, um weitere Chronifizierung oder psychoso- ziale Folgebeeinträchtigungen wie oben beschrieben zu vermeiden.