foto: istockphoto/jusun, Foto: MUI/Bullock
Das HI-Virus (HIV, Human Immunodeficiency Virus) greift bestimmte Zellen (T-Lymphozyten) des menschli- chen Immunsystems an. Eine unbehandelte HIV-Infektion führt zum Verlust dieser Immunzellen und damit zu einer verminderten Funktionsfähigkeit des Immunsystems. Von AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) spricht man, wenn infolge einer solchen Abwehrschwäche durch HIV ganz bestimmte Krankheiten auftreten. Fast alle dieser Krankheiten kommen bei Menschen mit normalem Immunsystem nicht vor. Ähnlichkeiten zu SARS-CoV-2 und Covid-19 liegen insofern vor, weil auch bei diesen Infektionen T-Lymphozyten geschädigt werden.
Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es äußerst wirksame Therapien gegen HIV, mit denen AIDS verhindert wird und die Betroffenen bei guter Lebensqualität eine fast normale Lebenserwartung haben. Neueste Studien zeigen, dass die HIV-Therapie derart wirksam ist, dass HIV-positive Menschen grundsätzlich nicht mehr an- steckend sind, sofern sie ihre HIV-Therapie wie verordnet einnehmen und ihre Virenlast nicht mehr nachweis- bar ist. Die Therapien gegen das HI-Virus erweckten auch Hoffnungen, das neue Coronavirus SARS-CoV-2 gut zu bekämpfen. Was aus diesen Hoffnungen geworden ist, erklärt OA Ass. Prof. Dr. Mario Sarcletti, leiten- der Oberarzt des HIV/AIDS-Bereichs, Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
? Haben das HI-Virus und das SARS-CoV-2 Ähnlichkeiten?
Beide Viren sind RNA-Viren. Die RNA ist eine besondere Form des genetischen Codes, während wir Men- schen die DNA als genetischen Code haben. Trotzdem gibt es zwischen den beiden Virenarten ganz ent- scheidende Unterschiede: Bei beiden umgibt zwar eine Proteinkapsel die RNA, jedoch ist beim HIV der Ver- mehrungszyklus in der menschlichen Zelle komplexer. Ein weiterer Aspekt ist die unterschiedliche Anste- ckungsart. Während es bei dem HI-Virus vergleichsweise schwieriger ist, sich anzustecken, nistet sich das SARS-CoV-2 auch im Rachenraum ein und kann so, etwa durch Niesen oder Husten, viel leichter verbreitet werden. Im Gegensatz zu SARS-CoV-2 wird das HI-Virus nicht durch Tröpfcheninfektion übertragen.
? Was bedeuten diese Unterschiede in der Praxis?
Alle diese Viren brauchen in den Zellen einen Oberflächenmarker, das sind Ausstülpungen, um die Zelle zu erkennen und um dort einzudringen. Während sich nun das SARS-CoV-2 den ACE2-Rezeptor sucht, der auch hauptsächlich auf Lungenzellen zu finden ist, braucht hingegen das HI-Virus die sogenannte CD4-Ausstülpung auf den Zellen, um anzudocken. Auch in den Zellen reagie- ren die beiden Viren nur teilweise ähnlich: Grundsätzlich zwingen Viren, sobald sie ihre Erbsubstanz in die Zelle transportiert ha- ben, die Zelle viele Viren zu produzieren. Beide Viren richten gerade bei den T-Lymphozyten, dem zellulären Abwehrbereich, Schaden an. HIV macht es über Jahre hinweg relativ langsam und nur bei einer bestimmten T-Lymphozyten-Gruppe, den Helfer- zellen. Das HI-Virus programmiert die T-Lymphozyten um und breitet sich so im ganzen Körper aus. Das Besondere bei HIV ist, dass das Virus seine Erbsubtanz in den Zellen übersetzt und in unserer Erbsubstanz einbaut. Das ist in der Behandlung ein gro- ßes Problem, denn dieses eingebaute „Erbstück“ des Virus bekommt man aus unserer Erbsubstanz derzeit nicht mehr heraus. Das ist das Hauptproblem, weswegen HIV noch nicht heilbar ist. Das SARS-CoV-2 ist nicht fähig, seine Erbsubstanz in unsere ein- zubauen und die Infektion kann daher bei den meisten Menschen wirklich geheilt werden. Glücklicherweise verstärken sich HIV und SARS-CoV-2 nicht gegenseitig.
