MEDIZIN | Schnelltest
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Die kleinen Wunder der Labordiagnostik
Analysen sollen auf immer kleinerem Raum, schneller und möglichst un- abhängig von einem großen Labor durchgeführt werden können. Ein Weg dahin ist die Miniaturisierung von komplexen laborchemischen Pro- zessen.
Ein „Lab on a Chip“(LoC) bezeichnet ähnlich wie bei einem elektronischen Mikrochip einen Schaltkreis von Kapillaren, die auf kleinstem Raum auf einem Träger angeordnet sind. Damit können Flüssigkeiten auf kleinstem Raum transportiert, aufgearbeitet und analysiert werden. Man findet LoC von wenigen Millimetern bis Zentimetern im Durchmesser, die schon Flüssigkeitsmengen von wenigen Pikolitern bewältigen können. LoC können als autonome Systeme funktionieren, meist sind sie aber in einem größe- ren System wie in einem Point-of-Care (POC)-Gerät, aber auch in großen Anaylsegeräten der konventionellen Labors integriert. LoC machen sich der Prinzipien der Mikrofluidik zunutze, diese beschreibt, wie sich Flüssigkeiten in kleinsten Systemen verhal- ten. Dadurch können Flüssigkeiten auf besondere Art gesteuert, gemischt, getrennt und anderweitig bearbeitet werden.
Vorteile von LoC-Systemen
Die wesentlichen Vorteile von LoC-Systemen sind, dass nur kleine Volumina von Testflüssigkeiten und Reagenzien zur Analyse notwendig sind, eine schnellere Analyse durch die kleineren passiv oder aktiv gesteuerten Analysewege möglich ist und durch kompakte und parallele Systeme viele Analysen gleichzeitig ablaufen können.
Das Lackmus-Papier ist eine der ältesten papierbasierten Analysesysteme. Aus diesem entwickelten sich die sogenannten „late- ral flow assays“ (LFA). Hier wandern Flüssigkeiten durch die Kapillarkräfte durch einen Streifen
Nitrozellulouse, auf welchem verschiedene Reagenzien aufgebracht sind. Typischerweise sind diese Reagenzien Antikörper, die auf die Anwesenheit bestimmter Moleküle reagieren. Diese Reaktion wird dann durch einen Farbumschlag, eine Floureszenzre- aktion, oder über eine elektrochemische Reaktion sichtbar gemacht. Substanzen können so rein qualitativ, aber auch semiquan- titativ über eine Farbskala gemessen werden. Schwangerschaftstests und Blutglukosetests sind die bekanntesten Vertreter die- ser Analysefamilie.
Die neueste Entwicklung papierbasierter Analysesysteme sind die sogenannten „microfluidic paper-based analytical devices“ (μPADs), die erstmals 2007 eingeführt wurden. Im Unterschied zu den herkömmlichen LFAs wird hier ein Muster an Kapillaren auf dem Papier aufgebracht, durch den ein gerichteter Fluss möglich wird. Dadurch können Flüssigkeiten auf unterschiedliche Art vorbereitet und komplexere Analysen durchgeführt werden. μPADs wurden bis heute für die Analyse vieler Biomarker wie NO2− in Speichel, Salmonellen, Hepatitis-C-Antikörper, Glukose, Ebola und andere Virus-DNA entwickelt. In den letzten Jahren sind hunderte Artikel zu neuen Entwicklungen von μPAD erschienen, für die praktische Umsetzung müssen allerdings noch Hür- den wie schwachen Nachweisgrenzen, die begrenzte Haltbarkeit der Reagenzien in μPADs und die Beschränkung auf den Nachweis nur einer Substanz überwunden werden.
