Die Healthy-Aging-Medizin ist eine neue Form der
Präventionsmedizin und steht im Gegensatz zur
Reparaturmedizin.
Schwerpunkt ist das frühzeitige Erkennen von Risiken und Veranlagungen, auf deren Basis sich Krankheiten entwickeln können, mit dem Ziel, das biologische Alter zu erhalten, die körperliche sowie geistige Gesundheit zu fördern, um das Risiko chronischer Erkrankungen zu senken. Vorzeitig zu altern oder zu erkranken, wird durch die Genetik sowie die Epigenetik bestimmt. Das menschliche Epigenom ist veränderbar und nimmt eine wichtige Stellung bei der Steuerung des Erbgutes ein. Es wird durch Umwelt- sowie Lebensstilfaktoren beeinflusst. Die Healthy-Aging-Medizin zielt darauf ab, das Epigenom durch Veränderung und Optimierung von Lebensstilfaktoren zu beeinflussen. Studien belegen, dass epigenetische Pro- zesse auch noch im Erwachsenenalter veränderbar sind (Sweatt, 2009), da die zur Methylierung notwendigen Enzyme (Methyltransferasen) auch im erwachsenen Gehirn weiterhin aktiv sind (Feng et al., 2010).
Die Longevity-Forschung definiert Hallmarks of Aging, multiple Faktoren, die den Alterungsprozess beschleunigen. Kennzeichen des Alterns sind genomische Instabilität, Telomerverkürzung, epigenetische Veränderungen, Verlust der Proteostase, veränderte Nährstofferkennung, mitochondria- le Dysfunktion, zelluläre Seneszenz, Erschöpfung der Stammzellen und eine veränderte interzelluläre Kommunikation.
Genominstabilität und Telomerverkürzung
Das Genom kodiert alle Möglichkeiten, die einer Zelle offenstehen. Beeinträchtigte Reparaturprozesse des Genoms durch irreparable DNA-Schä- den führen zu einer Genominstabilität. Menschen mit beeinträchtigten DNA-Reparaturprozessen zeigen mehrere Anzeichen einer beschleunigten Alterung.
Telomere sind sich wiederholende DNA-Sequenzen, die die Enden der Chromosomen schützen und verhindern, dass sie mit gebrochenen DNA- Strängen verwechselt werden. Eine Telomerverkürzung bezeichnet eine Abnahme des Strukturelements an unserer DNA, die während des Alte- rungsprozesses normal ist. Kurze Telomere bergen das Risiko degenerativer Erkrankungen. Kritisch kurze Telomere oder der Zusammenbruch der Telomerstruktur, der durch die Verdrängung des Telomer-bindenden Proteinkomplexes Shelterin verursacht wird, lösen eine DNA-Schadensreakti- on aus und führen zu Seneszenz oder Apoptose. Glukokortikoide, reaktive Sauerstoffspezies (ROS), Mitochondrien sowie Entzündungen sind wichtige Faktoren bei der Telomererhaltung.
Epigenetische Veränderungen
Unter dem Epigenom versteht man die chemische Veränderung von DNA und Histon-Proteinen des Organismus. Veränderungen im Epigenom können die Struktur des Chromatins verändern und die Funktion einzelner Abschnitte im Genom beeinflussen. Das Epigenom ist eine Art molekula- res Gedächtnis, das die Art der Ablesung des Genoms beeinflusst. Es ist veränderbar und kann durch Anpassung von Umwelt- und Lebensstilfak- toren korrigiert werden. Diese Veränderungen sind an die Nachkommen vererbbar. Daher werden Analysen von DNA-Sequenzen alleine nicht alle Fragen beantworten – die Kenntnis der Epigenetik wird entscheidend sein.
Deregulierte Nährstofferkennung
Die Proteostase hat die Aufgabe, die korrekte Faltung der Proteine zu stabilisieren oder wiederherzustellen. Mit zunehmendem Alter werden Prote- ine jedoch durch normale zelluläre Prozesse beschädigt und dadurch nicht mehr korrekt gefaltet. Studien haben gezeigt, dass sich die Proteo- stase mit steigendem Lebensalter verändert. Die chronische Ansammlung von fehlgefalteten oder ungefalteten Proteinen trägt zur Entwicklung ei- niger altersbedingter Krankheiten bei. Vermehrte Stoffwechselaktivitäten können die Zellen belasten und durch eine Veränderung in der Nährstoff- verfügbarkeit und -zusammensetzung die Zellen schneller altern lassen.
