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Internationale Studien und aktuelle österreichische Erhe- bungen deuten auf dramatische Folgen des ersten Lock- downs während der Covid-19-Pandemie für Krebspatien- ten hin. Die Krebshilfe und sieben onkologische Fachge- sellschaften rufen daher dazu auf, Früherkennungsunter- suchungen und Behandlungen wahrzunehmen.
„Krebspatienten haben ein erhöhtes Risiko, eine Covid-19-Erkrankung schlecht zu überstehen. Vor allem aber können die Covid-19-bedingten Ein- schränkungen des sozialen Lebens negative Effekte bei den Betroffenen generieren. Zusätzlich erhöhen die verspäteten Diagnosen und der redu- zierte Zugang zu Therapien die Mortalität der Krebspatienten. Diese Risiken dürfen nicht unbeobachtet bleiben“, fasst Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolf- gang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO), zusammen. Deshalb haben Krebs- hilfe und OeGHO eine Initiative gestartet und appellieren gemeinsam mit sechs weiteren onkologischen Fachgesellschaften, Krebsfrüherkennungs- untersuchungen und -therapien unvermindert wahrzunehmen.
Verspätete Diagnosen
Anlass dazu lieferten erste wissenschaftliche Publikationen, die die negativen Folgen der Covid-19-Pandemie beleuchten. So belegt etwa eine US- amerikanische Untersuchung1) einen durchschnittlichen Rückgang der Tumordiagnosen von über 46 % im Frühjahr – quer über sechs Tumorty- pen. „Besonders drastisch war dabei die Reduktion bei Mammakarzinomen“, betont OA Dr. Christian Schauer, Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie der OEGGG (AGO). „Da wurden um
52 % weniger Tumore diagnostiziert, was keinen echten Rückgang bedeutet, sondern bloß, dass diese Fälle nicht erkannt wurden.“ Eine im renom- mierten Journal Lancet veröffentlichte englische Studie2) rechnet eine markante Zunahme der Sterblichkeit in den nächsten fünf Jahren vor, die durch die verzögerte Diagnose von Krebserkrankungen verursacht wird. Die Wissenschaftler gehen dabei von 5 % bis fast 17 % mehr Todesfällen in den vier Tumorgruppen Brustkrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs und Speiseröhrenkrebs aus.
Umfrageergebnisse aus Österreich
Um die Situation in Österreich einschätzen zu können, haben die acht Träger der Initiative in den letzten Wochen eine qualitative Umfrage unter den heimischen Krebsspezialisten durchgeführt. Mit ebenfalls besorgniserregenden Ergebnissen: Immerhin mehr als drei Viertel der Befragten ha- ben während der beiden Lockdowns im Frühjahr und im Herbst einen Rückgang an onkologischen Leistungen bemerkt – und zwar um etwa ein Drittel. Ausschlaggebend dafür waren vor allem ein eingeschränkter Zugang zu Früherkennungs- oder Vorsorgeuntersuchungen sowie die Ver- schiebung diagnostischer Leistungen. „In den heimischen Pathologie-Instituten hatten wir etwa einen Rückgang von Diagnosen um rund 30 % zu verzeichnen, bezogen auf das gesamte Jahr 2020“, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Sigurd Lax, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie (ÖGPath). Aber auch die Verzögerungen bei kurativen Maßnahmen wie Operationen oder ein redu- zierter Zugang zu Psychoonkologie, Reha oder Physiotherapie hatte negative Folgen. „Die Betroffenen haben gleichermaßen Angst sich im Kran- kenhaus anzustecken wie durch die Verzögerung eine Verschlechterung der Krebserkrankung zu erleiden. Das ist fatal“, sagt Schauer.
Rund 70 % der befragten Krebsspezialisten haben im Übrigen bereits Erfahrungen mit Covid-19-positiven Krebspatienten gesammelt. Sie sehen – im Gleichklang mit internationalen Analysen – als größtes Risiko für ihre Patienten Begleiterkrankungen wie Hypertonie oder kardiovaskuläre Er- krankungen, gefolgt vom Alter und dem Allgemeinzustand. Behandlungen wie Chemotherapie innerhalb der letzten vier Wochen, Immuntherapie, Hormontherapie, gezielte Tumortherapie und Strahlentherapie scheinen weniger relevant.
Ein Drittel OP-Verschiebungen
Weniger dramatisch nehmen österreichische Brustkrebs-Patienten die Lage wahr. In einer Blitzumfrage der Österreichischen Krebshilfe innerhalb von drei geschlossenen Facebook-Patientengruppen zeigten sich die betroffenen Frauen mit dem Zugang zu medizinischen Leistungen im nieder- gelassenen Bereich wie auch in den Krankenhäusern weitgehend zufrieden. 87 % konnten ihre Chemotherapie unverändert fortsetzen und 93 % hatten weiterhin Strahlentherapie-Behandlungen. Bei 60 % fand die angestrebte Operation zum geplanten Termin statt, circa ein Drittel war mit ei- ner Verschiebung der Operation konfrontiert. „Es ist wichtig zu erwähnen, dass es Unterschiede vom ersten zum jetzigen Lockdown gibt. Vieles ist jetzt möglich, wie etwa die onkologische Rehabilitation, einiges hat sich gut eingependelt und viele Betroffene haben auch Verständnis für die Maß- nahmen. Vor allem vertrauen sie darauf, dass alle notwendigen Behandlungen zeitgerecht durchgeführt werden“, meint Univ.-Prof. Dr. Paul Sevel- da, Präsident der Österreichischen Krebshilfe. Als einschneidend empfinden die Brustkrebs-Patienten aber zum Beispiel das Besuchsverbot im Krankenhaus. „Obwohl die meisten dafür Verständnis haben, leiden viele Patienten unter dem Besuchsverbot von Angehörigen im Krankenhaus oder es fehlt die Vertrauensperson an ihrer Seite bei Terminen im Krankenhaus“, ergänzt Doris Kiefhaber, Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe. „Die Ambivalenz lässt sich so beschreiben: Die Patienten sehnen sich nach Nähe und haben gleichzeitig Angst vor körperlicher Nähe.“
Krebs macht keine Pause
Diese Daten veranlassten die Krebsfachleute zu dem nun gestarteten Weckruf. „Krebspatienten haben zwar ein erhöhtes Risiko, einen schwereren Verlauf der Erkrankung zu erleiden. Aber das noch weitaus größere Risiko wäre, die Krebsbehandlung nicht vorzunehmen“, betont Krebshilfe-Prä- sident Sevelda. In der Behandlung der Patienten sei freilich immer eine Abwägung zwischen notwendiger Therapie und Gefahr einer Covid-19-In- fektion zu treffen. Ebenso wichtig wäre es, die psychologischen Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren, meint OeGHO-Präsident Hilbe.
Zusammengefasst appellieren die Krebsspezialisten aber dringend an die österreichische Bevölkerung, Früherkennungs- und Vorsorgeuntersu- chungen unbedingt weiter wahrzunehmen und Symptome sofort abklären zu lassen. Große Hoffnung wird in die Impfung der Risikopatienten ge- gen Covid-19 gesetzt.
rh