Organs on a Chip (OoC) bestehen aus einem Chip, auf dem die Mikroarchitektur und die Funktionen eines bestimmen Organs nachgestellt wird. Auf einem flexiblen Polymer von der Größe eines Datenchips wird ein 3D-Kanalsystem aufgebracht, auf des- sen Innenwänden ein Endothel aus menschlichen Zellen angeordnet ist. Dieses Zellsystem steht mit äußeren physikalischen Ein- flüssen und Reizen wie einer simulierten Atmung, Peristaltik oder einem vaskulären System in Kontakt und um die Funktion eines Organs wie Lunge, Darm, Niere, Haut, Knochenmark oder die Blut-Hirn-Schranke zu nachzuahmen. So könnte man den Trans- port von Substanzen in Zellsystemen und Zellgrenzen wie die Blut-Hirn-Schranke beobachten, Erkrankungen simulieren und mit Therapie experimentieren sowie den Einfluss auf Umweltfaktoren auf Zellen erforschen. Mehrere OoC-Systeme können mittels eines Kreislaufs zusammengeschlossen werden, um die komplexen biochemischen und physiologischen Zusammenhänge ver- schiedener Organsystemen auf sogenannten Body-on-Chips-Systemen zu erforschen. Tierversuche könnten auf diese Weise re- duziert werden.
Nachgefragt bei ...
Dr. Martin Smolka, Institut für Oberflächentechnik und Photonik, JOANNEUM RESE- ARCH.
?Welche Rolle spielen Lab-on-a-Chip-Systeme in der medizinischen Diagnostik?
Mit Lab-on-a-Chip-Systemen werden zum Beispiel analytische Laborverfahren, die normalerweise manuell oder von großen Labor-Analyzern ausgeführt werden, in einem miniaturisierten Chip-Format mit typischen Abmessun- gen von einigen Zentimetern durchgeführt. Diese Chips werden in der Regel in einem Kontrollgerät betrieben, wel- ches die im LoC ablaufenden Reaktionsschritte steuert. Zum Einsatz kommen dabei sowohl LoCs, die mehrfach verwendet werden können, als auch sogenannte Single-Use-Systeme, bei denen für jede Messung ein neuer Chip verwendet wird. Ein Vorteil der LoC-Technologie ist, dass sie es erlaubt, komplexe Analysen auch in kleinen Labo- ren mit relativ wenig technischer Ausrüstung automatisiert ablaufen zu lassen.
Es handelt sich also um eine Art Minilabor für diagnostische Schnelltests. Mittlerweile sind kompakte und portable Geräte verfügbar, wodurch moderne Diagnostikverfahren auch dezentral zum Beispiel beim Hausarzt (beim soge- nannten Point-of-Care) direkt durchgeführt werden können. Somit müssen medizinische Proben nicht mehr in Zen- trallabors geschickt werden. Ergebnisse sind so nicht nach Tagen, sondern bereits nach Stunden oder sogar Minu- ten verfügbar, was ein entscheidender Vorteil ist. Dadurch haben die LoCs das Potenzial, die Behandlung von Pati- enten noch spezifischer zu gestalten, weil der behandelnde Arzt die Analyseergebnisse schon bekommt, während der Patient noch in seiner Praxis ist. Ein Nachteil von Lab-on-a-Chip-basierten Schnelltests ist, dass sie typischer- weise eine geringere Bandbreite von Parametern als die gängigen Laborverfahren adressieren. Sie sind dann ge- eignet, wenn Schlüsselparameter für eine schnelle Entscheidung benötigt werden, ein aktuelles Beispiel wäre ein Test des kursierenden Virus Covid-19. Für eine breitere Analyse sind selbstverständlich nach wie vor die klassi- schen Laborverfahren nötig.
?Wo finden Lab-on-a-Chip-Systeme ihre Anwendung in der täglichen Praxis?
