MEDIZIN | Mutter-Kind-Pass
„Mutter-Kind-Pass- Untersuchungen müssen im digitalen Zeitalter ankommen“
FOTOS: MESIC, ISTOCKPHOTO/ NATURE
Ab dem Zeitpunkt, an dem eine Frau ihre Schwan- gerschaft ärztlich bestätigt erhält, ist der Mutter- Kind-Pass (MKP) ein ständiger Begleiter. Hier sind Untersuchungen zur Früherkennung und zum Ent- wicklungsstand des Kindes übersichtlich zusammengefasst.
Seit knapp 50 Jahren hat sich das „gelbe Büchlein“ bewährt und wurde laufend ergänzt, etwa um Ultraschalluntersuchungen, das Screening nach Gestationsdiabetes im Rahmen des oralen Glukosetoleranztests (oGTT) und eine HIV-Untersuchung. Seit 2014 ist eine Hebammenberatung möglich.
Die Zahlen sprechen für sich: Während die Müttersterblichkeit, also der Tod während der Schwangerschaft oder innerhalb von 42 Tagen nach der Geburt, im Jahr 1946 noch 328 pro 100.000 Lebendgeborenen betrug, lag sie seit 1984 kontinuierlich im einstelligen Bereich, im Jahr 2020 betrug sie 2,4. Auch die perinatale Sterblichkeit, also tot geborene Kinder oder Todesfälle in der ersten Lebenswoche, sanken rapide: Bereits zehn Jahre nach Einführung des Mutter-Kind-Passes, also 1984, halbierte sich die Säuglingssterblichkeit auf 11,4 pro Tausend Kinder (Promille) und sank kon- tinuierlich weiter. Im Jahr 2021 betrug die perinatale Sterblichkeit 2,7 Promille.
Steigernder Informationsbedarf
„Seit Jahrzehnten ist die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung in Österreich eine Erfolgsgeschichte“, sagt OMR Dr. Thomas Fiedler, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der OÖ-Ärztekammer sowie Fachgruppenvertreter für Frauenheilkunde und Geburtenhilfe in Oberösterreich und Bun- des-Fachgruppenobmann. Seit Jahrzehnten ist aber, trotz steigender Anforderungen, keine Valorisierung oder eine Verbesserung der Rahmenbe-
dingungen vorgenommen worden. „Dabei hatte es in der Vergangenheit seitens der Ärzte- kammer vermehrt Versuche gegeben, über eine Valorisierung und Verbesserung mit den zuständigen Stellen zu beraten“, so Fiedler. Daher wird wie einigen anderen Bundesländern auch in Oberösterreich eine Kündigung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung vorbereitet. Fiedler fordert ein rasches Handeln der zuständigen Stellen. In den letzten Jahrzehnten kam es etwa wegen erweiterter Laborbefunde, Laborbefundmanagement, CTG-Erstellung etc. zu einem erhöhten Personalaufwand. Hinzu kamen unter anderem die erweiterte Infektions- diagnostik oder intensivere und zeitaufwendigere Beratungen über Geburtsmodalitäten wie etwa dem Wunschkaiserschnitt, Covid-19 oder Impfungen. Einen erhöhten Gesprächsauf- wand gibt es auch durch die immer mehr werdenden Paar- oder Familienberatungen, wäh- rend es in den Anfangszeiten des Mutter-Kind-Passes überwiegend nur Beratungen von Einzelpatienten gegeben hatte. „Alle diese – und viele weitere – Leistungen wurden in den letzten 28 Jahren bei der Honorierung nicht berücksichtigt und das ursprüngliche Honorar von 18,02 Euro all diese Jahre nicht valorisiert. Dieser Zustand ist unzumutbar“, so Fiedler. Frauen werden später schwanger und das führt unter anderem zu diesem Mehraufwand bei der Vorsorge. Andererseits bringen sich werdende Vätern mehr als früher in die Schwanger- schaft ein, was ebenfalls mehr Zeit in der Beratung erfordert. Bei reproduktionsmedizini- schen Eingriffen werden Paare engmaschig begleitet. Auch die vorgeburtliche Infektions- diagnostik ist mittlerweile ein fixer Bestandteil der ärztlichen Betreuung. „Neben diesen gan- zen medizinischen Möglichkeiten, über die wir intensiv aufklären, gab es in den vergange- nen zwei Jahren ein starkes Informationsbedürfnis zu Schutzimpfungen, insbesondere Co- vid-19 und Pertussis“, sagt Fiedler. Dass diese Leistungen nicht wertgeschätzt würden, sei demotivierend, kritisiert der Gynäkologe.
Drohender Qualitätsverlust
In der Kinder- und Jugendheilkunde hat sich das medizinische Leistungsspektrum im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen über die Jahre verändert. „Durch den Fortschritt in der Medizin erfreuen sich viele Frühchen einer guten Gesundheit, brauchen aber auch die Nachsorge, um mögliche Störungen in der Entwicklung der Kinder frühzeitig zu erkennen“, sagt Dr. Peter Voitl, Obmann der Bundesfachgruppe Kinder- und Jugendheilkunde der Österreichischen Ärztekammer. Das werde allerdings im Leistungskatalog nicht abgebildet. Etwas, das ebenfalls nicht ab- gebildet werde, sei etwa die Beratung im Bereich der Gewaltprävention. Andere Leistungen, wie etwa der Hüftultraschall, sei in vielen Ordinatio- nen mittlerweile Standard, der allerdings nur mäßig honoriert werde. Auch werden die Aufklärungsgespräche mit den Eltern zeitintensiver. „Die Betreuung unserer Patienten ist bei stagnierenden Tarifen aufwendiger, gleichzeitig steigen die Fixkosten in den Ordinationen: Das führt letztend- lich entweder zu leerstehenden Kassenordinationen – österreichweit sind rund 11 % unbesetzt – oder zu einem Qualitätsverlust in der ärztlichen Versorgung“, kritisiert der Kinderarzt.
Dringender Handlungsbedarf
Neben den nicht an die Inflation angepassten Tarifen ist auch die fehlende digitale Infrastruktur bei den Mutter-Kind-Pässen Grund genug für die Bundesärztekammer mit einer Resolution auf das Thema aufmerksam zu machen. Die Ärztekammer sieht die Versorgungssicherheit gefährdet, denn die Unzufriedenheit führt auch dazu, dass Kassenstellen unbesetzt bleiben.
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Die Resolution im Wortlaut
„Die längst überfälligen Rahmenbedingungen fehlen bis heute. Angesichts der Tatsache, dass die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen eine medizinische Erfolgsge- schichte sind, die zu einer wesentlichen Verbesserung der Gesundheit der Kinder und Mütter geführt haben, ist zudem der Umgang mit den Ärztinnen und Ärzten, die seit Jahren keine Honoraranpassung gesehen haben, ein Zeichen der mangelnden Wertschätzung und Anerkennung. Die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer fordert daher sofortiges Handeln, damit die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sowohl ins digitale Zeitalter überführt, als auch entspre- chend wertgeschätzt werden.“