Der Stoffwechsel und seine Nebenprodukte können im Laufe der Zeit die Zellen durch oxidativen Stress, ER-Stress, Kalziumsignalisierung und mi- tochondriale Dysfunktion schädigen. Altersbedingte Fettleibigkeit, Diabetes und andere metabolische Syndrome können die Folgen einer deregu- lierten Nährstofferkennung sein. Chronische Entzündungen im Zusammenhang mit Fettleibigkeit und Diabetes, die über JNK- und IKK-Crosstalk wirken, können die Nährstofferkennung weiter deregulieren. Die intermittierende Kalorienrestriktion – das heißt Fasten – ist die einzige Maßnahme, die dem entgegenwirken kann und die Lebensspanne des Menschen verlängert.
Zelluläre Seneszenz
Die zelluläre Seneszenz beschreibt die Beendigung der Zellteilung. Mit zunehmendem Alter werden vermehrt seneszente Zellen angesammelt, die bestehen bleiben und schädliche Moleküle in die Umgebung ausscheiden. Die zelluläre Seneszenz kann durch eine Vielzahl stressinduzierender Faktoren ausgelöst werden. Diese Stressfaktoren beinhalten Umweltfaktoren, anormales zelluläres Wachstum, oxidativen Stress, Autophagie-Fak- toren wie auch Immunoseneszenz. Chronische Entzündungen an SASP aus seneszenten Zellen können die Fähigkeit des Immunsystems reduzie- ren, seneszente Zellen zu entfernen.
Erschöpfung der Stammzellen
Die Fähigkeit des Körpers, Gewebe und Organe zu regenerieren, hängt von gesunden Stammzellen in jedem Gewebe ab. Die Replikationsfähig- keit von Stammzellen nimmt mit dem Alter ab. USC-Forscher fanden heraus, dass eine dem Fasten nachempfundene Ernährung Darmentzündun- gen reduzierte und intestinale Stammzellen vermehrte, teilweise durch die Förderung der Expansion nützlicher Darmmikrobiota. Die spezifische, kalorienreduzierte Ernährung ermöglichte ein gesteigertes Wachstum der Mikroben im Darm, was für den Wiederaufbau und die Regeneration der Stammzellen entscheidend war.
Veränderte interzelluläre Kommunikation
Mit zunehmendem Alter zeigen Zellen eine Zunahme selbsterhaltender Signale, die an anderen Stellen zu Schäden führen und eine Signalumge- bung chemischer Botschaften im ganzen Körper, die dazu neigt entzündlicher zu werden. Vor allem seneszente Zellen lösen chronische Entzün- dungen aus, die alternde Gewebe weiter schädigen können.
Von seneszenten Zellen ist bekannt, dass sie eine entzündliche, immunsuppressive und schädliche Mischung absondern, die nachweislich be- nachbarte Zellen dazu anregt, seneszent zu werden, und zu mehreren altersbedingten Krankheiten beitragen kann. Diese Mischung ist als Senes- zenz-assoziierter sekretorischer Phänotyp (SASP) bekannt. Die Wiederherstellung einer ordnungsgemäßen interzellulären Kommunikation könnte die Gesundheit verlängern, indem chronische altersbedingte Entzündungen reduziert werden.
Neben der klassischen umfassenden Vorsorgeuntersuchung lassen sich altersbedingte körperliche Veränderungen sowie Alterserscheinungen durch die Untersuchung von Blutgefäßen, Hormonspiegeln, Funktionen der Sinnesorgane, Ganganalysen, Propriozeptorenanalyse, Gleichgewicht zwischen aktivem Sauerstoff und antioxidativem Potenzial, HRV-Messungen, Stoffwechselmessungen sowie einer Knochendichtemessung erken- nen. Prädisponierende Faktoren kann man auch über zusätzliche Gentests bestimmen. Diese Untersuchungen ermöglichen eine frühzeitige Erken- nung und Behandlung sowie eine Lebensstilberatung zur Vorbeugung altersbedingter Erkrankungen. Es ist entscheidend, die Zeichen des Alterns so früh wie möglich zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Die Grundelemente der klinischen Healthy-Aging-Medizin bestehen aus Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensstils der Patienten durch Erkennen der schwächsten Säulen.
Review-How to Slow down the Ticking Clock: Age-Associated Epigenetic Alterations and Related Interventions to Extend Life Span
Anne-Marie Galow 1,* and Shahaf Peleg 2 Cells 2022, 11,468