Covid-update | Long Covid
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Long Covid: Fragen & Antworten
Eine Infektion mit Sars-CoV-2 kann ein breites Spektrum an möglichen Symptomen hervorru- fen. Bei mehr als 10 % aller Betroffenen beste- hen auch Wochen und Monate nach der Anste- ckung noch Beschwerden.
?Was ist unter „Long Covid” zu verstehen?
Es ist ein neuer Begriff für ein schon lange bekanntes Phänomen – die postvirale Fatigue. Es kann nach viralen Infekten zu teilweise mehreren Mo- naten anhaltenden Problemen kommen, die glücklicherweise in den meisten Fällen wieder ausheilen. Die hohen Absolutzahlen aufgrund der vielen Erkrankten und die durch PCR eindeutige Zuordenbarkeit zu einem Erreger haben hier natürlich die Aufmerksamkeit sehr auf das Thema gelenkt. Leider ist der Begriff Long Covid noch sehr schlecht definiert.
?Woher kommt der Begriff „Long Covid“?
Er tauchte das erste Mal im Mai 2020 auf Twitter auf. Er ist sehr geprägt von denjenigen, die dieses Problem betrifft – den Patienten. Mittlerweile gibt es auch andere Begriffe für Symptome, die nach einer Covid-19-Infektion anhaltend sind. Dazu zählen Long-Haul Covid, Post-acute sequelae of Covid-19 (PASC), Post-acute Covid-19 Syndrome. Generell werden als Long Covid jene Symptome bezeichnet, die länger als vier bis zwölf Wo- chen nach Infektion noch vorhanden sind. Das ist aber eine sehr unscharfe Bezeichnung. Es umfasst jene Patienten, wo infolge von einer Infektion Organschäden aufgetreten sind oder die durch eine Behandlung an der Intensivstation Folgeprobleme erlitten haben, genauso wie jene, wo eine Infektion mit Covid-19 psychische Probleme ausgelöst oder vorbestehende Probleme verstärkt haben.
?Braucht es mehr Abgrenzung?
Eine Präzisierung des Begriffs Long Covid wäre insofern wünschenswert. Es gibt zahlreiche Patienten, die meist ohne Nachweis eines Organscha- dens und ohne offensichtliche psychische Problematik abgesehen von der Belastung durch die Situation das klinische Bild von ME/CFS (Myalgi- scher Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome) aufweisen. Das typische Merkmal ist hier eine massiv gesteigerte körperliche Erschöpfbar- keit. Es kommt oft schon durch minimale Belastung im Alltag zu einer deutlichen Verschlechterung des Zustandes. Der Alltag ist kaum bewältig- bar, eine Arbeitsfähigkeit ist oft nicht vorhanden. Dazu kommen Probleme wie nicht erholsamer Schlaf, Störungen der Kreislaufregulation, Schmer- zen, Probleme mit Merkfähigkeit oder Konzentration und Veränderungen der Verdauung. Es gibt hier bereits eine Untersuchung, die dieses Bild bestätigt. Diese konkrete Form von Long Covid betrifft vor allem eher jüngere Menschen, und hier mehr Frauen als Männer. Das deckt sich mit der Erfahrung von ME/CFS.
?Wo liegt der Unterschied zwischen Long Covid und ME/CFS?
Sie überschneiden sich in ihrer Symptomatik sehr deutlich. Viel von dem, was nun bei Long Covid „neu“ entdeckt wird, ist bei ME/CFS und postvi- raler Fatigue schon lange bekannt. Formal kann nach sechs Monaten die Diagnose ME/CFS gestellt werden. Dies betrifft viele Patienten, dennoch
muss man vorsichtig sein, diese Diagnose zu früh zu stellen. Es ist nämlich bekannt, dass die Genesung nach viralen Infekten durchaus auch ein Jahr oder länger dauern kann. Es muss aber auf jeden Fall das Ziel sein, eine Chronifizierung so oft wie möglich zu verhindern. Denn wenn die Beschwerden einmal anhaltend vorhanden sind, ist meist nicht von einer deutlichen Besserung auszugehen.
?Wie häufig sind Folgen von Corona?
