MEDIZIN | Self-Care
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Medikamente:
Weniger ist mehr
Um das „Switch-Klima“ in Österreich ist es nicht gut bestellt. Die Entlassung von Arz- neimitteln aus der Rezeptpflicht könnte für das Gesundheitswesen jedoch viele positive Impulse bringen.
„Ein angemessener Zugang zu frei verkäuflichen Medikamenten hilft den Menschen, die Verantwortung für ihre Ge- sundheit selbst in die Hand zu nehmen“, meint Dr. Natalie Gauld. Die neuseeländische Wissenschaftlerin machte sich zu diesem Thema in 24 Stakeholder-Interviews auf die Spurensuche und verglich die Situation in Österreich mit Daten aus sechs anderen Ländern. Sie hat kürzlich dazu eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Österreich bei der Entlassung von Arzneimitteln aus der Rezeptpflicht, dem sogenannten „Switch“, hinter vergleichbaren Ländern hinterherhinkt.
Mündigkeit zu einer selbstbestimmten Therapie
Nicht nur durch die Corona-Pandemie nimmt der Druck auf Gesundheitssysteme zu. Deshalb wird in vielen Ländern eine Entlassung von verschreibungspflichtigen Medikamenten in den OTC-Bereich geprüft. „In Österreich sind viele Medikamente, die in anderen Ländern frei erhältlich sind, rezeptpflichtig. Auch für Österreich würde sich ein Interes- se der Regierung an SelfCare durchaus lohnen“, sagt Gauld. Stehen mehr Arzneimittel rezeptfrei zur Verfügung, so fördert das Self-Care. Betreiben mehr Menschen Self-Care, so entlastet dies das Gesundheitssystem und verhilft, in Zusammenarbeit mit Ernährung und Bewegung, auch zu mehr gesunden Lebensjahren. „Die Forschungsarbeit stellt einen weiteren wesentlichen Schritt dar, zu untersuchen, warum in Österreich traditionell deutlich weniger Arzneimit- tel rezeptfrei erhältlich sind als in den meisten anderen Ländern der EU. Insbesondere liegt es uns daran, Lösungs- ansätze aufzuzeigen, welche Schritte man unternehmen kann, damit unsere Patienten endlich erweiterten Zugang und mehr Mündigkeit zu einer selbstbestimmten Therapie bekommen“, so Univ.-Lektor Hofrat Dr. Christoph Baum- gärtel, MD, MSc. vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG).
Österreich erwies sich im Ländervergleich als überdurchschnittlich restriktiv, was die Bereitstellung von freiverkäuflichen Arzneimitteln betrifft. „Es zeigt sich, dass Österreich einen deutlichen Aufholbedarf hat, welche Substanzen rezeptfrei er- hältlich sind. Durch die Entlassung von 5 % der Medikamente aus der Rezeptpflicht könnten die europäischen Sozialver- sicherungen deutliche Einsparungen generieren“, so die Präsidentin der IGEPHA, Mag. Mirjana Mayerhofer.
Switch-Klima fördern
Möglicherweise sei das Interesse an der Reklassifizierung von Arzneimitteln auch deshalb gering, weil in Österreich die Abgabe von Medikamenten ohne gültige Verschreibung durch die Apotheke im sogenannten Notfallparagraph laut Re- zeptpflichtgesetz geregelt ist. Mangelnde Transparenz der Kommissions-Entscheidungen in den vergangenen Jahren haben zu einer pessimistischen Erwartungshaltung der Industrie gegenüber der Kommission geführt, zusätzlich zu der Tatsache, dass Österreich als kleiner Markt die Absatzhoffnungen dämpft. Die in Österreich praktizierte, konsensorien-
tierte Sozialpartnerschaft för- dere einen konservativen An- satz. Den grundsätzlich posi- tiven Zugang der österreichi- schen Arzneimittelbehörde, des BASG, zur Entlassung von Wirkstoffen aus der Re- zeptpflicht und die Option ei- nes Produkt-Switches wertet die Autorin als förderliche Switch-Faktoren. „Durch die Entlassung verschiedener Wirkstoffe aus der Rezept- pflicht könnte die Eigenver- antwortung des Einzelnen gestärkt werden und gleich-
zeitig die aufgrund der Corona-Krise angegriffenen Budgets entlastet werden. Damit würde sich eine Win-win-Situation für die Politik, die Sozialversicherung und die Bevölkerung ergeben“, so May- erhofer.
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