MEDIZIN | Teletherapie

Digitale Physiotherapie

FOTOS: Opernfoto Hausleitner, privat, istockphoto/ Wavebreakmedia

Die Corona-Krise hat den Mangel an digitalen Angeboten für die Physiotherapie sichtbar gemacht, aber auch Po- tenziale für die Anwendung aufgezeigt.

Die ehemalige Gesundheitsministerin Mag. Beate Hartinger-Klein kündigte im Oktober 2018 die Einführung von Teletherapie für das österreichi- sche Gesundheitssystem an. Schon seit den frühen 2000er-Jahren wird das Potenzial der Teletherapie in der medizinischen Versorgung diskutiert. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit bei verschiedenen Diagnosen. Durchgesetzt hat sich die Behandlung von Patienten über die Ferne mittels digitaler Technologie jedoch bisher nicht. Auch hierzulande kam nicht die angekündigte digitale Revolution in der Physiotherapie, sondern der Ibiza-Skandal, der zum Ende der damaligen Regierung führte. Somit war das Thema Teletherapie vorerst wieder vom Tisch.


Zeichen der Zeit

Mit der Corona-Krise kam ein Ereignis, das die politischen Umbrüche des vergangenen Jahres in den Schatten stellte. Auf einmal war Teletherapie – also Therapie trotz räumlicher Distanz – aktueller denn je. Durch die Einschränkung der konventionellen Berufsausübung gerieten viele Physio- therapeuten in ein doppeltes Dilemma. Zum einen entstand ein massiver ökonomischer Schaden, zum anderen konnten Patienten, die dringend Unterstützung brauchten, nicht mehr behandelt werden. Da die Digitalisierung in der Physiotherapie bisher nur in Teilbereichen Einzug gehalten hatte, konnte kaum auf bereits bestehende Anwendungen zurückgegriffen werden. Es mussten also rasch Lösungen gefunden werden. Personen, die sich bis dato wenig mit digitalen Technologien beschäftigten oder diesen sogar ablehnend gegenüberstanden, setzten sich aktiv mit Alternati- ven zur konventionellen Therapie auseinander. Die große Motivation wurde durch Schwierigkeiten in der Umsetzung gebremst. Aktuell gibt es kaum Produkte für die Teletherapie, die den Anforderungen der Therapeuten und Patienten entsprechen. Kriterien wie einfache Anwendbarkeit, Handhabbarkeit und Datenschutzkonformität scheinen oft mangelhaft. Dazu kommt häufig die fehlende Erfahrung im professionellen Umgang mit digitalen Medien. Ein weiteres Problem stellte die rechtliche Lage dar, die bis zum Schreiben des Gesundheitsministeriums vom 31. März 2020, in dem die Zulässigkeit des Einsatzes von Telemedizin durch Angehörige der MTD-Berufe positiv beantwortet wurde, unklar war.


Hürden beseitigen

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass uns digitale Technologien helfen können, trotz bestehender Beschränkungen mit den Patienten in Kontakt zu bleiben und den therapeutischen Prozess fortzuführen. Vorhandene Technologien und Konzepte sind allerdings noch wenig ausgereift und stellen Physiotherapeuten vor große Herausforderungen. Die Weiterentwicklung der Teletherapie hat das Potenzial, Teil des physiotherapeutischen Alltags zu werden. Sie bietet die Möglichkeit, Technologien über einen pandemiebedingten Lockdown hinaus zur Verbesserung der Versorgung von Pati- enten einzusetzen. Jedoch müssten einige Hürden beseitigt werden, um dieses Potenzial zu nutzen. Eine wesentliche Herausforderung stellt die Kompetenz der Therapeuten und Patienten im Umgang mit digitalen Technologien dar. Sie brauchen das entsprechende Know-how, um sich im Technologiedschungel zurechtzufinden und Aspekte wie Sinnhaftigkeit der Hard- und Software sowie Datenschutz und Sicherheit eines Produktes abschätzen zu können. Masterstudiengange wie Health Assisting Engineering (FH Campus Wien) und Digital Healthcare (FH St. Pölten) bieten schon jetzt die Möglichkeit einer vertieften Weiterbildung in digitalen Inhalten für Therapeuten. Um eine Umsetzung der Teletherapie im therapeuti- schen Alltag zu erleichtern, sollten ergänzend auch Praxiskurse angeboten werden, bei denen die konkrete Anwendung mit Patienten im Vorder- grund steht. Ein großer Vorteil der Teletherapie ist die zeitliche und örtliche Flexibilität. Die Reduktion des Reiseaufwandes kann für viele Patienten eine deutliche Erleichterung darstellen und Ressourcen für die eigentliche Intervention freimachen. Es stellt sich aber die Frage, wie die telethera- peutischen Inhalte in den gesamten Prozess integriert werden können. Sollten diese anstatt oder zusätzlich zu konventionellen Therapieeinheiten eingesetzt werden? Laufen sie parallel oder sollten sie dazu dienen, das selbstständige Üben nach einer stationären Rehabilitation zu unterstüt- zen? Die Möglichkeit, dass Therapie nicht nur unter synchroner Supervision stattfindet, sondern auch asynchron mittels Feedback durch Sensor- technologie, bietet völlig neue Optionen. In der Teletherapie können Therapieinhalte spielerisch mit Gamification-Aspekten umgesetzt werden. Das bedeutet: Den Patienten konnte die Durchführung von Übungsprogrammen erleichtert werden, indem diese nicht nur an rationale Aspekte ge- knüpft sind, sondern auch zur Steuerung von Spielen dienen sowie zur Erlangung virtueller Belohnungen.


Wie kommt Teletherapie in die Praxis?

Die Unterstützung durch das Gesundheitssystem bildet die Grundvoraussetzung für eine Implementierung der Teletherapie in den Therapiealltag. Erst wenn Modelle zur Finanzierung sowie zum Zugang zur benötigten Soft- und Hardware für Therapeuten und Patienten vorhanden sind, wird das Thema für Firmen interessant, um in die Entwicklung neuer Technologien zu investieren bzw. bereits bestehende Systeme weiterzuentwickeln. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Entwicklung evidenzbasiert und unter Berücksichtigung ethischer Aspekte stattfindet. Der digitale Wandel – und die Teletherapie als ein Teil davon – wird die Physiotherapie in den nächsten Jahren vermehrt betreffen. Es ist dabei kaum zu erwarten, dass eine disruptive Technologie das Wesen der Physiotherapie völlig verändert. Teletherapie wird die konventionelle Physiotherapie nicht ersetzen, aber in vielen Fällen sinnvoll ergänzen. Sie hat das Potenzial, unsere Patienten dabei zu unterstützen, Trainings- und Übungsprozesse selbstständi- ger und motivierter umzusetzen sowie den betreuten Zeitraum deutlich zu erweitern. Damit die Entwicklung der Teletherapie sinnvoll vonstatten- geht, müssen sich Physiotherapeuten aktiv in die Entwicklung der Technologie sowie der Anwendungsmodelle einbringen und in einen intensiven Austausch mit allen beteiligten Personengruppen treten. Des Weiteren braucht es die Bereitschaft, die Rolle der Physiotherapeuten in der Beglei- tung von Patienten über die gewohnten Prozesse hinaus neu zu denken. Dadurch bietet sich auch die Chance, neue Möglichkeiten in der interdis- ziplinären Zusammenarbeit zu erschließen.