Bereits in der Praxis angekommen sind LoC-Systeme für DNA-basierte Diagnostik. Mit ihnen können charakteristi- sche Abschnitte im Erbgut von Krankheitserregern per Schnelltest abgefragt werden. Das LoC nimmt dabei die zu untersuchende Probenflüssigkeit in ein Mikrokanal-Netzwerk (Fluidik) auf, in dessen Detektionskammer DNA-Test- moleküle fixiert sind. An diesen wird ein Hybridisierungs-Assay durchgeführt – bildlich gesprochen, durchsuchen dabei die Testmoleküle das Probenerbgut nach DNA-Sequenzen, welche zum Beispiel die Antibiotikaresistenz der untersuchten Bakterien anzeigen. Werden solche Sequenzen gefunden, so halten die Testmoleküle die DNA aus der Probe an der Kammerwand fest (Immobilisierung) und in einer weiteren Reaktion wird ein Lichtsignal erzeugt. Das Licht dieser „Signalleuchten“ wird von einem portablen Analysegerät eingefangen, in einen Spannungswert umgewandelt und gespeichert. Das Analysegerät stellt gleichzeitig die automatisierte Versorgung des Chips mit Reaktionsflüssigkeiten sicher. Die oberösterreichische Firma GENSPEED Biotech (Partner von JOANNEUM RESE- ARCH) bietet beispielsweise bereits eine kommerzielle LoC-basierte Testplattform an, mit der sich gegen bestimm- te Antibiotika resistente Keime (z.B. die berühmten Krankenhauskeime) nachweisen lassen. In diesem konkreten Beispiel sind Werte in weniger als 100 Minuten verfügbar – ein enormer Zeitgewinn im Vergleich zur Labormes- sung, die erst nach 24 bis 72 Stunden bekannt ist.
?Welche Forschungsprojekte zu LoC-Systemen führen Sie derzeit am JOANNEUM durch, an welchen sind Sie beteiligt?
Am Materials Institut von JOANNEUM RESEARCH forschen wir an einer neuen Produktionsplattform für LoC-Dia- gnostik. Um den neuartigen Chips den breiten kommerziellen Erfolg zu ermöglichen, arbeiten wir an Präge- und Drucktechnologien für deren Herstellung, die zu sehr geringen Stückkosten führen sollen. Derzeit basieren die Chips häufig auf Spritzgussteilen, die durch komplexe manuelle oder roboterbasierte Prozesse behandelt werden müssen und wegen der hohen Kosten für die Spritzgusswerkzeuge keine hohe Designfreiheit erlauben. Im Gegen- satz dazu zielen wir darauf ab, die Chips auf Folienrollen und mittels kontinuierlich ablaufender Rolle-zu-Rolle-Ver- fahren herzustellen – so lassen sich die Bearbeitungsschritte für viele Chips parallel durchführen – Chips müssen nicht mehr als Einzelteile bearbeitet werden, sondern können in großer Stückzahl parallel vom Band laufen. Die Ka- näle, durch die später die Analyseflüssigkeiten fließen, werden dabei in Polymerschichten auf den Folien geprägt. In Folgeschritten werden dann DNA-Moleküle verdruckt, weitere Folien als Deckel darauf laminiert und erst im letz- ten Schritt werden die einzelnen Chips ausgeschnitten. Die Weiterentwicklung unserer Produktionsplattform treiben wir derzeit im Rahmen von nationalen und EU-geförderten Projekten voran und erhielten erst kürzlich die Zusage für das von uns koordinierte EU-Projekt NextGenMicrofluidics mit 21 europäischen Partnern und ca.
15 Millionen Euro Gesamtförderung.
?Wenn Sie unbegrenzte Forschungsressourcen zur Verfügung hätten, welches Lab-on-a-Chip-System wür- den Sie am liebsten entwickeln?
Ein sehr sinnvolles Projekt wäre die Entwicklung eines LoC-Systems, das dem Hausarzt erlaubt, innerhalb weniger Minuten Erreger von Infektionskrankheiten zur identifizieren. So könnte der Hausarzt durch die Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen bei der Wahl der richtigen Behandlung unterstützt werden. Könnte man gleich- zeitig auch Resistenzen von Bakterien erkennen, wäre das eine sehr gute Basis für die Wahl des richtigen Antibioti- kums. Damit dies möglich wird, muss man allerdings noch einige Analyseschritte wie zum Beispiel die oft sehr auf- wendige Probenvorbereitung und die parallele Analyse verschiedener Erreger-Typen in das Format der LoCs brin- gen, um wirklich ein Stand-alone-Minilabor zu haben – eine Aufgabe, der wir uns sehr gern widmen würden.