Wie häufig eine Infektion mit Covid-19 langfristige Folgen verursacht, ist leider noch we- nig untersucht. Die Schätzungen variieren von 2 bis 30 % der Betroffenen. Das Problem ist, dass es hier sehr unterschiedliche Arten gibt, diese Zahlen zu erfassen. Darüber hinaus wurden auch unterschiedliche Zeitpunkte gewählt, wo eine Beurteilung stattfand. Die besten Zahlen kommen aktuell aus England. Das staatliche Statistikamt schätzt das Vorkommen von Problemen für mindestens 12 Wochen bei 14 %, bei jüngeren Men- schen sogar 18 %. Wie viele dieser Betroffenen noch länger anhaltende Probleme ent- wickeln werden, ist aktuell noch völlig unklar.
?Was passiert im Körper bei Long Covid?
Warum genau es zu Long Covid kommt, ist noch nicht bekannt, wobei aber natürlich die Forschungsanstrengungen intensiviert wurden. Es ist naheliegend, auch aufgrund der beschriebenen Symptome, dass ein immunologisches Problem vorhanden ist. Diesbe-
züglich gibt es verschiedenen Hypothesen. Ein Verdacht ist, dass sich im Körper Virusreservoirs bilden und so eine wiederholte Reaktion des Im- munsystems auslösen. Die Persistenz von Sars-CoV-2 konnte beispielsweise im Darm gezeigt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zuletzt in einer Untersuchung Diarrhoe zum Zeitpunkt der akuten Infektion und ein niedriger Antikörpertiter prädiktiv für das Auftreten von Long Covid waren.
Eine andere Möglichkeit ist, dass es durch die Infektion zu einer Reaktivierung anderer, bereits im Körper schlummernder Viren kommt. Das kann dann ebenfalls zu einer verstärkten Aktivierung des Immunsystems führen. Auch hier wurde gezeigt, beispielsweise bei Humanen Endogenen Re- troviren (HERV), dass Sars-CoV-2 dies verursachen kann. Eine Möglichkeit ist auch die Neuroinflammation, also eine Aktivierung der Immunzellen des Gehirns. Auch dies konnte in Studien bereits gezeigt werden. Darüber hinaus könnte es auch zu Autoimmunreaktionen kommen. Generell scheint Sars-CoV-2 das zu begünstigen. Es wurde mittlerweile auch gezeigt, dass bestimmte Autoantikörper, die man unter anderem auch von ME/CFS kennt und die sich gegen Rezeptoren des autonomen Nervensystems richten, auch bei Long Covid vorkommen.
Und schließlich kann auch die für Sars-CoV-2 beschriebene entzündliche Schädigung des Endothels hier Relevanz haben. Ähnliche Veränderun- gen wurden nämlich auch bei ME/CFS beschrieben. Natürlich ist es auch möglich, dass eine Kombination aus diesen und möglicherweise noch unbekannten Ursachen die Probleme verursacht.
?Welche Beschwerden haben Long-Covid-Betroffene?
Sehr im Vordergrund steht eine starke körperliche Erschöpfung, die Fatigue. Es führen oft schon sehr banale Alltagsaktivitäten, sowohl körperlich als auch kognitiv, zu einer Verschlechterung des Zustandes. Dies wird in Analogie zu ME/CFS als Post Exertional Malaise bezeichnet. Der Schlaf ist schlecht und auch bei ausreichender Schlafdauer nicht erholsam. Es kann beobachtet werden, dass eine Überanstrengung hier zusätzlich zu einer Verschlechterung führt. Es bestehen oft sehr deutliche kognitive Probleme. Dies wird relativ unscharf als Brain Fog – Hirnnebel – bezeichnet. Dieser Begriff subsumiert letztendlich Einschränkungen bei Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit oder Wortfindung. Die kognitive Ermüd- barkeit ist gesteigert. Lesen ist beispielsweise oft nur für wenige Seiten möglich. Häufig ist auch eine starke Reizempfindlichkeit.
Warum diese Probleme auftreten, ist noch unklar. Eine direkte Schädigung des Gehirns durch das Virus ist eher unwahrscheinlich. Es finden sich jedoch Hinweise auf einen eingeschränkten Hirnstoffwechsel. Glücklicherweise scheint es möglich, dies wieder rückgängig zu machen.
