MEDIZIN | Point-of-Care
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Point-of-Care-Tests für Hepatitis B
Fast 90 % der Menschen, die mit Hepatitis B leben, werden nie richtig diagnostiziert. Häufig sind gera- de in Ländern mit besonders hohen Inzidenzen auch die Möglichkeiten für eine adäquate Hepatitis- B-Diagnostik nicht ausreichend vorhanden.
Hepatitis-B-Point-of-Care (POC)-Tests könnten hier Verbesserungen bieten. Eine Forschergruppe des renommierten Burnet-Institutes in Melbourne unter der Leitung von Jessica Howell hat Informationen zu den derzeit verfügbaren Hepatitis-B-POC-Tests zusammengetragen und in einer Über- sichtsarbeit publiziert.
Richtige Diagnose fehlt
Geschätzte 350 Millionen Menschen sind weltweit an Hepatitis B erkrankt. Das entspricht rund 5 % der Weltbevölkerung, wobei es regional Schwankungen zwischen 0,5 % und 10 % gibt. Trotz der hohen Prävalenz und globalen Belastung durch die Krankheit nimmt man an, dass über 90 % aller Menschen mit Hepatitis B nie richtig diagnostiziert werden. Das fehlende Wissen um die Infektion trägt weiter zu ihrer Verbreitung bei. Ohne Behandlung entwickelt sich bei jedem vierten Hepatitis-B-Träger eine Leberzirrhose, bei 2 bis 5 % ein hepatozelluläres Karzinom (HCC). Man schätzt, dass weltweit 800.000 Todesfälle auf das Konto einer Hepatitis-B-Infektion gehen. Diese Zahl könnte mit einer adäquaten Therapie weitaus geringer sein. Impfprogramme sind zwar in den meisten Ländern vorhanden, aber gerade ärmere Regionen schaffen es häufig nicht, ihre Bevölke- rung flächendeckend mit Impfungen zu versorgen. Dies sind häufig auch genau jene Regionen, in denen die Hepatitis-B-Inzidenz besonders hoch ist, Diagnosezentren aber nicht flächendeckend vorhanden sind. POC-Tests könnten hier maßgeblich dazu beitragen, das Wissen um die Hepati- tis-B-Infektionen in der Bevölkerung zu verbessern. Für Menschen, die bereits mit einer Hepatitis-B-Infektion leben, bedeutet eine frühe Diagnose, dass Menschen die Infektion anderer verhindern können, die Erkrankung kontrolliert und gegebenenfalls behandelt werden kann. Damit könnte das Risiko für ein Fortschreiten einer Leberzirrhose und Langzeitkomplikationen verringert werden.
Hürden für eine adäquate Therapie
Die medizinische Betreuung von Menschen mit Hepatitis B umfasst folgende Stufen: Screening, Diagnose, Anbindung an ein Betreuungszentrum, Stadieneinteilung der Lebererkrankung, Evaluation möglicher Therapeutika, Therapiemonitoring und die Vorsorgeuntersuchungen hinsichtlich einer möglichen Karzinomentwicklung. Die dazu notwendigen Laboruntersuchungen umfassen Hepatitis-B-Serologie, eine quantitative Bestimmung der HBV-DNA und Leberfunktionstests, welche aber meist nur in größeren Gesundheitszentren vorhanden sind. Weitere Barrieren für eine leitlinienge- treue Behandlung von Menschen in vielen Ländern sind die hohen Kosten, die mit einer kontinuierlichen Verlaufskontrolle verbunden sind und ge- sellschaftliche Stigmatisierung, die eine Hepatitis-B-Infektion mit sich bringen kann.
Was ist ein idealer POC-Test?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat acht Kriterien definiert, die ein idealer POC-Test aufweisen sollten: kostengünstig, sensitiv, spezifisch, anwenderfreundlich, schnell durchführbar, robust, unabhängig von weiteren Gerätschaften und kontinuierlich lieferbar. Viele POC-Tests wurden in den letzten zwei Jahrzehnten für Screening und Diagnose einer Hepatitis-B-Infektion entwickelt, aber nur drei Tests schafften die Anforderungen
und finden sich auf der „World Health Organization list of prequalified in vitro dia- gnostic products“ wieder (www.who.int/diagnostics_laboratory/evaluations/PQ_ list/en/). POC-Tests zur Stadieneinteilung und Monitoring fehlen auf dieser Liste, eini- ge werden aber derzeit in klinischen Studien evaluiert. Typischerweise haben POC- Tests eine geringere Testgüte (Sensitivität und Spezifizität) als eine vergleichbare La- bordiagnostik. Für eine Anerkennung benötigen sie daher Studien, welche die Test- güte in verschiedenen Patientenpopulationen evaluieren und bestätigen. Regulatori- sche und ökonomische Fragen schließen sich an. Weitere lokale Voraussetzungen für die Einführung eines POC-Tests sind die Durchführbarkeit des Tests durch die An- wender, die vorhandenen Ressourcen wie Lagerung, Strom oder Kühlung, die Ak- zeptanz durch die Anwender und die Kosteneffizienz. Die praktischen Fragestellun- gen einer grundlegenden medizinischen Betreuung eines Hepatitis-B-Patienten be- treffen die Diagnose der Hepatitis, die Indikation zur Therapie und die Verlaufskon- trolle, die Hepatitis-Immunität und den Infektionsstatus.
POC für die Diagnose einer Hepatitis-B-Infektion
Eine Hepatitis-B-Infektion wird über das Hepatitis-B-Oberflächenantigen (Hepatitis B surface antigen, HBsAg) nachgewiesen. Einige Tests sind auf dem Markt erhältlich.