?Es wird in absehbarer Zeit auch keine HIV-Impfung geben, obwohl seit 40 Jahren das Virus erforscht wird. Ist eine SARS- CoV-2-Impfung schneller zu erwarten?
Wir wissen, dass nur eine Impfung HIV auf Dauer gänzlich bekämpfen kann, daher ist das Engagement bei der Entwicklung eines HIV-Impfstoffes seit Jahren extrem hoch. Die Herausforderung liegt in der biologischen Struktur der Viren. Wenn man es durch eine Impfung schafft, gegen das SARS-CoV-2 eine ausreichende Antikörperproduktion zustande zu bringen, dann ist davon aus- zugehen, dass sie vor dieser Virusinfektion schützen kann. Bei HIV ist zwar eine hohe Antikörperbildung vorhanden, das schützt allerdings trotzdem nicht vor einem Fortschreiten der Erkrankung. Das entscheidende Hindernis ist auch, dass HIV sehr variabel ist und enorm viele Mutationen aufweist. HIV verändert sich sogar in derselben Person ständig. Das erschwert die Angreifbarkeit durch eine Impfung. Das SARS-CoV-2 mutiert aber sehr viel seltener als HIV.
? Zu Beginn der Pandemie wurde versucht, HIV-Medikamente bei Covid-19 anzuwenden. Was wurde daraus?
Das liegt wiederum an den Gemeinsamkeiten der Viren: Beide Viren haben Proteasen, die im Verlauf des Vermehrungszyklus eine wichtige Rolle spielen – bei SARS 2004 wurde beobachtet, dass ein bestimmter HIV-Protease-Hemmer einen günstigen Effekt bei einer Infektion mit dem SARS-Virus hatte. Nun besteht immer noch die Hoffnung, dass dieser Protease-Hemmer auch auf SARS- CoV-2 hemmend wirkt. Es gab Berichte, dass unter dem HIV-Protease-Hemmer Kaletra Verläufe von SARS-CoV-2-Infektionen et- was günstiger waren, andere Berichte wiederum haben das nicht bestätigen können. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat aller- dings gezeigt, dass mit dem besagten Wirkstoff keine wesentliche Verbesserung im Vergleich zur Standardtherapie registriert wurde.(1) Die Proteasen der beiden Viren kommen zudem aus verschiedenen Protease-Familien. Sie sind in der Wirkung ähnlich, aber in der Struktur unterschiedlich. Das könnte die Erklärung sein, wieso das bei HIV wirksame Medikament bei SARS-CoV-2 nicht so wirksam ist.
? PCR-Testungen können beide Viren nachweisen. Wieso ist bei SARS-CoV-2 der Antikörpertest so schwierig?
Das Problem ist, dass es verschiedene Typen von Coronaviren gibt. Es gibt Corona-Antikörpertests, die nicht ganz klar zwischen harmlosen Coronaviren, von denen es auch einige gibt und die mit Erkältungserkrankungen einhergehen, und eben diesen ge- fährlichen Coronaviren, wie etwa dem SARS-CoV-2 unterscheiden können. Diese Spezifizität musste erst noch entwickelt werden. Allerdings sind die sicheren SARS-CoV-2-Antikörpertests schon bald auch in ausreichender Menge verfügbar.
?Sind HIV-Patienten besonders gefährdet?
Die Verbreitung der SARS-CoV-2-Infektion könnte nach den bisherigen Erfahrungen bei HIV-Infizierten ähnlich wie bei HIV-negati- ven Menschen sein. Wir haben bis jetzt auch keine Daten, die zeigen, dass HIV-infizierte Menschen anfälliger wären für die Er- krankung Covid-19 oder für besonders schwere Verläufe. Es könnte sogar sein, dass durch HIV abgeschwächte Abwehrmecha- nismen dem Zytokin-Sturm, der zu besonders schweren Verläufen von Covid-19 führt, entgegenwirken. Allerdings hängt ein höhe- res Risiko für schwere Verläufe von Covid-19 von bestimmten Faktoren, wie Alter oder bestimmten Vorerkrankungen, ab. Wenn man sich nun die Population der HIV-infizierten Menschen anschaut, ist mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt und ein großer Anteil bringt diese Zusatzerkrankungen, wie etwa Bluthochdruck, Lungenveränderungen oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit. Daher gilt grundsätzlich das Gleiche wie bei den nicht HIV-infizierten Menschen, nämlich die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen gewissenhaft einzuhalten.
rh
Quellen:
1) New England Journal of Medicine https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2001282?query=recirc_
curatedRelated_article