?Gibt es auch Fehlfunktion des autonomen Nervensystems?
Eine sehr häufige Auffälligkeit ist eine Fehlfunktion des autonomen Nervensystems. Sehr vordergründig sind hier Kreislaufprobleme. Im Stehen und bei Aktivität kommt es zu Herzrasen oder auch einem Abfall des Blutdrucks. Das macht sich mit einem deutlichen Leistungsknick und orthostati- schen Symptomen bemerkbar. Zur Diagnose dieses Problems reicht oft ein sehr simpler Test: der Schellong-Test oder NASA Lean Test. Dieser Test kann oft auch mit Hilfe zu Hause durchgeführt werden. Man findet bei eigentlich fast allen Patienten ein posturales orthostatisches Tachykardiesyn- drom (POTS), wo es zu einem deutlichen Anstieg der Herzfrequenz begleitet von einem Anstieg des Blutdrucks kommt. Teilweise findet sich auch eine orthostatische Hypotension, wo der Blutdruck deutlich abfällt.
Die Behandlung ist hier symptomatisch. Man versucht beispielsweise eine gesteigerte Flüssigkeits- und Salzzufuhr oder Stützstrümpfe. Darüber hinaus gibt es auch medikamentöse Ansätze. Was genau die autonome Dysfunktion auslöst, ist im Moment noch unklar. Möglich sind beispielswei- se eine Neuroinflammation des Hirnstammes, die oben erwähnten Autoantikörper oder auch eine Small Fiber Neuropathie (SFN), die bei ME/CFS in etwa 30 % der Fälle vorhanden ist und für die sich auch bei vielen Patienten mit Long Covid Hinweise finden.
?Welche Therapie empfiehlt sich bei einem Mastzellenaktivierungssyndrom bei Long Covid?
Bei vielen Betroffenen ist auffällig, dass es nach Infektion mit Covid-19 zu Symptomen einer Histaminintoleranz kommt. Das kann ein Hinweis auf ein Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS) sein, das auch bei Covid-19 hypothetisch eine Rolle spielt. Es kann hier zu einer Vielzahl von Sympto- men kommen. Dazu zählen Kopfschmerzen, Gelenksschmerzen, Probleme mit der Verdauung, Juckreiz, Kreislaufbeschwerden oder auch Brain Fog. Die Liste der möglichen Beschwerden ist lange. Nachdem die Labordiagnostik eines MCAS oft schwer ist, da Tryptase und Histamin oft nur flüchtig erhöht sind, empfiehlt sich meist ein diagnostischer Therapieversuch, also die pragmatische Gabe von Antihistaminika und Mastzellen-sta- bilisierenden Nahrungsergänzungsmitteln. Interessant ist der häufige Zusammenhang von MCAS mit Immundefekten. Immundefekte wie ein MBL- Mangel wurden mittlerweile auch bei Long Covid beschrieben.
?Welche Therapieempfehlungen gibt es?
Unabhängig von jeglicher medikamentösen Therapie ist aber das Pacing der Grundbaustein der Behandlung von Long Covid. Das bedeutet, dass die Aktivität so angepasst werden muss, dass es nicht zu einer Verschlechterung des Zustandes kommt. Das ist natürlich nicht intuitiv. Die meisten Betroffenen, aber ebenso Therapeuten und Ärzte, kennen das Konzept, dass Training zu einer Verbesserung des Zustandes führt. Das ist auch für die meisten Krankheitsbilder korrekt. Bei Long Covid jedoch nicht. Hier kann Überaktivierung zu einer Verschlechterung des Zustandes und im schlimmsten Fall auch einer Chronifizierung führen. Mit korrektem Pacing, unterstützt von medikamentöser Therapie, kommt es erfahrungs- gemäß oft zu einer Stabilisierung und dann langsamen Besserung des Zustandes. Natürlich dauert die vollständige Genesung oft mehrere Wo- chen bis Monate. Dies ist auch von ähnlichen Syndromen nach anderen Viruserkrankungen bekannt.
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Literatur beim Verfasser