Die meisten sind qualitative Immunchromatografie Lateral-Flow-Tests, die einfach anzuwenden sind. In einem Schritt ist ein semiquantitativer Nach- weis von HBsAg in verschiedenen Trägermedien (Blut, Serum, Plasma) möglich. Derzeit werden drei Tests von der WHO als qualifiziert anerkannt: der Determine HBsAg 2 der Firma Alere Medical Co. Ltd, der VIKIA HBsAg von bioMérieux und der Bioline HBsAg WB von Abbott. Für den Deter- mine HBsAg POC liegen derzeit die meisten Studien vor, eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2017 präsentierte eine Sensitivität von rund 91 % (9 % waren falsch-negativ) und eine Spezifizität von 99 % (1 % falsch-positiv). Die Studie zeigte auch, dass die Sensitivität bei Menschen mit einer zu- sätzlichen HIV-Infektion niedriger sein kann, d.h. in dieser Gruppe werden mehr Hepatitis-B-Infektion vom Test übersehen.
Diagnose einer Hepatitis-B-Immunität
Die Anzahl an Antikörpern gegen das Hepatitis-B-Oberflächenantigen (anti-HBs) gilt als Indikator einer Immunität gegenüber dem Hepatitis-B-Vi- rus und bestimmt, ob eine Hepatitis-B-Impfung notwendig ist. Es sind zwar eine Reihe von POC-Tests für Anti-HBs im Handel erhältlich, die nach- gewiesene Sensitivität liegt aber nur bei 20 % bis 70 %. Für den Anti-HBs-Test der General Biologicals Corporation berichtet eine einzelne Studie eine Sensitivität von 92 % bei Kindern, eine Validierung in weiteren Patientengruppen ist aber derzeit noch nicht durchgeführt worden.
Hepatitis-B-Viruslast
Die aktuelle Viruslast eines Menschen mit Hepatitis B ist einer der wichtigsten Faktoren, um die Indikation für eine antivirale Therapie zu stellen. Die Virus-DNA wird gewöhnlich mittels einer Polymerase-Kettenreaktion (englisch polymerase chain reaction, PCR) im Labor bestimmt. HBV Viral Load der Firma Cepheid ist ein molekulares Diagnostiksystem, das patientennahe, innerhalb von einer Stunde eine Real-time-PCR durchführt. Das Gerät hat die Größe einer Kaffeemaschine und bestimmt neben dem Hepatitis-B-Virus auch Hepatitis C und HIV. Es ist in den USA und Australien be- hördlich zugelassen, zwei Studien bestätigten eine gute Korrelation zwischen dem POC-System und einer herkömmlichen PCR im Labor. Die Kos- ten des Geräts sind allerdings hoch, es benötigt eine stabile Stromversorgung und muss in regelmäßigen Abständen von einem qualifizierten Tech- niker gewartet werden.
Hepatitis-Be-Antigen
Beim Hepatitis-Be-Antigen (HBeAg), handelt es sich um ein Protein des Hepatitis-B- Virus, das von befallenen Wirtszellen produziert wird. Es ist ein Indikator für das Sta- dium einer chronischen Hepatitis B, für Indikationsstellung einer antiviralen Therapie und ein Surrogat-Parameter für das Risiko einer perinatalen Übertragung. Die Testgü- te der erhältlichen Tests variiert in Studien, die Sensitivität lag bei 30-82 % (falsch ne- gative 18-70 %), die Spezifizität bei 67-100 % (falsch positive 33-0 %). Aufgrund der derzeit hohen Kosten der Virus-PCR empfiehlt die WHO HBeAg als möglichen Scree- ning-Test für die Indikation einer antiviralen Therapie. Um als Screening Test verläss- lich zu sein, reicht die Sensitivität der derzeit erhältlichen HBeAg-POC-Tests noch nicht aus.
Einschätzung über Leberenzyme
Wiederholte Kontrollen bei Patienten mit einer chronischen Hepatitis B umfassen die Viruslast, das Stadium der Leberentzündung und Fibrose, die mittels Leberenzymen
eingeschätzt werden kann. Wenn die Bestimmung der Viruslast nicht möglich ist, kann über die Höhe der Aspartat-Aminotransferase (AST) abge- schätzt werden, ob eine antivirale Therapie begonnen werden sollte. Ein semiquantitativer POC-Test mit einem AST-Cut-off von 40U/L wurde von der Firma BioPoint entwickelt. Dieser hat nach Angaben der Firma eine Sensitivität von 94 % und Spezifizität von 85 %. Algorithmen zur Beurtei- lung der einer Leberfibrose enthalten zusätzlich zur AST auch die Thrombozytenzahl mit oder ohne Alanin-Aminotransferase (ALT). Für diese sind derzeit keine POC-Tests erhältlich.
Zusammenfassend bieten POC-Tests die Möglichkeit, große Teile der Bevölkerung auch abseits der Kliniken auf Hepatitis B zu testen und gegebe- nenfalls auch am gleichen Tag mit einer gezielten Therapie zu behandeln. Die Kosten für eine antivirale Hepatitis-B-Therapie sind in den letzten Jahren deutlich gesunken, mit einer besser verfügbaren und günstigen Diagnostik könnte man dem Ziel der WHO, Hepatitis B als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis zum Jahr 2030 zu beseitigen, ein Stück näherkommen.
ja
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QUELLE: Xiao et al. Cells 2020 Oct 2;9(10):2233